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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.

mißtrauischen und jähzornigen Menschen an der einen Thatsache des vermeint¬
liche" Betruges seiner Frau (Othello), oder den einer tief und edel angelegten,
aber allzu ehrgeizigen Natur an einem durch zauberisches Blendwerk erzeugten
Wahne (Macbeth). Mit einem Worte: ich muß eines am andern entwickeln,
den außer" Konflikt an einem innern Grundcharakter, oder den innern an einem
äußern Grundvorgänge, wenn anders ich das dramatische Interesse zusammen¬
halten will. Und das ist die Grundbedingung während der Aufführung eines
Theaterstückes, daher die unerläßliche Notwendigkeit gerade dieser dramatischen
Ökonomie. Schon allzubreite Episoden wirken hier bekanntlich störend (Posa
im "Don Carlos"), das Auseinanderzerren eines allzudürftigcn oder schlecht
ausgenutzten Vorwurfes dieser Art durch bloße Episoden hat schon Aristoteles
für "die schlechteste dramatische Form" erklärt.

Habe ich demnach -- so wird sich der Dramatiker sagen -- vor mir als
Stoff die Gestalt eines Priesters inmitten einer historischen Begebenheit, bei
welcher die Gegensätze zwischen geistlicher und weltlicher Staatsgewalt zum ersten¬
male anfeinanderprallen, so bedeutet das für mich die Aufgabe eines Charakter¬
gemäldes auf dem Hintergründe eines ganz bestimmten historischen Vorganges.
Denn zu einer lüstor^ sehlt mir jeder äußere Anhaltepunkt, anch will ich ja
keine in dieser Hinsicht bereits fertige Persönlichkeit schildern, welche die Energie
ihrer Meinung der Welt aufzwingt (der gewöhnliche Vorwurf der Lntherdramcn),
sondern ich will gerade einmal das schmerzhafte Werden einer solchen Per¬
sönlichkeit an einem ersten Falle schildern. Wie korrekt sich unser Dramatiker
das aus obiger Idee entsprungene Drama gedacht hat, erhellt schon aus dein
Zunamen seines Haupthelden, des Wimar, und der fortwährenden Betonung
dieses Zunamens "Knecht." Das Seelengemälde eines treuen Dieners in seiner
höchsten Form als Staatsdiener im Konflikt zwischen natürlicher und konven¬
tioneller Dienstpflicht, zwischen Vaterland und Kirchenstaat, das sollte das
Drama ursprünglich werden. Schon ein überreicher Stoff! Genan mußte das
Verhältnis zum Landesherr", unbedingt dieser selbst im Drama geschildert
werden, damit die Berechtigung der Diensttreue in die Augen springt. Denn
keine Verherrlichung des blinden Knechtssinnes, welche in dieser Form die Poesie
nicht kennt, sollte das Drama sein, sondern eine Veranschaulichung bewußter und
gerade darum verdienstvoller, aufopferungsfähiger Diensttreue. Bezieht sich
hierauf das "Neue Gebot"? Nein! Denn was wäre an diesem Gebote neu?
Es ist ein Naturgebot, und wenn es irgendwo als "neues" Gebot aufträte,
so hätte das gleich etwas Anrüchiges, würfe einen Schatten ans den Gebieter.
Der Unstern des zeitlichen Zusammentreffens wirft dem Dramatiker mit seinem
Stoffe einen sachlich ganz verschiedenartigen Gegenstand in den Weg, die
Frage des Cölibatgebots der Geistlichen, dessen strenge Durchführung (nicht die
erste Aufstellung bekanntlich) aus jener Zeit datirt. Er übersieht vollständig,
daß dieses "Gebot" damals gar keine reformatorischen Folgen hatte, also im


Der Dramatiker der deutschen Jugend.

mißtrauischen und jähzornigen Menschen an der einen Thatsache des vermeint¬
liche» Betruges seiner Frau (Othello), oder den einer tief und edel angelegten,
aber allzu ehrgeizigen Natur an einem durch zauberisches Blendwerk erzeugten
Wahne (Macbeth). Mit einem Worte: ich muß eines am andern entwickeln,
den außer» Konflikt an einem innern Grundcharakter, oder den innern an einem
äußern Grundvorgänge, wenn anders ich das dramatische Interesse zusammen¬
halten will. Und das ist die Grundbedingung während der Aufführung eines
Theaterstückes, daher die unerläßliche Notwendigkeit gerade dieser dramatischen
Ökonomie. Schon allzubreite Episoden wirken hier bekanntlich störend (Posa
im „Don Carlos"), das Auseinanderzerren eines allzudürftigcn oder schlecht
ausgenutzten Vorwurfes dieser Art durch bloße Episoden hat schon Aristoteles
für „die schlechteste dramatische Form" erklärt.

Habe ich demnach — so wird sich der Dramatiker sagen — vor mir als
Stoff die Gestalt eines Priesters inmitten einer historischen Begebenheit, bei
welcher die Gegensätze zwischen geistlicher und weltlicher Staatsgewalt zum ersten¬
male anfeinanderprallen, so bedeutet das für mich die Aufgabe eines Charakter¬
gemäldes auf dem Hintergründe eines ganz bestimmten historischen Vorganges.
Denn zu einer lüstor^ sehlt mir jeder äußere Anhaltepunkt, anch will ich ja
keine in dieser Hinsicht bereits fertige Persönlichkeit schildern, welche die Energie
ihrer Meinung der Welt aufzwingt (der gewöhnliche Vorwurf der Lntherdramcn),
sondern ich will gerade einmal das schmerzhafte Werden einer solchen Per¬
sönlichkeit an einem ersten Falle schildern. Wie korrekt sich unser Dramatiker
das aus obiger Idee entsprungene Drama gedacht hat, erhellt schon aus dein
Zunamen seines Haupthelden, des Wimar, und der fortwährenden Betonung
dieses Zunamens „Knecht." Das Seelengemälde eines treuen Dieners in seiner
höchsten Form als Staatsdiener im Konflikt zwischen natürlicher und konven¬
tioneller Dienstpflicht, zwischen Vaterland und Kirchenstaat, das sollte das
Drama ursprünglich werden. Schon ein überreicher Stoff! Genan mußte das
Verhältnis zum Landesherr», unbedingt dieser selbst im Drama geschildert
werden, damit die Berechtigung der Diensttreue in die Augen springt. Denn
keine Verherrlichung des blinden Knechtssinnes, welche in dieser Form die Poesie
nicht kennt, sollte das Drama sein, sondern eine Veranschaulichung bewußter und
gerade darum verdienstvoller, aufopferungsfähiger Diensttreue. Bezieht sich
hierauf das „Neue Gebot"? Nein! Denn was wäre an diesem Gebote neu?
Es ist ein Naturgebot, und wenn es irgendwo als „neues" Gebot aufträte,
so hätte das gleich etwas Anrüchiges, würfe einen Schatten ans den Gebieter.
Der Unstern des zeitlichen Zusammentreffens wirft dem Dramatiker mit seinem
Stoffe einen sachlich ganz verschiedenartigen Gegenstand in den Weg, die
Frage des Cölibatgebots der Geistlichen, dessen strenge Durchführung (nicht die
erste Aufstellung bekanntlich) aus jener Zeit datirt. Er übersieht vollständig,
daß dieses „Gebot" damals gar keine reformatorischen Folgen hatte, also im


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[0542] Der Dramatiker der deutschen Jugend. mißtrauischen und jähzornigen Menschen an der einen Thatsache des vermeint¬ liche» Betruges seiner Frau (Othello), oder den einer tief und edel angelegten, aber allzu ehrgeizigen Natur an einem durch zauberisches Blendwerk erzeugten Wahne (Macbeth). Mit einem Worte: ich muß eines am andern entwickeln, den außer» Konflikt an einem innern Grundcharakter, oder den innern an einem äußern Grundvorgänge, wenn anders ich das dramatische Interesse zusammen¬ halten will. Und das ist die Grundbedingung während der Aufführung eines Theaterstückes, daher die unerläßliche Notwendigkeit gerade dieser dramatischen Ökonomie. Schon allzubreite Episoden wirken hier bekanntlich störend (Posa im „Don Carlos"), das Auseinanderzerren eines allzudürftigcn oder schlecht ausgenutzten Vorwurfes dieser Art durch bloße Episoden hat schon Aristoteles für „die schlechteste dramatische Form" erklärt. Habe ich demnach — so wird sich der Dramatiker sagen — vor mir als Stoff die Gestalt eines Priesters inmitten einer historischen Begebenheit, bei welcher die Gegensätze zwischen geistlicher und weltlicher Staatsgewalt zum ersten¬ male anfeinanderprallen, so bedeutet das für mich die Aufgabe eines Charakter¬ gemäldes auf dem Hintergründe eines ganz bestimmten historischen Vorganges. Denn zu einer lüstor^ sehlt mir jeder äußere Anhaltepunkt, anch will ich ja keine in dieser Hinsicht bereits fertige Persönlichkeit schildern, welche die Energie ihrer Meinung der Welt aufzwingt (der gewöhnliche Vorwurf der Lntherdramcn), sondern ich will gerade einmal das schmerzhafte Werden einer solchen Per¬ sönlichkeit an einem ersten Falle schildern. Wie korrekt sich unser Dramatiker das aus obiger Idee entsprungene Drama gedacht hat, erhellt schon aus dein Zunamen seines Haupthelden, des Wimar, und der fortwährenden Betonung dieses Zunamens „Knecht." Das Seelengemälde eines treuen Dieners in seiner höchsten Form als Staatsdiener im Konflikt zwischen natürlicher und konven¬ tioneller Dienstpflicht, zwischen Vaterland und Kirchenstaat, das sollte das Drama ursprünglich werden. Schon ein überreicher Stoff! Genan mußte das Verhältnis zum Landesherr», unbedingt dieser selbst im Drama geschildert werden, damit die Berechtigung der Diensttreue in die Augen springt. Denn keine Verherrlichung des blinden Knechtssinnes, welche in dieser Form die Poesie nicht kennt, sollte das Drama sein, sondern eine Veranschaulichung bewußter und gerade darum verdienstvoller, aufopferungsfähiger Diensttreue. Bezieht sich hierauf das „Neue Gebot"? Nein! Denn was wäre an diesem Gebote neu? Es ist ein Naturgebot, und wenn es irgendwo als „neues" Gebot aufträte, so hätte das gleich etwas Anrüchiges, würfe einen Schatten ans den Gebieter. Der Unstern des zeitlichen Zusammentreffens wirft dem Dramatiker mit seinem Stoffe einen sachlich ganz verschiedenartigen Gegenstand in den Weg, die Frage des Cölibatgebots der Geistlichen, dessen strenge Durchführung (nicht die erste Aufstellung bekanntlich) aus jener Zeit datirt. Er übersieht vollständig, daß dieses „Gebot" damals gar keine reformatorischen Folgen hatte, also im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/542>, abgerufen am 20.10.2024.