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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Rirche in Preußen.

das Tempo der Besserung zu steigern und den Schaden greller zu beleuchten,
so ist schon etwas erreicht.

Von dem andern Bündel von Wünschen läßt sich nicht mit solcher Zu¬
stimmung reden. Es sind die, welche unter den Worten: "Größere Freiheit
und Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staate" zusammengefaßt werden.
Es ist freilich selbstverständlich genug, daß diejenige Kirche, die heutzutage ihre
Aufgabe erfüllen will, mag sie evangelisch oder katholisch heißen, eine gewisse
korporative Selbständigkeit haben muß. Nicht so einfach ist die Forderung,
daß die Kirche der preußischen Evangelischen eine größere Selbständigkeit haben
müsse, und gerade dem Staate gegenüber, als jetzt. Noch weniger einfach ist
dieselbe dann, wenn sie dadurch motivirt wird, daß ja auch die katholische
Kirche nunmehr durch das letzte kirchenpolitische Gesetz (des Herrn Bischofs
Kopp) eine größere Freiheit bekommen habe. Oder sollte etwa die Regel gelten,
daß die katholische und die evangelische Kirche dasselbe Bedürfnis größter Freiheit
vom Staate hätten? Das wäre wohl erst aus der Natur der beiden Kirchen
zu beweisen. Es könnte doch sein, daß die evangelische Kirche gar kein Interesse
hätte, über ein gewisses Maß hinaus die Freiheit vom Staate zu erstreben, ja
daß es eine Verleugnung der evangelischen Grundsätze wäre, den Staat so
zurückzudrängen, wie es die katholische Kirche nach ihren Grundsätzen thun muß.
Wir sagen das jetzt zunächst als rationes äubiwncli und nur deshalb, weil die
Männer, die über diese Freiheit im Sinne der Hammerstein-Kleistschen Anträge
gesprochen haben, von der Schwierigkeit der Sache wenig zu wissen scheinen,
nur erfüllt von der herrlichen Idee der Freiheit ihrer Kirche vom Staate. Nur
einige wenige Redner lassen sich auf die prinzipiellen Schmierigkeiten ein. Die
andern heben gleich ihre besondern Forderungen an den Staat hervor, die der
größern Freiheit dienen sollen. Das ist auch begreiflich. Die allgemeine Er¬
örterung dessen, was die evangelische Kirche vom Staate verlangt, ist für die
Redner schon deshalb schwierig, weil nicht viele derselben mit den symbolischen
Büchern bekannt genug sind, noch auch mit der Geschichte der evangelischen
Kirchenverfassung in Preußen; sodann aber vorzüglich deshalb, weil es schwer
ist, den Staat von der bestehenden evangelischen Landeskirchenverfassung so zu
sondern, daß nicht der Summepiskopus, der König, auch von den Klagen gegen
den Staat getroffen wird. Das möchte man gern vermeiden, denn man ist
überzeugt, daß unser Herrscher persönlich der Kirche wohlwill, und seine be¬
kannten Aussprüche von der Notwendigkeit, dem Volke die Religion zu erhalten,
und von der Gottheit des Sohnes sind gar oft mit gutem Grunde zitirt worden.
Darum will man sich nicht gern auf dies heikle Gebiet begeben. Man weiß,
daß das Kirchenregiment jedem Könige in Preußen, ohne Rücksicht auf seine
Konfession, zukommt, denn das ist gesetzlich festgestellt. (Thudichum, Deutsches
Kirchenrecht. 1, 230.) Wenn man bedenkt, was demnach ein doch immer mög¬
licher anderweitiger König als "Träger des Kirchenregiments" und der "Kirchen-


Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Rirche in Preußen.

das Tempo der Besserung zu steigern und den Schaden greller zu beleuchten,
so ist schon etwas erreicht.

Von dem andern Bündel von Wünschen läßt sich nicht mit solcher Zu¬
stimmung reden. Es sind die, welche unter den Worten: „Größere Freiheit
und Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staate" zusammengefaßt werden.
Es ist freilich selbstverständlich genug, daß diejenige Kirche, die heutzutage ihre
Aufgabe erfüllen will, mag sie evangelisch oder katholisch heißen, eine gewisse
korporative Selbständigkeit haben muß. Nicht so einfach ist die Forderung,
daß die Kirche der preußischen Evangelischen eine größere Selbständigkeit haben
müsse, und gerade dem Staate gegenüber, als jetzt. Noch weniger einfach ist
dieselbe dann, wenn sie dadurch motivirt wird, daß ja auch die katholische
Kirche nunmehr durch das letzte kirchenpolitische Gesetz (des Herrn Bischofs
Kopp) eine größere Freiheit bekommen habe. Oder sollte etwa die Regel gelten,
daß die katholische und die evangelische Kirche dasselbe Bedürfnis größter Freiheit
vom Staate hätten? Das wäre wohl erst aus der Natur der beiden Kirchen
zu beweisen. Es könnte doch sein, daß die evangelische Kirche gar kein Interesse
hätte, über ein gewisses Maß hinaus die Freiheit vom Staate zu erstreben, ja
daß es eine Verleugnung der evangelischen Grundsätze wäre, den Staat so
zurückzudrängen, wie es die katholische Kirche nach ihren Grundsätzen thun muß.
Wir sagen das jetzt zunächst als rationes äubiwncli und nur deshalb, weil die
Männer, die über diese Freiheit im Sinne der Hammerstein-Kleistschen Anträge
gesprochen haben, von der Schwierigkeit der Sache wenig zu wissen scheinen,
nur erfüllt von der herrlichen Idee der Freiheit ihrer Kirche vom Staate. Nur
einige wenige Redner lassen sich auf die prinzipiellen Schmierigkeiten ein. Die
andern heben gleich ihre besondern Forderungen an den Staat hervor, die der
größern Freiheit dienen sollen. Das ist auch begreiflich. Die allgemeine Er¬
örterung dessen, was die evangelische Kirche vom Staate verlangt, ist für die
Redner schon deshalb schwierig, weil nicht viele derselben mit den symbolischen
Büchern bekannt genug sind, noch auch mit der Geschichte der evangelischen
Kirchenverfassung in Preußen; sodann aber vorzüglich deshalb, weil es schwer
ist, den Staat von der bestehenden evangelischen Landeskirchenverfassung so zu
sondern, daß nicht der Summepiskopus, der König, auch von den Klagen gegen
den Staat getroffen wird. Das möchte man gern vermeiden, denn man ist
überzeugt, daß unser Herrscher persönlich der Kirche wohlwill, und seine be¬
kannten Aussprüche von der Notwendigkeit, dem Volke die Religion zu erhalten,
und von der Gottheit des Sohnes sind gar oft mit gutem Grunde zitirt worden.
Darum will man sich nicht gern auf dies heikle Gebiet begeben. Man weiß,
daß das Kirchenregiment jedem Könige in Preußen, ohne Rücksicht auf seine
Konfession, zukommt, denn das ist gesetzlich festgestellt. (Thudichum, Deutsches
Kirchenrecht. 1, 230.) Wenn man bedenkt, was demnach ein doch immer mög¬
licher anderweitiger König als „Träger des Kirchenregiments" und der „Kirchen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/523>, abgerufen am 16.01.2025.