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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Aircho in Preußen.

regieruug" mit seinen "Organen," dem Oberkirchenrat, den Provinzial-
konsistorien?c,, der Kirche zufügen könnte, so erstaunt man billig über die Klage,
die man jetzt über verhältnismäßige Kleinigkeiten, über die konstitutionelle
Mitwirkung des Staates bei der Wahl des Oberkirchenrates und der Kon¬
sistorien, über die staatliche Besetzung der Professuren der evangelischen Theo¬
logie (und der Neligiouslehrerstcllen) mit so vielem Geräusch erhebt. Man
würde es wenigstens eher begreifen, wenn die Träger der neuen Anträge beides
miteinander bekämpften, das staatliche Planet bei vielen Besetzungen und das
landesherrliche Konsistvrialregiment. In der That ist zuweilen etwas dieser
Art zu verspüren, besonders wenn Herr von Kleist-Netzow unter seinen Freunden
ist und von evangelischen "Bischöfen" redet. In der Rheinprovinz hat man
gleichfalls lange schon gegen das früher ja noch drückendere Konsistorialregiment
auf der Provinzialsynode im Sinne der "Synodalfreiheit von unter auf" ge¬
kämpft, in edelm Sinne, ohne alle Gelüste von Hierarchie, schon vor der Ein¬
führung der konstitutionellen Verfassung. Männer wie Landfermann warnten
zuweilen, diese Bestrebungen nicht zu übertreiben und zu übereilen; sie hoben
die Gefahren hervor, die eine Lockerung des landeskirchlich-stnatlichen Regiments
nach sich ziehen würden. Und auch später, als sich die Ansicht in Berlin ver¬
breitete, von hoher Stelle aus wolle mau die Ratschläge des bekannten Werkes
von Dr. Gesfken durchführen und sich von der positiven Leitung der evangelische,:
Kirche zurückziehen, wurde uns von einem der Führer der uationalliberalen
Partei, die damals der Negierung nahestand, von einem bedeutenden evan¬
gelischen Abgeordneten bestimmt erklärt, die Partei würde das als ein Unglück
für die evangelische Kirche abzuwehren suchen, widrigenfalls dabei als "Sr.
Majestät Allergetreueste Opposition" auftreten.

An diese Dinge wird man gegenwärtig wieder lebhaft erinnert, wenn man
die Hammersteinschen Anträge und ihre Aufnahme im Lande überlegt. Es ist
ein unklares Streben nach einem Ideal, verbunden mit Beklemmung wegen des
allgemein verehrten Trägers des Kirchenregiments, den man nicht treffen möchte
und den man doch indirekt verletzt, indem man den bösen Staat, der ja auch
Juden in sich schließt, von der gesetzlichen Einwirkung auf die Kirchenregierung
zurückdrängt, schon dadurch verletzt, daß man die Freiheit des Königs in der
Wahl der Minister leugnet und thut, als lebten wir in einem Parlamentarismus,
von dem die Antragsteller recht gut wissen, daß er bei uns unmöglich ist.

Und doch scheint es, daß einige und zwar sehr orientirte Freunde der
Hammersteinschen Anträge den Parlamentarismus, den sie auf dem politischen
Gebiete nicht mögen, auf dem kirchlichen anstreben. Sie betonen die Rolle der
kirchlichen Synode so sehr, daß die gewünschte kirchliche Verfassung ganz parla¬
mentarisch aussieht. Hierüber spricht der Freund des Herrn von Hammerstein,
Herr von Rauchhaupt, der auch sonst als Gegner der Anträge ausgetreten ist
(in Delitzsch), in der Hallischen Zeitung. Er nimmt Bezug auf eine Resolution


Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Aircho in Preußen.

regieruug" mit seinen „Organen," dem Oberkirchenrat, den Provinzial-
konsistorien?c,, der Kirche zufügen könnte, so erstaunt man billig über die Klage,
die man jetzt über verhältnismäßige Kleinigkeiten, über die konstitutionelle
Mitwirkung des Staates bei der Wahl des Oberkirchenrates und der Kon¬
sistorien, über die staatliche Besetzung der Professuren der evangelischen Theo¬
logie (und der Neligiouslehrerstcllen) mit so vielem Geräusch erhebt. Man
würde es wenigstens eher begreifen, wenn die Träger der neuen Anträge beides
miteinander bekämpften, das staatliche Planet bei vielen Besetzungen und das
landesherrliche Konsistvrialregiment. In der That ist zuweilen etwas dieser
Art zu verspüren, besonders wenn Herr von Kleist-Netzow unter seinen Freunden
ist und von evangelischen „Bischöfen" redet. In der Rheinprovinz hat man
gleichfalls lange schon gegen das früher ja noch drückendere Konsistorialregiment
auf der Provinzialsynode im Sinne der „Synodalfreiheit von unter auf" ge¬
kämpft, in edelm Sinne, ohne alle Gelüste von Hierarchie, schon vor der Ein¬
führung der konstitutionellen Verfassung. Männer wie Landfermann warnten
zuweilen, diese Bestrebungen nicht zu übertreiben und zu übereilen; sie hoben
die Gefahren hervor, die eine Lockerung des landeskirchlich-stnatlichen Regiments
nach sich ziehen würden. Und auch später, als sich die Ansicht in Berlin ver¬
breitete, von hoher Stelle aus wolle mau die Ratschläge des bekannten Werkes
von Dr. Gesfken durchführen und sich von der positiven Leitung der evangelische,:
Kirche zurückziehen, wurde uns von einem der Führer der uationalliberalen
Partei, die damals der Negierung nahestand, von einem bedeutenden evan¬
gelischen Abgeordneten bestimmt erklärt, die Partei würde das als ein Unglück
für die evangelische Kirche abzuwehren suchen, widrigenfalls dabei als „Sr.
Majestät Allergetreueste Opposition" auftreten.

An diese Dinge wird man gegenwärtig wieder lebhaft erinnert, wenn man
die Hammersteinschen Anträge und ihre Aufnahme im Lande überlegt. Es ist
ein unklares Streben nach einem Ideal, verbunden mit Beklemmung wegen des
allgemein verehrten Trägers des Kirchenregiments, den man nicht treffen möchte
und den man doch indirekt verletzt, indem man den bösen Staat, der ja auch
Juden in sich schließt, von der gesetzlichen Einwirkung auf die Kirchenregierung
zurückdrängt, schon dadurch verletzt, daß man die Freiheit des Königs in der
Wahl der Minister leugnet und thut, als lebten wir in einem Parlamentarismus,
von dem die Antragsteller recht gut wissen, daß er bei uns unmöglich ist.

Und doch scheint es, daß einige und zwar sehr orientirte Freunde der
Hammersteinschen Anträge den Parlamentarismus, den sie auf dem politischen
Gebiete nicht mögen, auf dem kirchlichen anstreben. Sie betonen die Rolle der
kirchlichen Synode so sehr, daß die gewünschte kirchliche Verfassung ganz parla¬
mentarisch aussieht. Hierüber spricht der Freund des Herrn von Hammerstein,
Herr von Rauchhaupt, der auch sonst als Gegner der Anträge ausgetreten ist
(in Delitzsch), in der Hallischen Zeitung. Er nimmt Bezug auf eine Resolution


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[0524] Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Aircho in Preußen. regieruug" mit seinen „Organen," dem Oberkirchenrat, den Provinzial- konsistorien?c,, der Kirche zufügen könnte, so erstaunt man billig über die Klage, die man jetzt über verhältnismäßige Kleinigkeiten, über die konstitutionelle Mitwirkung des Staates bei der Wahl des Oberkirchenrates und der Kon¬ sistorien, über die staatliche Besetzung der Professuren der evangelischen Theo¬ logie (und der Neligiouslehrerstcllen) mit so vielem Geräusch erhebt. Man würde es wenigstens eher begreifen, wenn die Träger der neuen Anträge beides miteinander bekämpften, das staatliche Planet bei vielen Besetzungen und das landesherrliche Konsistvrialregiment. In der That ist zuweilen etwas dieser Art zu verspüren, besonders wenn Herr von Kleist-Netzow unter seinen Freunden ist und von evangelischen „Bischöfen" redet. In der Rheinprovinz hat man gleichfalls lange schon gegen das früher ja noch drückendere Konsistorialregiment auf der Provinzialsynode im Sinne der „Synodalfreiheit von unter auf" ge¬ kämpft, in edelm Sinne, ohne alle Gelüste von Hierarchie, schon vor der Ein¬ führung der konstitutionellen Verfassung. Männer wie Landfermann warnten zuweilen, diese Bestrebungen nicht zu übertreiben und zu übereilen; sie hoben die Gefahren hervor, die eine Lockerung des landeskirchlich-stnatlichen Regiments nach sich ziehen würden. Und auch später, als sich die Ansicht in Berlin ver¬ breitete, von hoher Stelle aus wolle mau die Ratschläge des bekannten Werkes von Dr. Gesfken durchführen und sich von der positiven Leitung der evangelische,: Kirche zurückziehen, wurde uns von einem der Führer der uationalliberalen Partei, die damals der Negierung nahestand, von einem bedeutenden evan¬ gelischen Abgeordneten bestimmt erklärt, die Partei würde das als ein Unglück für die evangelische Kirche abzuwehren suchen, widrigenfalls dabei als „Sr. Majestät Allergetreueste Opposition" auftreten. An diese Dinge wird man gegenwärtig wieder lebhaft erinnert, wenn man die Hammersteinschen Anträge und ihre Aufnahme im Lande überlegt. Es ist ein unklares Streben nach einem Ideal, verbunden mit Beklemmung wegen des allgemein verehrten Trägers des Kirchenregiments, den man nicht treffen möchte und den man doch indirekt verletzt, indem man den bösen Staat, der ja auch Juden in sich schließt, von der gesetzlichen Einwirkung auf die Kirchenregierung zurückdrängt, schon dadurch verletzt, daß man die Freiheit des Königs in der Wahl der Minister leugnet und thut, als lebten wir in einem Parlamentarismus, von dem die Antragsteller recht gut wissen, daß er bei uns unmöglich ist. Und doch scheint es, daß einige und zwar sehr orientirte Freunde der Hammersteinschen Anträge den Parlamentarismus, den sie auf dem politischen Gebiete nicht mögen, auf dem kirchlichen anstreben. Sie betonen die Rolle der kirchlichen Synode so sehr, daß die gewünschte kirchliche Verfassung ganz parla¬ mentarisch aussieht. Hierüber spricht der Freund des Herrn von Hammerstein, Herr von Rauchhaupt, der auch sonst als Gegner der Anträge ausgetreten ist (in Delitzsch), in der Hallischen Zeitung. Er nimmt Bezug auf eine Resolution

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/524>, abgerufen am 20.10.2024.