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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Eine kritische Auseinandersetzung,

so heldenmütige Gelaleddin Mankberin um Kampfe gegen die Chvwaresmiden
tragisch enden mußte, und was der berühmte Malekschah, genannt Dschalaleddin
Dschelaleddaula, täglich und stündlich gethan habe, um seinen schönen Namen zu
verdienen. Ein andrer möchte erfahren, wie es auf dem Mond oder auf der
Venus oder wenigstens in Mavaralnahar aussieht und ausgesehen hat. Dieser
interessirt sich dafür, wie Schuhe und Strümpfe zur Zeit des Bereingetorix,
oder des Königs Geiserich, oder des Königs Rhamses des sonndsovielteu be¬
schaffen waren; jener wüßte gar zu gern, von welcher Form die interessanten
Gefäße gewesen sind, welche man zur Zeit der sieben Könige in Rom zu einem
bestimmten Zweck benutzt hat und nach einem Analogieschluß v^a. vNNörÄö ge¬
heißen haben wird. Weder Nottecks, noch Beckers, noch Schlossers, noch sogar
Rankes Weltgeschichte geben ihm darüber Aufschluß, darum sollte es von Gott
und Rechts wegen der Dichter, der es doch wissen muß; denn "ihm gaben die
Götter das reine Gemüt, wo die Welt sich, die ewige, spiegelt; er hat alles
gesehn, was ans Erden geschieht" u, s, w.

Man sieht, das deutsche Publikum verlangt wahrhaft Großes von seinen
Dichtern. Aber warum nicht? sie leisten es. Ich habe es stets mit denjenigen
gehalten, die ein wahres Kunstwerk, also auch Dichterwerk, nur mit Andacht
und heiligem Erstaunen wie eine Art Wunder betrachten können, und die zu
allen Zeiten versucht waren, in künstlerischen und dichterischen Darstellungen
Offenbarungen Gottes und des Göttlichen zu sehen. Dennoch muß ich einge¬
stehen, daß solche Wunder, wie sie gewisse neuere deutsche Romanschriftsteller gewirkt
haben, mir das wunderbarste, was man dem Dichter bis jetzt zutrauen mochte,
weit zu übertreffen scheinen. Diese Herren haben es fertig gebracht, daß ein
literarisch gebildeter Einjährigfreiwilliger, der von der Rockform seines Urgro߬
vaters keine Ahnung hat, die Hosen und Unterhosen, nicht etwa des Herrn
von Bredow, sondern des Herrn Pipin, genannt der Kurze, genau beschreiben
kann, und daß ein der höhern Töchterschule entlaufener Backfisch in der Küche
einer Pfahldvrfhütte jedenfalls besser Bescheid weiß als in der seiner eignen
Mutter! Dieser "Poeten" wunderbares Verdienst ist es, wenn ein sekundärer
aus gebildeter Familie, dem die Formen des häuslichen und öffentlichen deutschen
Lebens im achtzehnten Jahrhundert spanische Dörfer sind, das Leben und
Treiben in Memphis etwa im Jahre 541 vor Christo in allen Einzelheiten
genau kennt, z. B. das Kostüm bis auf Form und Stoff der Sandalen- oder
Schuhbändchen einer Königs- und etwa einer Totengräberstochter; er kennt
genau den Gesprächston, in welchem die verschiednen Stände miteinander ver¬
kehrt, er weiß, was sie in den verschiednen Jahreszeiten gefrühstückt, zu Mittag
und zu Abend gegessen haben. Daß er die benutzten Geschirre und jede einzelne
der darauf gemalten Hieroglyphen so gut in der Vorstellung hat, als hätte er
selber täglich Suppe daraus gegessen, ist selbstverständlich.

Es ist eine schöne Seite am deutschen Publikum, daß es für derartige


Eine kritische Auseinandersetzung,

so heldenmütige Gelaleddin Mankberin um Kampfe gegen die Chvwaresmiden
tragisch enden mußte, und was der berühmte Malekschah, genannt Dschalaleddin
Dschelaleddaula, täglich und stündlich gethan habe, um seinen schönen Namen zu
verdienen. Ein andrer möchte erfahren, wie es auf dem Mond oder auf der
Venus oder wenigstens in Mavaralnahar aussieht und ausgesehen hat. Dieser
interessirt sich dafür, wie Schuhe und Strümpfe zur Zeit des Bereingetorix,
oder des Königs Geiserich, oder des Königs Rhamses des sonndsovielteu be¬
schaffen waren; jener wüßte gar zu gern, von welcher Form die interessanten
Gefäße gewesen sind, welche man zur Zeit der sieben Könige in Rom zu einem
bestimmten Zweck benutzt hat und nach einem Analogieschluß v^a. vNNörÄö ge¬
heißen haben wird. Weder Nottecks, noch Beckers, noch Schlossers, noch sogar
Rankes Weltgeschichte geben ihm darüber Aufschluß, darum sollte es von Gott
und Rechts wegen der Dichter, der es doch wissen muß; denn „ihm gaben die
Götter das reine Gemüt, wo die Welt sich, die ewige, spiegelt; er hat alles
gesehn, was ans Erden geschieht" u, s, w.

Man sieht, das deutsche Publikum verlangt wahrhaft Großes von seinen
Dichtern. Aber warum nicht? sie leisten es. Ich habe es stets mit denjenigen
gehalten, die ein wahres Kunstwerk, also auch Dichterwerk, nur mit Andacht
und heiligem Erstaunen wie eine Art Wunder betrachten können, und die zu
allen Zeiten versucht waren, in künstlerischen und dichterischen Darstellungen
Offenbarungen Gottes und des Göttlichen zu sehen. Dennoch muß ich einge¬
stehen, daß solche Wunder, wie sie gewisse neuere deutsche Romanschriftsteller gewirkt
haben, mir das wunderbarste, was man dem Dichter bis jetzt zutrauen mochte,
weit zu übertreffen scheinen. Diese Herren haben es fertig gebracht, daß ein
literarisch gebildeter Einjährigfreiwilliger, der von der Rockform seines Urgro߬
vaters keine Ahnung hat, die Hosen und Unterhosen, nicht etwa des Herrn
von Bredow, sondern des Herrn Pipin, genannt der Kurze, genau beschreiben
kann, und daß ein der höhern Töchterschule entlaufener Backfisch in der Küche
einer Pfahldvrfhütte jedenfalls besser Bescheid weiß als in der seiner eignen
Mutter! Dieser „Poeten" wunderbares Verdienst ist es, wenn ein sekundärer
aus gebildeter Familie, dem die Formen des häuslichen und öffentlichen deutschen
Lebens im achtzehnten Jahrhundert spanische Dörfer sind, das Leben und
Treiben in Memphis etwa im Jahre 541 vor Christo in allen Einzelheiten
genau kennt, z. B. das Kostüm bis auf Form und Stoff der Sandalen- oder
Schuhbändchen einer Königs- und etwa einer Totengräberstochter; er kennt
genau den Gesprächston, in welchem die verschiednen Stände miteinander ver¬
kehrt, er weiß, was sie in den verschiednen Jahreszeiten gefrühstückt, zu Mittag
und zu Abend gegessen haben. Daß er die benutzten Geschirre und jede einzelne
der darauf gemalten Hieroglyphen so gut in der Vorstellung hat, als hätte er
selber täglich Suppe daraus gegessen, ist selbstverständlich.

Es ist eine schöne Seite am deutschen Publikum, daß es für derartige


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[0428] Eine kritische Auseinandersetzung, so heldenmütige Gelaleddin Mankberin um Kampfe gegen die Chvwaresmiden tragisch enden mußte, und was der berühmte Malekschah, genannt Dschalaleddin Dschelaleddaula, täglich und stündlich gethan habe, um seinen schönen Namen zu verdienen. Ein andrer möchte erfahren, wie es auf dem Mond oder auf der Venus oder wenigstens in Mavaralnahar aussieht und ausgesehen hat. Dieser interessirt sich dafür, wie Schuhe und Strümpfe zur Zeit des Bereingetorix, oder des Königs Geiserich, oder des Königs Rhamses des sonndsovielteu be¬ schaffen waren; jener wüßte gar zu gern, von welcher Form die interessanten Gefäße gewesen sind, welche man zur Zeit der sieben Könige in Rom zu einem bestimmten Zweck benutzt hat und nach einem Analogieschluß v^a. vNNörÄö ge¬ heißen haben wird. Weder Nottecks, noch Beckers, noch Schlossers, noch sogar Rankes Weltgeschichte geben ihm darüber Aufschluß, darum sollte es von Gott und Rechts wegen der Dichter, der es doch wissen muß; denn „ihm gaben die Götter das reine Gemüt, wo die Welt sich, die ewige, spiegelt; er hat alles gesehn, was ans Erden geschieht" u, s, w. Man sieht, das deutsche Publikum verlangt wahrhaft Großes von seinen Dichtern. Aber warum nicht? sie leisten es. Ich habe es stets mit denjenigen gehalten, die ein wahres Kunstwerk, also auch Dichterwerk, nur mit Andacht und heiligem Erstaunen wie eine Art Wunder betrachten können, und die zu allen Zeiten versucht waren, in künstlerischen und dichterischen Darstellungen Offenbarungen Gottes und des Göttlichen zu sehen. Dennoch muß ich einge¬ stehen, daß solche Wunder, wie sie gewisse neuere deutsche Romanschriftsteller gewirkt haben, mir das wunderbarste, was man dem Dichter bis jetzt zutrauen mochte, weit zu übertreffen scheinen. Diese Herren haben es fertig gebracht, daß ein literarisch gebildeter Einjährigfreiwilliger, der von der Rockform seines Urgro߬ vaters keine Ahnung hat, die Hosen und Unterhosen, nicht etwa des Herrn von Bredow, sondern des Herrn Pipin, genannt der Kurze, genau beschreiben kann, und daß ein der höhern Töchterschule entlaufener Backfisch in der Küche einer Pfahldvrfhütte jedenfalls besser Bescheid weiß als in der seiner eignen Mutter! Dieser „Poeten" wunderbares Verdienst ist es, wenn ein sekundärer aus gebildeter Familie, dem die Formen des häuslichen und öffentlichen deutschen Lebens im achtzehnten Jahrhundert spanische Dörfer sind, das Leben und Treiben in Memphis etwa im Jahre 541 vor Christo in allen Einzelheiten genau kennt, z. B. das Kostüm bis auf Form und Stoff der Sandalen- oder Schuhbändchen einer Königs- und etwa einer Totengräberstochter; er kennt genau den Gesprächston, in welchem die verschiednen Stände miteinander ver¬ kehrt, er weiß, was sie in den verschiednen Jahreszeiten gefrühstückt, zu Mittag und zu Abend gegessen haben. Daß er die benutzten Geschirre und jede einzelne der darauf gemalten Hieroglyphen so gut in der Vorstellung hat, als hätte er selber täglich Suppe daraus gegessen, ist selbstverständlich. Es ist eine schöne Seite am deutschen Publikum, daß es für derartige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/428>, abgerufen am 27.09.2024.