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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Wien.

das Vertrauen der Deutschen eingebüßt und sich des Anspruches begeben, in
innern Angelegenheiten mit seinem Rate gehört zu werden. Die Geschichte
seines Sturzes ist noch nicht völlig aufgeklärt. In dem berühmten Krourat,
durch dessen Votum der Bruch mit dem System Hohenwarts herbeigeführt
wurde, soll nach Bensts eigner Darstellung außer ihm nur die Finanzminister
Holzgethan gesprochen und als ein altösterrcichischer, gegen jeden Verdacht
eines ungestümen Liberalismus und eines nationalen Deutschtums gesicherter
Beamter großen Eindruck auf den Kaiser gemacht haben. Holzgethan blieb,
Beust mußte weichen -- man sagte, damit die geschlagenen Tschechen doch eine
Genugthuung erhielten. Wie unerwartet ihm selbst diese Wendung gekommen
sei, konnte oder wollte er nicht verheimlichen, nach allen Seiten richtete er
wehmütige Abschiedsworte, und sogar ein Bericht über seine Abschiedsaudienz
gelangte in die Öffentlichkeit, was ihn vollends um das Vertrauen des Mon¬
archen gebracht haben soll. Aber daran glaubte er nicht. So oft im Laufe
der nächsten Jahre seines Nachfolgers Stellung erschüttert zu sein schien, hatte
Graf Beust dringende Geschäfte auf seinem Gute Altenberg bei Wien, und
unermüdlich thätig war sein Hofmann, halb für Bensts, halb für eigne Rech¬
nung, bis Andrassy sich den lästigen Sektionschef durch dessen Beförderung zum
Neichsfinanzminister vom Halse schaffte.

Ein so lustiges Finanzministerium hat es sobald nicht gegeben. Da waren
Journalisten, Sängerinnen und Tänzerinnen viel mehr zu Hause als trockne
Zahlenmenschen. Die einen berichteten in alle Weltgegenden, daß Österreichs
auswärtige Politik auf dem Holzwege sei und sich täglich Blößen gebe, weil
der gute Geist Hofmanns gewichen sei, die andern holten sich Und bei dem
Finanzminister, der nebenher Zensor für die Hofbühnen und im Grnnde geheimer
Intendant war. Daher lag eigentlich nichts überraschendes in seinem Schritt, als
er die Intendanz förmlich übernahm; charakteristisch ist nur, daß er damit der
Hoffnung auf die Ncichskauzlerschaft durchaus uicht entsagen zu müssen
glaubt. "Finden Sie, daß ich recht handle?" fragte er unmittelbar vor der
Entscheidung einen Vertrauten. "Wenn Exzellenz sich von der staatsmännischen
Thätigkeit gänzlich zurückziehen wollen --" "Ich?" unterbrach ihn Hofmann
ganz erstaunt, "das fällt mir garnicht ein." Nach und nach mußten sich beide
an den Gedanken gewöhnen, daß die Geschichte anch ohne sie weiterrollte, der
einstige Kanzler, der zuguderletzt noch in Paris "sein französisches Herz ent¬
deckte," und der ewige Kandidat des Kanzleramts. Der letztere fand sich mit
besserem Humor in sein Geschick: er war ja ein Wiener, kein Sachse, denen man
eine sentimentale Ader nachsagt.

Und an jene vergangnen Zeiten werde ich anch durch riesige Plakate an
allen Straßenecken erinnert. Es wird ebenfalls zur Zeit des dänischen Krieges
gewesen sein, daß Mitarbeiter der damals einflußreichsten hiesigen Zeitung, der
"Presse," die "Neue Presse" gründeten, weil der Eigentümer des ersteren Blattes


Aus Wien.

das Vertrauen der Deutschen eingebüßt und sich des Anspruches begeben, in
innern Angelegenheiten mit seinem Rate gehört zu werden. Die Geschichte
seines Sturzes ist noch nicht völlig aufgeklärt. In dem berühmten Krourat,
durch dessen Votum der Bruch mit dem System Hohenwarts herbeigeführt
wurde, soll nach Bensts eigner Darstellung außer ihm nur die Finanzminister
Holzgethan gesprochen und als ein altösterrcichischer, gegen jeden Verdacht
eines ungestümen Liberalismus und eines nationalen Deutschtums gesicherter
Beamter großen Eindruck auf den Kaiser gemacht haben. Holzgethan blieb,
Beust mußte weichen — man sagte, damit die geschlagenen Tschechen doch eine
Genugthuung erhielten. Wie unerwartet ihm selbst diese Wendung gekommen
sei, konnte oder wollte er nicht verheimlichen, nach allen Seiten richtete er
wehmütige Abschiedsworte, und sogar ein Bericht über seine Abschiedsaudienz
gelangte in die Öffentlichkeit, was ihn vollends um das Vertrauen des Mon¬
archen gebracht haben soll. Aber daran glaubte er nicht. So oft im Laufe
der nächsten Jahre seines Nachfolgers Stellung erschüttert zu sein schien, hatte
Graf Beust dringende Geschäfte auf seinem Gute Altenberg bei Wien, und
unermüdlich thätig war sein Hofmann, halb für Bensts, halb für eigne Rech¬
nung, bis Andrassy sich den lästigen Sektionschef durch dessen Beförderung zum
Neichsfinanzminister vom Halse schaffte.

Ein so lustiges Finanzministerium hat es sobald nicht gegeben. Da waren
Journalisten, Sängerinnen und Tänzerinnen viel mehr zu Hause als trockne
Zahlenmenschen. Die einen berichteten in alle Weltgegenden, daß Österreichs
auswärtige Politik auf dem Holzwege sei und sich täglich Blößen gebe, weil
der gute Geist Hofmanns gewichen sei, die andern holten sich Und bei dem
Finanzminister, der nebenher Zensor für die Hofbühnen und im Grnnde geheimer
Intendant war. Daher lag eigentlich nichts überraschendes in seinem Schritt, als
er die Intendanz förmlich übernahm; charakteristisch ist nur, daß er damit der
Hoffnung auf die Ncichskauzlerschaft durchaus uicht entsagen zu müssen
glaubt. „Finden Sie, daß ich recht handle?" fragte er unmittelbar vor der
Entscheidung einen Vertrauten. „Wenn Exzellenz sich von der staatsmännischen
Thätigkeit gänzlich zurückziehen wollen —" „Ich?" unterbrach ihn Hofmann
ganz erstaunt, „das fällt mir garnicht ein." Nach und nach mußten sich beide
an den Gedanken gewöhnen, daß die Geschichte anch ohne sie weiterrollte, der
einstige Kanzler, der zuguderletzt noch in Paris „sein französisches Herz ent¬
deckte," und der ewige Kandidat des Kanzleramts. Der letztere fand sich mit
besserem Humor in sein Geschick: er war ja ein Wiener, kein Sachse, denen man
eine sentimentale Ader nachsagt.

Und an jene vergangnen Zeiten werde ich anch durch riesige Plakate an
allen Straßenecken erinnert. Es wird ebenfalls zur Zeit des dänischen Krieges
gewesen sein, daß Mitarbeiter der damals einflußreichsten hiesigen Zeitung, der
„Presse," die „Neue Presse" gründeten, weil der Eigentümer des ersteren Blattes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/309>, abgerufen am 20.10.2024.