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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Wien.

sich geweigert hatte, ihnen dasselbe abzutreten. Das neue Unternehmen hatte u. a,
deshalb Erfolg, weil der Redakteur der alten Presse sich zahllose persönliche
Feinde gemacht hatte, welche sich nun durch Förderung seiner Konkurrentin
rächten. Natürlich fand das Beispiel Nachahmung, und bald entstand fast neben
jeder alten eine neue Zeitung, welche behauptete, die wahre alte zu sein. Das
Glück begünstigte aber nur ein Unternehmen noch. Der Stab eines jener
"Volksblätter." welche durch hohe Politik, Räuberromane und Stadtklatsch das
Bildungsbedürfnis des armen Mannes befriedigten, schied ebenfalls ans, erwarb
ein in den letzten Zügen liegendes Kreuzerblatt "Wiener Tagblatt," setzte dem
Titel das übliche "nen" vor und bezeichnete das Organ als "demokratisches."
Besser würde das Motto gepaßt haben: "Viel Geschick, doch kein Charakter."
Unter Demokratie war da der Lesepöbel aller Stände zu verstehen, für dessen
Geschmack die Redaktion vom ersten Tage an das feinste Verständnis bekundete.
Unter anderen wurde eine Rubrik für die halbvcrschämte Anpreisung einer Waare
eingerichtet, welche sonst nur zu später Abendstunde ans den Gassen sich selbst
anzubieten Pflegt. Natürlich blühte das Geschäft, natürlich beeilten sich alle
finanziellen und industriellen Unternehmungen, sich des Wohlwollens des ver¬
breiteten Blattes stets aufs neue zu versichern, natürlich ging dies an eine
Aktiengesellschaft über, deren Präsident der Hauptredakteur war. Und nun ist
auf einmal die schöne Harmonie gestört. Der Berwaltuugsrat der Aktiengesell¬
schaft erklärt, daß die Forderungen des Herrn Präsidenten nicht mehr zu er¬
füllen gewesen seien, Hunderttausende habe er in den letzten Jahren bezogen,
ohne zufriedengestellt zu sein. In aller Stille habe er dasselbe Blatt, aus
welchem vor zwanzig Jahren das Tagblatt sich abgezweigt hatte, und das
langsam zu Grunde gegangen war, an sich gebracht; aber der Bruch und die Kon¬
kurrenz seien doch dem bisherigen Verhältnis vorzuziehen. Und richtig läßt der
bisherige Redakteur des "Neuen Wiener Tagblattes" nun ein "Wiener Taglatt"
erscheinen, welches ganz genau ebenso ausschaut wie das "Neue" und nach eigner,
sehr glaubwürdiger Versicherung in genau demselben Geiste redigirt werden soll,
eigentlich das echte alte "Neue Wiener Tagblatt" sein wird. Altes Neues und
Neues Altes bekämpfen einander nnn in Plataeer und Artikeln, die Ankün-
digungen werden in deu Kaffeehäusern nicht allein auf die Lesetische, sondern anch
-- welche bescheidene Selbsterkenntnis! -- an Orte gelegt, wohin sonst die
Zeitungen erst nach der Lektüre gelangen. Und das gebildete Publikum ist
höchst aufgeregt, ob es seine Gunst dem Johann Maria Farina am Jülichsplatz
oder dem Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichsplatz zuwenden soll, denn
daß beide Fabrikate gleich kräftig und wohlriechend sein, daß beide Blätter einzig
und allein für das Wohl der Menschheit wirken werden, darüber kann ja kein
Zweifel bestehen. Hoffentlich zieht nächstens ein Festredner bei dem herkömm¬
lichen Trinkspruch auf die Presse, diese größte Errungenschaft der "Jetztzeit,"
das Beispiel dieses uneigennützigen Wetteifers heran.


Aus Wien.

sich geweigert hatte, ihnen dasselbe abzutreten. Das neue Unternehmen hatte u. a,
deshalb Erfolg, weil der Redakteur der alten Presse sich zahllose persönliche
Feinde gemacht hatte, welche sich nun durch Förderung seiner Konkurrentin
rächten. Natürlich fand das Beispiel Nachahmung, und bald entstand fast neben
jeder alten eine neue Zeitung, welche behauptete, die wahre alte zu sein. Das
Glück begünstigte aber nur ein Unternehmen noch. Der Stab eines jener
„Volksblätter." welche durch hohe Politik, Räuberromane und Stadtklatsch das
Bildungsbedürfnis des armen Mannes befriedigten, schied ebenfalls ans, erwarb
ein in den letzten Zügen liegendes Kreuzerblatt „Wiener Tagblatt," setzte dem
Titel das übliche „nen" vor und bezeichnete das Organ als „demokratisches."
Besser würde das Motto gepaßt haben: „Viel Geschick, doch kein Charakter."
Unter Demokratie war da der Lesepöbel aller Stände zu verstehen, für dessen
Geschmack die Redaktion vom ersten Tage an das feinste Verständnis bekundete.
Unter anderen wurde eine Rubrik für die halbvcrschämte Anpreisung einer Waare
eingerichtet, welche sonst nur zu später Abendstunde ans den Gassen sich selbst
anzubieten Pflegt. Natürlich blühte das Geschäft, natürlich beeilten sich alle
finanziellen und industriellen Unternehmungen, sich des Wohlwollens des ver¬
breiteten Blattes stets aufs neue zu versichern, natürlich ging dies an eine
Aktiengesellschaft über, deren Präsident der Hauptredakteur war. Und nun ist
auf einmal die schöne Harmonie gestört. Der Berwaltuugsrat der Aktiengesell¬
schaft erklärt, daß die Forderungen des Herrn Präsidenten nicht mehr zu er¬
füllen gewesen seien, Hunderttausende habe er in den letzten Jahren bezogen,
ohne zufriedengestellt zu sein. In aller Stille habe er dasselbe Blatt, aus
welchem vor zwanzig Jahren das Tagblatt sich abgezweigt hatte, und das
langsam zu Grunde gegangen war, an sich gebracht; aber der Bruch und die Kon¬
kurrenz seien doch dem bisherigen Verhältnis vorzuziehen. Und richtig läßt der
bisherige Redakteur des „Neuen Wiener Tagblattes" nun ein „Wiener Taglatt"
erscheinen, welches ganz genau ebenso ausschaut wie das „Neue" und nach eigner,
sehr glaubwürdiger Versicherung in genau demselben Geiste redigirt werden soll,
eigentlich das echte alte „Neue Wiener Tagblatt" sein wird. Altes Neues und
Neues Altes bekämpfen einander nnn in Plataeer und Artikeln, die Ankün-
digungen werden in deu Kaffeehäusern nicht allein auf die Lesetische, sondern anch
— welche bescheidene Selbsterkenntnis! — an Orte gelegt, wohin sonst die
Zeitungen erst nach der Lektüre gelangen. Und das gebildete Publikum ist
höchst aufgeregt, ob es seine Gunst dem Johann Maria Farina am Jülichsplatz
oder dem Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichsplatz zuwenden soll, denn
daß beide Fabrikate gleich kräftig und wohlriechend sein, daß beide Blätter einzig
und allein für das Wohl der Menschheit wirken werden, darüber kann ja kein
Zweifel bestehen. Hoffentlich zieht nächstens ein Festredner bei dem herkömm¬
lichen Trinkspruch auf die Presse, diese größte Errungenschaft der „Jetztzeit,"
das Beispiel dieses uneigennützigen Wetteifers heran.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/310>, abgerufen am 19.10.2024.