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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Wien.

politische Individualitäten" mit ständischen Vertretungen und einem Neichsrat
als Extrakt der Landtage. Allein er war thatsächlich schon unterlegen, als
Beust sich gewandt zwischen ihn und die Ungarn hineinschob, und mit seinem
Namen zeichnete, was sich anch ohne ihn vollzogen haben würde -- nur lang¬
samer und wahrscheinlich mit besserer Überlegung. Die übereilte Schöpfung,
das Reich auf zehnjährige Kündigung, wie man sie genannt hat, liegt uns noch
heute und wird uns noch lange wie ein Stein im Magen liegen. Im Augen¬
blick aber herrschte Glückseligkeit. Ju Sachsen hatte Beust die Presse geknebelt,
in Österreich schmeichelte er ihr, in Sachsen war er der unerbittliche Feind des Li¬
beralismus gewesen, in Österreich machte er sich zu dessen Patron; und so hatte
er nicht nur die Ungarn für sich, die ihm freilich Dank schuldeten, sondern auch
die Deutschen ließen sich einreden, ihnen sei großes Heil widerfahren, weil ihnen
der Dualismus beschert worden war, den sie durchaus nicht hatten haben wollen.
Ach, daß sie ewig grünen geblieben wäre, die schöne Zeit der liberalen Gesetze
und des volkswirtschaftlichen Aufschwunges, als man Giskra auf den Schultern
herumtrug, Beust und sein Hofmann sich von den Wogen des Wiener Lebens
schaukeln ließen, und jemand, der sich in Geldverlegenheit befand, nur eine
Bank zu gründen brauchte, um sofort im Überfluß zu schwimmen. Bismarck
war Reichskanzler, Beust auch, Bismarck war Graf geworden, Beust auch, und
die berüchtigten "Türkenloose" ins Land gelassen und den Schienenweg nach der
Türkei uns versperrt zu haben, konnte Bismarck sich nicht einmal rühmen.
Jetzt fehlte uur noch Növemol^z xcmr L-iämvg..

Daß Beust bereit gewesen wäre, mit den Franzosen, nötigenfalls auch mit
Buschmännern und Karaiben, über Deutschland herzufallen, dafür bedürfte es
nicht erst des Zeugnisses des großen Diplomaten Grammont; aber sein Hinter¬
gedanke war doch wohl, daß es seiner Kunst gelingen werde, den Bundes¬
genossen um den Kampfpreis zu prellen und so der Wiederhersteller Groß-
dentschlands zu werden. Als der Krieg 1870 drohte, gab man am Ballplatz
die Parole aus, Kleiudeutschlaud werde nicht die Widerstandskraft des alten
deutschen Bundes erweisen; doch gleichviel, ob Preußen oder Frankreich siegen
sollte oder beide einander gewachsen wären, immer würde sich Österreich die
Gelegenheit bieten, die gänzliche Niederwerfung des einen Teils oder ein nutz¬
loses Blutvergießen zu verhindern, den Frieden zu diktiren und seinen Wieder¬
eintritt in den Bund zu erzwingen. Ich habe Grund anzunehmen, daß er
absichtlich die Entschließung verzögerte, die Kriegspartei zügelte. Was dann
wirklich geschah, und wie er rasch auf die andre Seite sprang, daran brauche
ich nicht zu erinnern.

Damals hatte er sich schon längst auf das Gebiet der auswärtigen Politik
zurückgezogen. Die von ihm empfohlenen Wortführer der Reichsratsopposition
hatten kläglich Bankerott gemacht, er selbst hatte durch geheime Unterhandlungen
mit den Tschechen zum Sturz des sogenannten Bürgerministeriums beigetragen,


Aus Wien.

politische Individualitäten" mit ständischen Vertretungen und einem Neichsrat
als Extrakt der Landtage. Allein er war thatsächlich schon unterlegen, als
Beust sich gewandt zwischen ihn und die Ungarn hineinschob, und mit seinem
Namen zeichnete, was sich anch ohne ihn vollzogen haben würde — nur lang¬
samer und wahrscheinlich mit besserer Überlegung. Die übereilte Schöpfung,
das Reich auf zehnjährige Kündigung, wie man sie genannt hat, liegt uns noch
heute und wird uns noch lange wie ein Stein im Magen liegen. Im Augen¬
blick aber herrschte Glückseligkeit. Ju Sachsen hatte Beust die Presse geknebelt,
in Österreich schmeichelte er ihr, in Sachsen war er der unerbittliche Feind des Li¬
beralismus gewesen, in Österreich machte er sich zu dessen Patron; und so hatte
er nicht nur die Ungarn für sich, die ihm freilich Dank schuldeten, sondern auch
die Deutschen ließen sich einreden, ihnen sei großes Heil widerfahren, weil ihnen
der Dualismus beschert worden war, den sie durchaus nicht hatten haben wollen.
Ach, daß sie ewig grünen geblieben wäre, die schöne Zeit der liberalen Gesetze
und des volkswirtschaftlichen Aufschwunges, als man Giskra auf den Schultern
herumtrug, Beust und sein Hofmann sich von den Wogen des Wiener Lebens
schaukeln ließen, und jemand, der sich in Geldverlegenheit befand, nur eine
Bank zu gründen brauchte, um sofort im Überfluß zu schwimmen. Bismarck
war Reichskanzler, Beust auch, Bismarck war Graf geworden, Beust auch, und
die berüchtigten „Türkenloose" ins Land gelassen und den Schienenweg nach der
Türkei uns versperrt zu haben, konnte Bismarck sich nicht einmal rühmen.
Jetzt fehlte uur noch Növemol^z xcmr L-iämvg..

Daß Beust bereit gewesen wäre, mit den Franzosen, nötigenfalls auch mit
Buschmännern und Karaiben, über Deutschland herzufallen, dafür bedürfte es
nicht erst des Zeugnisses des großen Diplomaten Grammont; aber sein Hinter¬
gedanke war doch wohl, daß es seiner Kunst gelingen werde, den Bundes¬
genossen um den Kampfpreis zu prellen und so der Wiederhersteller Groß-
dentschlands zu werden. Als der Krieg 1870 drohte, gab man am Ballplatz
die Parole aus, Kleiudeutschlaud werde nicht die Widerstandskraft des alten
deutschen Bundes erweisen; doch gleichviel, ob Preußen oder Frankreich siegen
sollte oder beide einander gewachsen wären, immer würde sich Österreich die
Gelegenheit bieten, die gänzliche Niederwerfung des einen Teils oder ein nutz¬
loses Blutvergießen zu verhindern, den Frieden zu diktiren und seinen Wieder¬
eintritt in den Bund zu erzwingen. Ich habe Grund anzunehmen, daß er
absichtlich die Entschließung verzögerte, die Kriegspartei zügelte. Was dann
wirklich geschah, und wie er rasch auf die andre Seite sprang, daran brauche
ich nicht zu erinnern.

Damals hatte er sich schon längst auf das Gebiet der auswärtigen Politik
zurückgezogen. Die von ihm empfohlenen Wortführer der Reichsratsopposition
hatten kläglich Bankerott gemacht, er selbst hatte durch geheime Unterhandlungen
mit den Tschechen zum Sturz des sogenannten Bürgerministeriums beigetragen,


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[0308] Aus Wien. politische Individualitäten" mit ständischen Vertretungen und einem Neichsrat als Extrakt der Landtage. Allein er war thatsächlich schon unterlegen, als Beust sich gewandt zwischen ihn und die Ungarn hineinschob, und mit seinem Namen zeichnete, was sich anch ohne ihn vollzogen haben würde — nur lang¬ samer und wahrscheinlich mit besserer Überlegung. Die übereilte Schöpfung, das Reich auf zehnjährige Kündigung, wie man sie genannt hat, liegt uns noch heute und wird uns noch lange wie ein Stein im Magen liegen. Im Augen¬ blick aber herrschte Glückseligkeit. Ju Sachsen hatte Beust die Presse geknebelt, in Österreich schmeichelte er ihr, in Sachsen war er der unerbittliche Feind des Li¬ beralismus gewesen, in Österreich machte er sich zu dessen Patron; und so hatte er nicht nur die Ungarn für sich, die ihm freilich Dank schuldeten, sondern auch die Deutschen ließen sich einreden, ihnen sei großes Heil widerfahren, weil ihnen der Dualismus beschert worden war, den sie durchaus nicht hatten haben wollen. Ach, daß sie ewig grünen geblieben wäre, die schöne Zeit der liberalen Gesetze und des volkswirtschaftlichen Aufschwunges, als man Giskra auf den Schultern herumtrug, Beust und sein Hofmann sich von den Wogen des Wiener Lebens schaukeln ließen, und jemand, der sich in Geldverlegenheit befand, nur eine Bank zu gründen brauchte, um sofort im Überfluß zu schwimmen. Bismarck war Reichskanzler, Beust auch, Bismarck war Graf geworden, Beust auch, und die berüchtigten „Türkenloose" ins Land gelassen und den Schienenweg nach der Türkei uns versperrt zu haben, konnte Bismarck sich nicht einmal rühmen. Jetzt fehlte uur noch Növemol^z xcmr L-iämvg.. Daß Beust bereit gewesen wäre, mit den Franzosen, nötigenfalls auch mit Buschmännern und Karaiben, über Deutschland herzufallen, dafür bedürfte es nicht erst des Zeugnisses des großen Diplomaten Grammont; aber sein Hinter¬ gedanke war doch wohl, daß es seiner Kunst gelingen werde, den Bundes¬ genossen um den Kampfpreis zu prellen und so der Wiederhersteller Groß- dentschlands zu werden. Als der Krieg 1870 drohte, gab man am Ballplatz die Parole aus, Kleiudeutschlaud werde nicht die Widerstandskraft des alten deutschen Bundes erweisen; doch gleichviel, ob Preußen oder Frankreich siegen sollte oder beide einander gewachsen wären, immer würde sich Österreich die Gelegenheit bieten, die gänzliche Niederwerfung des einen Teils oder ein nutz¬ loses Blutvergießen zu verhindern, den Frieden zu diktiren und seinen Wieder¬ eintritt in den Bund zu erzwingen. Ich habe Grund anzunehmen, daß er absichtlich die Entschließung verzögerte, die Kriegspartei zügelte. Was dann wirklich geschah, und wie er rasch auf die andre Seite sprang, daran brauche ich nicht zu erinnern. Damals hatte er sich schon längst auf das Gebiet der auswärtigen Politik zurückgezogen. Die von ihm empfohlenen Wortführer der Reichsratsopposition hatten kläglich Bankerott gemacht, er selbst hatte durch geheime Unterhandlungen mit den Tschechen zum Sturz des sogenannten Bürgerministeriums beigetragen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/308>, abgerufen am 27.09.2024.