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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus Wien.

daß die Einheimischen sich kaum zurecht finden! Ob er sich in der That damals
schon den alles durchdringenden Blick und die ^Vunderhand zugetraut hat, wie
nachher, nach der Befriedigung Ungarns? Gleichviel, er wagte es und er mußte
es seiner Natur nach wagen.

Veust ist ost und auch in diesen Tagen wieder als die Verkörperung des
deutschen Partikularismus dargestellt worden. Ich halte das für unrichtig.
Er hatte eine sehr hohe Meinung von sich, war thatenlustig und ehrgeizig,
wollte eine geschichtliche Rolle spielen. Eine kurze Zeit konnte es ihm genügen,
erster Minister in seinem kleinen Vaterlande zu sein, aber bald sehnte er sich
nach einer größern Bühne, und hätte Preußen seine Dienste begehrt, er würde
sich schwerlich lange besonnen haben. Als überall die Reaktion triumphirte,
suchte er der Welt begreiflich zu macheu, daß er an deren Spitze stehe. Der
Jahrgang 1851 der Leipziger "Jllustrirten Zeitung" muß einen offenbar von
ihm beeinflußten Artikel über den großen sächsischen Minister enthalten, welcher
dem angeblich noch immer mit der Revolution kokettirenden Preußen als
Muster hingestellt wird. Als nach dem Kriege von 1859 und dem Thron¬
wechsel in Preußen Deutschland sich wieder rührte, wurde er urplötzlich national
und liberal gesinnt, und sein Erscheinen auf dem Leipziger Turnfeste 1863 ist
noch unvergessen. Seine ganze mittelstaatliche Geschäftigkeit, sein Propagiren
der Triasidee, alles hatte nur den einen Zweck, einen Boden zu gewinnen, auf
dem ein Staatsmann sich produziren könnte, der weder österreichisch noch
preußisch war. Die Londoner Konferenz belohnte seine Anstrengungen, er saß
in einem europäischen Rate, und hatte noch die Nebenfreude, seinen Rivalen
v. d. Pfordten aus dem Felde geschlagen zu haben. Allerdings war die Frende
kurz. Welche Zukunftsbilder ihm vorgeschwebt haben mögen, als er es zum
Bruch mit Preußen trieb, ob er nicht schon die Markgrafschaft Brandenburg
alles Lciudcrerwerbs aus den letzten zwei Jahrhunderten entledigt und sich selbst
als leitenden Staatsmann in einem Sachsen gesehen haben mag, welches wieder
den Umfang und die Bedeutung wie im sechzehnten Jahrhundert hatte -- wer
kann das wissen. Hingegen läßt sich mit einiger Genauigkeit seine Gemüts¬
stimmung nach den Tagen von Nikolsburg berechnen. Als sächsischer Minister
unmöglich -- was weiter? Oppositionsführer im Norddeutschen Reichstage und
im Zollparlament? Wer hätte damals geahnt, daß mit dem Widerstande
gegen die Einigung Deutschlands noch einmal parlamentarische Geschäfte zu
macheu sein würden! Sich ins Privatleben zurückziehen? Das hätte er nicht
ausgehalten. Und da wurde der Schiffbrüchige, der sich an Bord eines Drei¬
masters gerettet hatte, ohne weiteres zu dessen Kapitän gemacht, verhalf
die vernichtende Niederlage ihm zur Erfüllung seiner kühnsten Träume. Sollte
der Schicksalswechsel ihn nicht schwindelig machen?

Der damalige Ministerpräsident Graf Belcredi stand noch auf dem Boden
von 1860: um den Dualismus zu verhüten, lieber Föderalismus, "historisch-


Aus Wien.

daß die Einheimischen sich kaum zurecht finden! Ob er sich in der That damals
schon den alles durchdringenden Blick und die ^Vunderhand zugetraut hat, wie
nachher, nach der Befriedigung Ungarns? Gleichviel, er wagte es und er mußte
es seiner Natur nach wagen.

Veust ist ost und auch in diesen Tagen wieder als die Verkörperung des
deutschen Partikularismus dargestellt worden. Ich halte das für unrichtig.
Er hatte eine sehr hohe Meinung von sich, war thatenlustig und ehrgeizig,
wollte eine geschichtliche Rolle spielen. Eine kurze Zeit konnte es ihm genügen,
erster Minister in seinem kleinen Vaterlande zu sein, aber bald sehnte er sich
nach einer größern Bühne, und hätte Preußen seine Dienste begehrt, er würde
sich schwerlich lange besonnen haben. Als überall die Reaktion triumphirte,
suchte er der Welt begreiflich zu macheu, daß er an deren Spitze stehe. Der
Jahrgang 1851 der Leipziger „Jllustrirten Zeitung" muß einen offenbar von
ihm beeinflußten Artikel über den großen sächsischen Minister enthalten, welcher
dem angeblich noch immer mit der Revolution kokettirenden Preußen als
Muster hingestellt wird. Als nach dem Kriege von 1859 und dem Thron¬
wechsel in Preußen Deutschland sich wieder rührte, wurde er urplötzlich national
und liberal gesinnt, und sein Erscheinen auf dem Leipziger Turnfeste 1863 ist
noch unvergessen. Seine ganze mittelstaatliche Geschäftigkeit, sein Propagiren
der Triasidee, alles hatte nur den einen Zweck, einen Boden zu gewinnen, auf
dem ein Staatsmann sich produziren könnte, der weder österreichisch noch
preußisch war. Die Londoner Konferenz belohnte seine Anstrengungen, er saß
in einem europäischen Rate, und hatte noch die Nebenfreude, seinen Rivalen
v. d. Pfordten aus dem Felde geschlagen zu haben. Allerdings war die Frende
kurz. Welche Zukunftsbilder ihm vorgeschwebt haben mögen, als er es zum
Bruch mit Preußen trieb, ob er nicht schon die Markgrafschaft Brandenburg
alles Lciudcrerwerbs aus den letzten zwei Jahrhunderten entledigt und sich selbst
als leitenden Staatsmann in einem Sachsen gesehen haben mag, welches wieder
den Umfang und die Bedeutung wie im sechzehnten Jahrhundert hatte — wer
kann das wissen. Hingegen läßt sich mit einiger Genauigkeit seine Gemüts¬
stimmung nach den Tagen von Nikolsburg berechnen. Als sächsischer Minister
unmöglich — was weiter? Oppositionsführer im Norddeutschen Reichstage und
im Zollparlament? Wer hätte damals geahnt, daß mit dem Widerstande
gegen die Einigung Deutschlands noch einmal parlamentarische Geschäfte zu
macheu sein würden! Sich ins Privatleben zurückziehen? Das hätte er nicht
ausgehalten. Und da wurde der Schiffbrüchige, der sich an Bord eines Drei¬
masters gerettet hatte, ohne weiteres zu dessen Kapitän gemacht, verhalf
die vernichtende Niederlage ihm zur Erfüllung seiner kühnsten Träume. Sollte
der Schicksalswechsel ihn nicht schwindelig machen?

Der damalige Ministerpräsident Graf Belcredi stand noch auf dem Boden
von 1860: um den Dualismus zu verhüten, lieber Föderalismus, „historisch-


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[0307] Aus Wien. daß die Einheimischen sich kaum zurecht finden! Ob er sich in der That damals schon den alles durchdringenden Blick und die ^Vunderhand zugetraut hat, wie nachher, nach der Befriedigung Ungarns? Gleichviel, er wagte es und er mußte es seiner Natur nach wagen. Veust ist ost und auch in diesen Tagen wieder als die Verkörperung des deutschen Partikularismus dargestellt worden. Ich halte das für unrichtig. Er hatte eine sehr hohe Meinung von sich, war thatenlustig und ehrgeizig, wollte eine geschichtliche Rolle spielen. Eine kurze Zeit konnte es ihm genügen, erster Minister in seinem kleinen Vaterlande zu sein, aber bald sehnte er sich nach einer größern Bühne, und hätte Preußen seine Dienste begehrt, er würde sich schwerlich lange besonnen haben. Als überall die Reaktion triumphirte, suchte er der Welt begreiflich zu macheu, daß er an deren Spitze stehe. Der Jahrgang 1851 der Leipziger „Jllustrirten Zeitung" muß einen offenbar von ihm beeinflußten Artikel über den großen sächsischen Minister enthalten, welcher dem angeblich noch immer mit der Revolution kokettirenden Preußen als Muster hingestellt wird. Als nach dem Kriege von 1859 und dem Thron¬ wechsel in Preußen Deutschland sich wieder rührte, wurde er urplötzlich national und liberal gesinnt, und sein Erscheinen auf dem Leipziger Turnfeste 1863 ist noch unvergessen. Seine ganze mittelstaatliche Geschäftigkeit, sein Propagiren der Triasidee, alles hatte nur den einen Zweck, einen Boden zu gewinnen, auf dem ein Staatsmann sich produziren könnte, der weder österreichisch noch preußisch war. Die Londoner Konferenz belohnte seine Anstrengungen, er saß in einem europäischen Rate, und hatte noch die Nebenfreude, seinen Rivalen v. d. Pfordten aus dem Felde geschlagen zu haben. Allerdings war die Frende kurz. Welche Zukunftsbilder ihm vorgeschwebt haben mögen, als er es zum Bruch mit Preußen trieb, ob er nicht schon die Markgrafschaft Brandenburg alles Lciudcrerwerbs aus den letzten zwei Jahrhunderten entledigt und sich selbst als leitenden Staatsmann in einem Sachsen gesehen haben mag, welches wieder den Umfang und die Bedeutung wie im sechzehnten Jahrhundert hatte — wer kann das wissen. Hingegen läßt sich mit einiger Genauigkeit seine Gemüts¬ stimmung nach den Tagen von Nikolsburg berechnen. Als sächsischer Minister unmöglich — was weiter? Oppositionsführer im Norddeutschen Reichstage und im Zollparlament? Wer hätte damals geahnt, daß mit dem Widerstande gegen die Einigung Deutschlands noch einmal parlamentarische Geschäfte zu macheu sein würden! Sich ins Privatleben zurückziehen? Das hätte er nicht ausgehalten. Und da wurde der Schiffbrüchige, der sich an Bord eines Drei¬ masters gerettet hatte, ohne weiteres zu dessen Kapitän gemacht, verhalf die vernichtende Niederlage ihm zur Erfüllung seiner kühnsten Träume. Sollte der Schicksalswechsel ihn nicht schwindelig machen? Der damalige Ministerpräsident Graf Belcredi stand noch auf dem Boden von 1860: um den Dualismus zu verhüten, lieber Föderalismus, „historisch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/307>, abgerufen am 27.09.2024.