Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments. Die Wahlen der Gemeinen geschahen anfänglich ziemlich regellos, und es Dergestalt hat sich bis zum Anfang des fünfzehnte" Jahrhunderts das Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments. Die Wahlen der Gemeinen geschahen anfänglich ziemlich regellos, und es Dergestalt hat sich bis zum Anfang des fünfzehnte» Jahrhunderts das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199382"/> <fw type="header" place="top"> Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments.</fw><lb/> <p xml:id="ID_45"> Die Wahlen der Gemeinen geschahen anfänglich ziemlich regellos, und es<lb/> kommt vor, daß die Sheriffs über Leute als gewählt berichteten, über welche in<lb/> Wahrheit garnicht abgestimmt war; wenn ein Sheriff gewaltthätig und hart<lb/> genug vorging, so konnte er die Wähler überrumpeln und erst noch behaupten,<lb/> der ihm genehme Manu sei »öirrinö vomer^äiLonto gewählt. Seit dem Ende<lb/> des Vierzehnten Jahrhunderts aber entwickelte sich ein Parteileben und eine<lb/> Parteiorganisation; mau nimmt jetzt allgemein Anteil am Ausfall der Wahlen<lb/> und umgiebt sie mit Bürgschaften: der Wahlakt soll vierzehn Tage vorher be¬<lb/> kannt gemacht, sein Ergebnis soll in voller Versammlung verkündigt, das Pro¬<lb/> tokoll förmlich untersiegelt werden u, s, w.; ein Sheriff, welcher das Gesetz ver¬<lb/> letzt, soll mit einer Strafe von hundert Pfund Sterling belegt und die ungehörig<lb/> ernannten Mitglieder ihrer Tagegelder für verlustig erklärt werden. Wählen<lb/> darf nur ein Freisasse, <M 40 solielos «ze ultr-l xcsr Wnos oxxeiräorö xossit,<lb/> d. h, welcher vierzig Schillinge Jahreseinkommen hat. Gewählt werden können<lb/> für die Grafschaften nur Ritter oder Esqnires, annos rvrn. Mi voinitAw,<lb/> welche zwanzig Pfund Grnudeinkommeu haben, für die Städte nur solche, welche<lb/> am Stadtregimente persönlich Anteil nehmen; es bestand in den Städte» er¬<lb/> sichtlich eine Richtung auf die Oligarchie. Die Gesamtzahl der ooinnronsrs<lb/> beläuft sich schließlich auf 74 Ritter als Vertreter der 37 Grafschaften, nud<lb/> reichlich 200 Bürger als Vertreter von über 100 Städten und Burgfleckcn.<lb/> Charakteristisch ist, daß kleinere borougds sich Befreiung vom Parlament als<lb/> Wohlthat zusichern lassen, weil sie die hohen Tagegelder nicht zahlen mochten;<lb/> von dem Flecken Tahton heißt es sogar, er sei ans Bosheit mit einer Berufung<lb/> belastet worden — malte-im-k g.ä uMLirclos llonüuos ni?n,r1miliLnww, ousis-of!</p><lb/> <p xml:id="ID_46" next="#ID_47"> Dergestalt hat sich bis zum Anfang des fünfzehnte» Jahrhunderts das<lb/> englische Parlament in einer Weise gebildet, welche vierhundert Jahre Bestand<lb/> gehabt hat und in nachhaltiger Art erst durch die drei Neformbills des neun¬<lb/> zehnten Jahrhunderts, von 1832, 1867 und 1884, umgestoßen worden ist. Wir<lb/> verzichten darauf, all den Entwicklungen im einzelnen zu folgen, dnrch welche<lb/> die Rechte, namentlich des Unterhauses, bald beeinträchtigt, viel häusiger jedoch<lb/> vermehrt worden sind. Selbst unter dem selbstherrlichen Regimente der jung¬<lb/> fräulichen Königin hat das Unterhaus z. B. 1586 das Recht erkämpft, über<lb/> bestrittene Wahlen selbst zu entscheiden; die Vorrechte seiner Mitglieder sind<lb/> stetig gewachsen, und heute steht das Oberhaus vor der Frage seines weiter»<lb/> Bestandes; das Unterhaus dagegen hat die Regierung, wenigstens in allen innern<lb/> Fragen, in völlige Abhängigkeit von sich gebracht. Dieses Unterhaus aber<lb/> ist gleichzeitig demokratisirt; es geht seit 1885 hervor aus einer Abstimmung,<lb/> an welcher etwa fünf Millionen Wähler beteiligt sind. Das ist noch nicht einmal<lb/> sehr viel im Vergleiche zu den Großstaaten des westlichen festländischen Europas;<lb/> noch ist das Wahlrecht an den Besitz einer Wohnung oder Miethwohnung<lb/> von 200 Mark Mietswcrt geknüpft; aber es ist mehr als genug gewesen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments.
Die Wahlen der Gemeinen geschahen anfänglich ziemlich regellos, und es
kommt vor, daß die Sheriffs über Leute als gewählt berichteten, über welche in
Wahrheit garnicht abgestimmt war; wenn ein Sheriff gewaltthätig und hart
genug vorging, so konnte er die Wähler überrumpeln und erst noch behaupten,
der ihm genehme Manu sei »öirrinö vomer^äiLonto gewählt. Seit dem Ende
des Vierzehnten Jahrhunderts aber entwickelte sich ein Parteileben und eine
Parteiorganisation; mau nimmt jetzt allgemein Anteil am Ausfall der Wahlen
und umgiebt sie mit Bürgschaften: der Wahlakt soll vierzehn Tage vorher be¬
kannt gemacht, sein Ergebnis soll in voller Versammlung verkündigt, das Pro¬
tokoll förmlich untersiegelt werden u, s, w.; ein Sheriff, welcher das Gesetz ver¬
letzt, soll mit einer Strafe von hundert Pfund Sterling belegt und die ungehörig
ernannten Mitglieder ihrer Tagegelder für verlustig erklärt werden. Wählen
darf nur ein Freisasse, <M 40 solielos «ze ultr-l xcsr Wnos oxxeiräorö xossit,
d. h, welcher vierzig Schillinge Jahreseinkommen hat. Gewählt werden können
für die Grafschaften nur Ritter oder Esqnires, annos rvrn. Mi voinitAw,
welche zwanzig Pfund Grnudeinkommeu haben, für die Städte nur solche, welche
am Stadtregimente persönlich Anteil nehmen; es bestand in den Städte» er¬
sichtlich eine Richtung auf die Oligarchie. Die Gesamtzahl der ooinnronsrs
beläuft sich schließlich auf 74 Ritter als Vertreter der 37 Grafschaften, nud
reichlich 200 Bürger als Vertreter von über 100 Städten und Burgfleckcn.
Charakteristisch ist, daß kleinere borougds sich Befreiung vom Parlament als
Wohlthat zusichern lassen, weil sie die hohen Tagegelder nicht zahlen mochten;
von dem Flecken Tahton heißt es sogar, er sei ans Bosheit mit einer Berufung
belastet worden — malte-im-k g.ä uMLirclos llonüuos ni?n,r1miliLnww, ousis-of!
Dergestalt hat sich bis zum Anfang des fünfzehnte» Jahrhunderts das
englische Parlament in einer Weise gebildet, welche vierhundert Jahre Bestand
gehabt hat und in nachhaltiger Art erst durch die drei Neformbills des neun¬
zehnten Jahrhunderts, von 1832, 1867 und 1884, umgestoßen worden ist. Wir
verzichten darauf, all den Entwicklungen im einzelnen zu folgen, dnrch welche
die Rechte, namentlich des Unterhauses, bald beeinträchtigt, viel häusiger jedoch
vermehrt worden sind. Selbst unter dem selbstherrlichen Regimente der jung¬
fräulichen Königin hat das Unterhaus z. B. 1586 das Recht erkämpft, über
bestrittene Wahlen selbst zu entscheiden; die Vorrechte seiner Mitglieder sind
stetig gewachsen, und heute steht das Oberhaus vor der Frage seines weiter»
Bestandes; das Unterhaus dagegen hat die Regierung, wenigstens in allen innern
Fragen, in völlige Abhängigkeit von sich gebracht. Dieses Unterhaus aber
ist gleichzeitig demokratisirt; es geht seit 1885 hervor aus einer Abstimmung,
an welcher etwa fünf Millionen Wähler beteiligt sind. Das ist noch nicht einmal
sehr viel im Vergleiche zu den Großstaaten des westlichen festländischen Europas;
noch ist das Wahlrecht an den Besitz einer Wohnung oder Miethwohnung
von 200 Mark Mietswcrt geknüpft; aber es ist mehr als genug gewesen,
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