Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der ewige Inde.

vollen Wert gewinnt," Das achte Bild endlich zeigt Ahasver zwischen den
rauchenden Trümmern des eben von den Türken zerstörten Konstantinopels.
Die Dämonen des Vorspiels gesellen sich nacheinander zu ihm; sie wechseln
Erinnerungen an alle die furchtbaren Ereignisse aus, bei deuen er sie angetroffen
hat. Mit geschlossenem Visir erscheint schließlich der Meister Tod, Ihm hul¬
digen alle übrigen Dämonen, nur Ahasver erkennt ihn nicht und fragt ihn in
seiner kecken Weise, wer er sei? "Du rutschest auf den Knieen noch vor mir!"
ruft ihm der Dämon, das Visir lüftend, zu und versinkt. Ahasver hat ihn
am Totenschädel, der hinterm Visir sichtbar wurde, erkannt und streckt ihm
knieend die Hände nach,

Nun endlich sind die tausend Jahre des Zauberschlafes um, und nach
diesen grandiosen Bildern ist der Leser auf die weitere Entwicklung nicht minder
als der erlösuugsbedürftige ewige Jude gespannt. Aber beiden soll eine bittere
Enttäuschung werden. Jener Walafricd, in dessen Händen Ahasvers Schicksal
liegt, bleibt ein gnr zu unbedeutender Mensch, er ist kein poetisch ebenbürtiger
Gegenspieler zu seinem Urahn, die frühere Handlung wiederholt sich im Grunde
genommen, und das ist der große Fehler dieser folgenden drei Akte. Pünktlich
stellt sich der ewige Wanderer bei der Geisterhöhle des Untersberges in Salz¬
burg ein. Pünktlich werden die drei Verzauberter aus dem Baun entlassen.
Sie glauben alle nur eine kurze Nacht verschlafen zu haben und wundern sich über
die veränderte Welt. Natürlich! Doch finden sie sich bald in dieser neuen Welt
zurecht, und zwar Aurelius und Widumar mit Hilfe Ahasvers, der ihnen den guten
Rat giebt, sich zum Christeutume zu halten. Walasried erhält die Minne zur
Führerin; das gute Mädchen konnte sich von seinem Helden nicht, wie Saelde
und Aventiure von den ihrigen, trennen. Sie begleitet Walafricd auf dem Wege
nach Rom, den dieser, seiner vor tausend Jahren beschworenen Pflicht eingedenk,
unverzagt fortsetzt, indes Ahasver ungesehen dem unschuldigen Pärchen ans den
Fersen folgt. In Rom nähert er sich ihnen hilfreich unter der Verkleidung
eines reichen Kunsthändlers ans Armenien. Er giebt ihnen Wohnung in seiner
Villa am Esqnilin und hilft den skeptischen Kardinal Colonna durch reiche Ge¬
schenke für Wnlafrieds fromme Pläne gewinnen. In der rücksichtslosesten Weise
giebt Walafricd der angezogenen Geliebten kurz den Abschied, um für die Er¬
lösung seines Ahnherrn im Mönchskloster ein fortan Gott geweihtes Leben zu
führen. Die verzweifelte Minne -- "eine Erscheinung" nach dem Personen-
Verzeichnis --, die sich Mutter fühlt und sich so brutal dem alten Juden zuliebe
geopfert sieht, bricht in die leidenschaftlichsten Verwünschungen ans, als ihr
Ahasver (in einer mächtig ergreifenden Szene) den Entschluß seines Enkels
mitteilt, und erteilt schütz- und mittellos in die weite Welt hinaus. Nach
zwanzig Jahren finden wir Aurelius, Widumar und Walafricd in einem Burg¬
zimmer des Bischofs von Salzburg, alt, für den Tod reif, wieder. Die ersten
zwei haben inzwischen ein an Abenteuern reiches Leben geführt; Walafricd hat


Der ewige Inde.

vollen Wert gewinnt," Das achte Bild endlich zeigt Ahasver zwischen den
rauchenden Trümmern des eben von den Türken zerstörten Konstantinopels.
Die Dämonen des Vorspiels gesellen sich nacheinander zu ihm; sie wechseln
Erinnerungen an alle die furchtbaren Ereignisse aus, bei deuen er sie angetroffen
hat. Mit geschlossenem Visir erscheint schließlich der Meister Tod, Ihm hul¬
digen alle übrigen Dämonen, nur Ahasver erkennt ihn nicht und fragt ihn in
seiner kecken Weise, wer er sei? „Du rutschest auf den Knieen noch vor mir!"
ruft ihm der Dämon, das Visir lüftend, zu und versinkt. Ahasver hat ihn
am Totenschädel, der hinterm Visir sichtbar wurde, erkannt und streckt ihm
knieend die Hände nach,

Nun endlich sind die tausend Jahre des Zauberschlafes um, und nach
diesen grandiosen Bildern ist der Leser auf die weitere Entwicklung nicht minder
als der erlösuugsbedürftige ewige Jude gespannt. Aber beiden soll eine bittere
Enttäuschung werden. Jener Walafricd, in dessen Händen Ahasvers Schicksal
liegt, bleibt ein gnr zu unbedeutender Mensch, er ist kein poetisch ebenbürtiger
Gegenspieler zu seinem Urahn, die frühere Handlung wiederholt sich im Grunde
genommen, und das ist der große Fehler dieser folgenden drei Akte. Pünktlich
stellt sich der ewige Wanderer bei der Geisterhöhle des Untersberges in Salz¬
burg ein. Pünktlich werden die drei Verzauberter aus dem Baun entlassen.
Sie glauben alle nur eine kurze Nacht verschlafen zu haben und wundern sich über
die veränderte Welt. Natürlich! Doch finden sie sich bald in dieser neuen Welt
zurecht, und zwar Aurelius und Widumar mit Hilfe Ahasvers, der ihnen den guten
Rat giebt, sich zum Christeutume zu halten. Walasried erhält die Minne zur
Führerin; das gute Mädchen konnte sich von seinem Helden nicht, wie Saelde
und Aventiure von den ihrigen, trennen. Sie begleitet Walafricd auf dem Wege
nach Rom, den dieser, seiner vor tausend Jahren beschworenen Pflicht eingedenk,
unverzagt fortsetzt, indes Ahasver ungesehen dem unschuldigen Pärchen ans den
Fersen folgt. In Rom nähert er sich ihnen hilfreich unter der Verkleidung
eines reichen Kunsthändlers ans Armenien. Er giebt ihnen Wohnung in seiner
Villa am Esqnilin und hilft den skeptischen Kardinal Colonna durch reiche Ge¬
schenke für Wnlafrieds fromme Pläne gewinnen. In der rücksichtslosesten Weise
giebt Walafricd der angezogenen Geliebten kurz den Abschied, um für die Er¬
lösung seines Ahnherrn im Mönchskloster ein fortan Gott geweihtes Leben zu
führen. Die verzweifelte Minne — „eine Erscheinung" nach dem Personen-
Verzeichnis —, die sich Mutter fühlt und sich so brutal dem alten Juden zuliebe
geopfert sieht, bricht in die leidenschaftlichsten Verwünschungen ans, als ihr
Ahasver (in einer mächtig ergreifenden Szene) den Entschluß seines Enkels
mitteilt, und erteilt schütz- und mittellos in die weite Welt hinaus. Nach
zwanzig Jahren finden wir Aurelius, Widumar und Walafricd in einem Burg¬
zimmer des Bischofs von Salzburg, alt, für den Tod reif, wieder. Die ersten
zwei haben inzwischen ein an Abenteuern reiches Leben geführt; Walafricd hat


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199633"/>
          <fw type="header" place="top"> Der ewige Inde.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1139" prev="#ID_1138"> vollen Wert gewinnt," Das achte Bild endlich zeigt Ahasver zwischen den<lb/>
rauchenden Trümmern des eben von den Türken zerstörten Konstantinopels.<lb/>
Die Dämonen des Vorspiels gesellen sich nacheinander zu ihm; sie wechseln<lb/>
Erinnerungen an alle die furchtbaren Ereignisse aus, bei deuen er sie angetroffen<lb/>
hat. Mit geschlossenem Visir erscheint schließlich der Meister Tod, Ihm hul¬<lb/>
digen alle übrigen Dämonen, nur Ahasver erkennt ihn nicht und fragt ihn in<lb/>
seiner kecken Weise, wer er sei? &#x201E;Du rutschest auf den Knieen noch vor mir!"<lb/>
ruft ihm der Dämon, das Visir lüftend, zu und versinkt. Ahasver hat ihn<lb/>
am Totenschädel, der hinterm Visir sichtbar wurde, erkannt und streckt ihm<lb/>
knieend die Hände nach,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1140" next="#ID_1141"> Nun endlich sind die tausend Jahre des Zauberschlafes um, und nach<lb/>
diesen grandiosen Bildern ist der Leser auf die weitere Entwicklung nicht minder<lb/>
als der erlösuugsbedürftige ewige Jude gespannt. Aber beiden soll eine bittere<lb/>
Enttäuschung werden. Jener Walafricd, in dessen Händen Ahasvers Schicksal<lb/>
liegt, bleibt ein gnr zu unbedeutender Mensch, er ist kein poetisch ebenbürtiger<lb/>
Gegenspieler zu seinem Urahn, die frühere Handlung wiederholt sich im Grunde<lb/>
genommen, und das ist der große Fehler dieser folgenden drei Akte. Pünktlich<lb/>
stellt sich der ewige Wanderer bei der Geisterhöhle des Untersberges in Salz¬<lb/>
burg ein. Pünktlich werden die drei Verzauberter aus dem Baun entlassen.<lb/>
Sie glauben alle nur eine kurze Nacht verschlafen zu haben und wundern sich über<lb/>
die veränderte Welt. Natürlich! Doch finden sie sich bald in dieser neuen Welt<lb/>
zurecht, und zwar Aurelius und Widumar mit Hilfe Ahasvers, der ihnen den guten<lb/>
Rat giebt, sich zum Christeutume zu halten. Walasried erhält die Minne zur<lb/>
Führerin; das gute Mädchen konnte sich von seinem Helden nicht, wie Saelde<lb/>
und Aventiure von den ihrigen, trennen. Sie begleitet Walafricd auf dem Wege<lb/>
nach Rom, den dieser, seiner vor tausend Jahren beschworenen Pflicht eingedenk,<lb/>
unverzagt fortsetzt, indes Ahasver ungesehen dem unschuldigen Pärchen ans den<lb/>
Fersen folgt. In Rom nähert er sich ihnen hilfreich unter der Verkleidung<lb/>
eines reichen Kunsthändlers ans Armenien. Er giebt ihnen Wohnung in seiner<lb/>
Villa am Esqnilin und hilft den skeptischen Kardinal Colonna durch reiche Ge¬<lb/>
schenke für Wnlafrieds fromme Pläne gewinnen. In der rücksichtslosesten Weise<lb/>
giebt Walafricd der angezogenen Geliebten kurz den Abschied, um für die Er¬<lb/>
lösung seines Ahnherrn im Mönchskloster ein fortan Gott geweihtes Leben zu<lb/>
führen. Die verzweifelte Minne &#x2014; &#x201E;eine Erscheinung" nach dem Personen-<lb/>
Verzeichnis &#x2014;, die sich Mutter fühlt und sich so brutal dem alten Juden zuliebe<lb/>
geopfert sieht, bricht in die leidenschaftlichsten Verwünschungen ans, als ihr<lb/>
Ahasver (in einer mächtig ergreifenden Szene) den Entschluß seines Enkels<lb/>
mitteilt, und erteilt schütz- und mittellos in die weite Welt hinaus. Nach<lb/>
zwanzig Jahren finden wir Aurelius, Widumar und Walafricd in einem Burg¬<lb/>
zimmer des Bischofs von Salzburg, alt, für den Tod reif, wieder. Die ersten<lb/>
zwei haben inzwischen ein an Abenteuern reiches Leben geführt; Walafricd hat</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] Der ewige Inde. vollen Wert gewinnt," Das achte Bild endlich zeigt Ahasver zwischen den rauchenden Trümmern des eben von den Türken zerstörten Konstantinopels. Die Dämonen des Vorspiels gesellen sich nacheinander zu ihm; sie wechseln Erinnerungen an alle die furchtbaren Ereignisse aus, bei deuen er sie angetroffen hat. Mit geschlossenem Visir erscheint schließlich der Meister Tod, Ihm hul¬ digen alle übrigen Dämonen, nur Ahasver erkennt ihn nicht und fragt ihn in seiner kecken Weise, wer er sei? „Du rutschest auf den Knieen noch vor mir!" ruft ihm der Dämon, das Visir lüftend, zu und versinkt. Ahasver hat ihn am Totenschädel, der hinterm Visir sichtbar wurde, erkannt und streckt ihm knieend die Hände nach, Nun endlich sind die tausend Jahre des Zauberschlafes um, und nach diesen grandiosen Bildern ist der Leser auf die weitere Entwicklung nicht minder als der erlösuugsbedürftige ewige Jude gespannt. Aber beiden soll eine bittere Enttäuschung werden. Jener Walafricd, in dessen Händen Ahasvers Schicksal liegt, bleibt ein gnr zu unbedeutender Mensch, er ist kein poetisch ebenbürtiger Gegenspieler zu seinem Urahn, die frühere Handlung wiederholt sich im Grunde genommen, und das ist der große Fehler dieser folgenden drei Akte. Pünktlich stellt sich der ewige Wanderer bei der Geisterhöhle des Untersberges in Salz¬ burg ein. Pünktlich werden die drei Verzauberter aus dem Baun entlassen. Sie glauben alle nur eine kurze Nacht verschlafen zu haben und wundern sich über die veränderte Welt. Natürlich! Doch finden sie sich bald in dieser neuen Welt zurecht, und zwar Aurelius und Widumar mit Hilfe Ahasvers, der ihnen den guten Rat giebt, sich zum Christeutume zu halten. Walasried erhält die Minne zur Führerin; das gute Mädchen konnte sich von seinem Helden nicht, wie Saelde und Aventiure von den ihrigen, trennen. Sie begleitet Walafricd auf dem Wege nach Rom, den dieser, seiner vor tausend Jahren beschworenen Pflicht eingedenk, unverzagt fortsetzt, indes Ahasver ungesehen dem unschuldigen Pärchen ans den Fersen folgt. In Rom nähert er sich ihnen hilfreich unter der Verkleidung eines reichen Kunsthändlers ans Armenien. Er giebt ihnen Wohnung in seiner Villa am Esqnilin und hilft den skeptischen Kardinal Colonna durch reiche Ge¬ schenke für Wnlafrieds fromme Pläne gewinnen. In der rücksichtslosesten Weise giebt Walafricd der angezogenen Geliebten kurz den Abschied, um für die Er¬ lösung seines Ahnherrn im Mönchskloster ein fortan Gott geweihtes Leben zu führen. Die verzweifelte Minne — „eine Erscheinung" nach dem Personen- Verzeichnis —, die sich Mutter fühlt und sich so brutal dem alten Juden zuliebe geopfert sieht, bricht in die leidenschaftlichsten Verwünschungen ans, als ihr Ahasver (in einer mächtig ergreifenden Szene) den Entschluß seines Enkels mitteilt, und erteilt schütz- und mittellos in die weite Welt hinaus. Nach zwanzig Jahren finden wir Aurelius, Widumar und Walafricd in einem Burg¬ zimmer des Bischofs von Salzburg, alt, für den Tod reif, wieder. Die ersten zwei haben inzwischen ein an Abenteuern reiches Leben geführt; Walafricd hat

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/279>, abgerufen am 20.10.2024.