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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

überall Schiffbruch gelitten. Die Erinnerung an die schmählich verlassene Minne
hinderte ihn, das Mönchsgelübde abzulegen; sein Gönner, der Kardinal, ver¬
schaffte ihm die Stellung als Burgvogt des Bischofs. Nun begiebt er sich mit
Widumar auf die Jagd nach einem gefährlichen Straßenräuber. Ju ihrer Ab¬
wesenheit erscheint Saclde und soll sich ihren bis in den Tod getreuen Aure-
lius. Walcifried gelaugt auf seinem Zuge wieder zum Geisterberge, wohin sich
der Verfolgte, von Aventiure geleitet, geflüchtet hat. Da stehen Perachta und
Ahasver. Dieser erfährt, daß der Verfolgte Walafrieds eigner, von Minne
in dein größten Elend geborner Sohn Wolfsart sei; aber sie hält den Urahn
davon ab, sich in den Kampf zu menge", selbst dann, als Wolfsart einen tät¬
lichen Pfeil auf seinen unbekannten Vater abschießt. Im Sterben erfährt
Walafricd, daß der zu Erlösende in seiner Nähe, und daß der verfolgte Wege¬
lagerer sein eigner Sohn sei. Die Tradition wenigstens zu retten, stammelt er
dem auch seinerseits erschütterte,! Wolfsart die alte Familiensage ins Ohr und
mahnt ihn, den Urahn zu erlösen. Inzwischen kommt Minne nachtwandlerisch
aus der Tiefe des Felsens hervor, sie erblickt den sterbenden Geliebten und zieht
ihn mit sich in den Berg. Perachta spricht:


Schlaft ihr im Felsengrabe tiefgeborgeu!
Die Zwischenwelt des Todes hält euch fest,
Bis euch an einem Auferstehungsmorgen
Der Berg in eine junge Welt entläßt.
Bis dahin lebt ihr still im Schos; der Sage --

Unterbrechend fällt ihr Ahasver mit der schmerzvollen Frage ins Wort: "Und
ich?" Ihm wird die Antwort zu Teil: "Du wanderst bis zum jüngsten Tage!"
Und damit endet der erste "Ein Mythos" überschrieben" Teil der Dichtung.

Ein Jahrhundert später spielt die Handlung des zweiten Teiles derselben,
das eigentliche "Trauerspiel der Unsterblichkeit," welches der Prolog ankündigt.
Gemäß dem Plane der ganzen Dichtung, welcher die Entwicklung Ahasvers in
der Geschichte darzustellen anstrebte, wird nun der ewige Jude auf einer neuen
Stufe seiner Fortbildung geschildert. Zwar hat er sich nicht zum Christenttime
bekehrt, aber auch seil? Judentum ist nur äußerer Schein; es schien ihm nicht
der Mühe wert, ein andres Dogma zu studiren; weltgewandt, reich ist er ge¬
blieben. Aber auch der allerletzte Tropfen von Lebensfreude ist aus ihm ver-
schwunden, und ergreifend bricht seine Klage um den erlösenden Tod immer
wieder durch. Neue Charakterzüge, die im Keime früher schlummerten, treten
jetzt zu Tage: seine tiefe Humanität, die beispielsweise in den oben zitirten
Versen aus der Szene auf dem Berge Sinai schon angedeutet ist. Auf seinen
Wanderungen hat er die Nachkommen jenes Walafried immer teilnahmsvoll im
Auge behalten, und um den letzten Sprößling aus seinem Geschlecht, um Else,
ist er sehr besorgt. Er verwundert sich selbst darüber und erteilt sich die Antwort


Der ewige Jude.

überall Schiffbruch gelitten. Die Erinnerung an die schmählich verlassene Minne
hinderte ihn, das Mönchsgelübde abzulegen; sein Gönner, der Kardinal, ver¬
schaffte ihm die Stellung als Burgvogt des Bischofs. Nun begiebt er sich mit
Widumar auf die Jagd nach einem gefährlichen Straßenräuber. Ju ihrer Ab¬
wesenheit erscheint Saclde und soll sich ihren bis in den Tod getreuen Aure-
lius. Walcifried gelaugt auf seinem Zuge wieder zum Geisterberge, wohin sich
der Verfolgte, von Aventiure geleitet, geflüchtet hat. Da stehen Perachta und
Ahasver. Dieser erfährt, daß der Verfolgte Walafrieds eigner, von Minne
in dein größten Elend geborner Sohn Wolfsart sei; aber sie hält den Urahn
davon ab, sich in den Kampf zu menge», selbst dann, als Wolfsart einen tät¬
lichen Pfeil auf seinen unbekannten Vater abschießt. Im Sterben erfährt
Walafricd, daß der zu Erlösende in seiner Nähe, und daß der verfolgte Wege¬
lagerer sein eigner Sohn sei. Die Tradition wenigstens zu retten, stammelt er
dem auch seinerseits erschütterte,! Wolfsart die alte Familiensage ins Ohr und
mahnt ihn, den Urahn zu erlösen. Inzwischen kommt Minne nachtwandlerisch
aus der Tiefe des Felsens hervor, sie erblickt den sterbenden Geliebten und zieht
ihn mit sich in den Berg. Perachta spricht:


Schlaft ihr im Felsengrabe tiefgeborgeu!
Die Zwischenwelt des Todes hält euch fest,
Bis euch an einem Auferstehungsmorgen
Der Berg in eine junge Welt entläßt.
Bis dahin lebt ihr still im Schos; der Sage —

Unterbrechend fällt ihr Ahasver mit der schmerzvollen Frage ins Wort: „Und
ich?" Ihm wird die Antwort zu Teil: „Du wanderst bis zum jüngsten Tage!"
Und damit endet der erste „Ein Mythos" überschrieben« Teil der Dichtung.

Ein Jahrhundert später spielt die Handlung des zweiten Teiles derselben,
das eigentliche „Trauerspiel der Unsterblichkeit," welches der Prolog ankündigt.
Gemäß dem Plane der ganzen Dichtung, welcher die Entwicklung Ahasvers in
der Geschichte darzustellen anstrebte, wird nun der ewige Jude auf einer neuen
Stufe seiner Fortbildung geschildert. Zwar hat er sich nicht zum Christenttime
bekehrt, aber auch seil? Judentum ist nur äußerer Schein; es schien ihm nicht
der Mühe wert, ein andres Dogma zu studiren; weltgewandt, reich ist er ge¬
blieben. Aber auch der allerletzte Tropfen von Lebensfreude ist aus ihm ver-
schwunden, und ergreifend bricht seine Klage um den erlösenden Tod immer
wieder durch. Neue Charakterzüge, die im Keime früher schlummerten, treten
jetzt zu Tage: seine tiefe Humanität, die beispielsweise in den oben zitirten
Versen aus der Szene auf dem Berge Sinai schon angedeutet ist. Auf seinen
Wanderungen hat er die Nachkommen jenes Walafried immer teilnahmsvoll im
Auge behalten, und um den letzten Sprößling aus seinem Geschlecht, um Else,
ist er sehr besorgt. Er verwundert sich selbst darüber und erteilt sich die Antwort


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/280>, abgerufen am 20.10.2024.