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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Judo.

die Sendung -- ruft er ihm zu -- und schreie: Allah ist groß, und ich bin
sein Prophet!" Worauf Ahcisver fragt:

Und was vermagst du dem zu gebe",
Der sich zu dir bekennt?


Geist.

Ein co'ges Leben!

Wo? hier?

Ahasver,

Nein; doch im Paradies!

Geist.

Du auch?
Verdufte wieder, eitle Dunstgestalt!
Fleischlose Narrheit du! Gestank und Rauch!
Ich dein Prophet? Glaubst du, ich sei so alt
Geworden, um den nächsten Lügensack
Zu tragen, den mir solch verlognes Pack
Aufbiirden will? Geh! Wirf dich in den Wind
Und suche dir ein andres Menschenkind,
Das toll genug für deine Sendung ist.
Sie wachsen ja genug auf diesem Kloß von Mist!

Ahcisver,

Und er schickt den Geist nach Mekka zu Mohammed, Abdallcchs Sohn. Es
ist klar: diese Szene offenbart uns die ganze Tiefe des ahasverischen Cha¬
rakters. Nicht bloß für die christliche Idee der Erlösung fehlt ihm das Ver¬
ständnis, sondern für jede Religion überhaupt. Er ist der nüchterne, realistische
Menschengeist, der an diesem irdischen Dasein so lauge mit Wohlgefallen und
Behagen hängt, als sich nur nicht die körperlichen Beschwerden fühlbar machen.
Ein Jenseits anzuerkennen, kann er niemals über sich bringen; aber jede Re¬
ligion verweist auf ein solches, als den Ort jener sittlichen Ausgleichung, die
hier auf Erden nicht gefunden wird. Darum ist Ahcisver seinem Wesen nach
irreligiös, und auch der Weltschmerz, den er, wie wir noch sehen werden, ver¬
tritt, wird demnach als wesentlich irreligiös hingestellt.

Das dritte Bild zeigt uns Ahcisver im Schlunde des Ätna; vergebens
bittet er den Giganten Entelados um einen tätlichen Fußtritt. Das vierte
Bild führt uns wieder in den Untersberg: der tote Kaiser Karl wird auf
seinem Throne aus der Kaisergruft zu Aachen von den Paladinen herein¬
getragen, Bei dieser Gelegenheit will sich Ahcisver wieder einschleichen, woran
ihn Perachta hindert. Das fünfte Bild zeigt ihn in einer Klippenlandschaft
am Meeresgrunde; den herumliegenden Leichen der Schiffbrüchigen nimmt er
das Gold ab, welches an ihnen hängt. Das sechste Bild führt uns auf einen
wildzerklüfteten Gletscher, wo Gemsjcigcr den eingeschlafenen Ahcisver halb-
crstcirrt im Eise finden; sie wecken ihn zu seinem Mißvergnügen ans und ge¬
leiten ihn aus der Wildnis. Das siebente Bild zeigt uns Ahasvers verborgene
Schatzhöhle. "Das Beste trug ich hier zusammen, was aus versunkner Schiffen,
aus den Flammen zerstörter Städte noch zu retten war. Ein Hort, wie ihn
kein König sein nennt! Zwar für mich ist's nur wertloser Tand; doch findet
sich vielleicht der Mann, in dessen Hand der wunderbare Kram noch einmal


Der ewige Judo.

die Sendung — ruft er ihm zu — und schreie: Allah ist groß, und ich bin
sein Prophet!" Worauf Ahcisver fragt:

Und was vermagst du dem zu gebe»,
Der sich zu dir bekennt?


Geist.

Ein co'ges Leben!

Wo? hier?

Ahasver,

Nein; doch im Paradies!

Geist.

Du auch?
Verdufte wieder, eitle Dunstgestalt!
Fleischlose Narrheit du! Gestank und Rauch!
Ich dein Prophet? Glaubst du, ich sei so alt
Geworden, um den nächsten Lügensack
Zu tragen, den mir solch verlognes Pack
Aufbiirden will? Geh! Wirf dich in den Wind
Und suche dir ein andres Menschenkind,
Das toll genug für deine Sendung ist.
Sie wachsen ja genug auf diesem Kloß von Mist!

Ahcisver,

Und er schickt den Geist nach Mekka zu Mohammed, Abdallcchs Sohn. Es
ist klar: diese Szene offenbart uns die ganze Tiefe des ahasverischen Cha¬
rakters. Nicht bloß für die christliche Idee der Erlösung fehlt ihm das Ver¬
ständnis, sondern für jede Religion überhaupt. Er ist der nüchterne, realistische
Menschengeist, der an diesem irdischen Dasein so lauge mit Wohlgefallen und
Behagen hängt, als sich nur nicht die körperlichen Beschwerden fühlbar machen.
Ein Jenseits anzuerkennen, kann er niemals über sich bringen; aber jede Re¬
ligion verweist auf ein solches, als den Ort jener sittlichen Ausgleichung, die
hier auf Erden nicht gefunden wird. Darum ist Ahcisver seinem Wesen nach
irreligiös, und auch der Weltschmerz, den er, wie wir noch sehen werden, ver¬
tritt, wird demnach als wesentlich irreligiös hingestellt.

Das dritte Bild zeigt uns Ahcisver im Schlunde des Ätna; vergebens
bittet er den Giganten Entelados um einen tätlichen Fußtritt. Das vierte
Bild führt uns wieder in den Untersberg: der tote Kaiser Karl wird auf
seinem Throne aus der Kaisergruft zu Aachen von den Paladinen herein¬
getragen, Bei dieser Gelegenheit will sich Ahcisver wieder einschleichen, woran
ihn Perachta hindert. Das fünfte Bild zeigt ihn in einer Klippenlandschaft
am Meeresgrunde; den herumliegenden Leichen der Schiffbrüchigen nimmt er
das Gold ab, welches an ihnen hängt. Das sechste Bild führt uns auf einen
wildzerklüfteten Gletscher, wo Gemsjcigcr den eingeschlafenen Ahcisver halb-
crstcirrt im Eise finden; sie wecken ihn zu seinem Mißvergnügen ans und ge¬
leiten ihn aus der Wildnis. Das siebente Bild zeigt uns Ahasvers verborgene
Schatzhöhle. „Das Beste trug ich hier zusammen, was aus versunkner Schiffen,
aus den Flammen zerstörter Städte noch zu retten war. Ein Hort, wie ihn
kein König sein nennt! Zwar für mich ist's nur wertloser Tand; doch findet
sich vielleicht der Mann, in dessen Hand der wunderbare Kram noch einmal


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[0278] Der ewige Judo. die Sendung — ruft er ihm zu — und schreie: Allah ist groß, und ich bin sein Prophet!" Worauf Ahcisver fragt: Und was vermagst du dem zu gebe», Der sich zu dir bekennt? Geist. Ein co'ges Leben! Wo? hier? Ahasver, Nein; doch im Paradies! Geist. Du auch? Verdufte wieder, eitle Dunstgestalt! Fleischlose Narrheit du! Gestank und Rauch! Ich dein Prophet? Glaubst du, ich sei so alt Geworden, um den nächsten Lügensack Zu tragen, den mir solch verlognes Pack Aufbiirden will? Geh! Wirf dich in den Wind Und suche dir ein andres Menschenkind, Das toll genug für deine Sendung ist. Sie wachsen ja genug auf diesem Kloß von Mist! Ahcisver, Und er schickt den Geist nach Mekka zu Mohammed, Abdallcchs Sohn. Es ist klar: diese Szene offenbart uns die ganze Tiefe des ahasverischen Cha¬ rakters. Nicht bloß für die christliche Idee der Erlösung fehlt ihm das Ver¬ ständnis, sondern für jede Religion überhaupt. Er ist der nüchterne, realistische Menschengeist, der an diesem irdischen Dasein so lauge mit Wohlgefallen und Behagen hängt, als sich nur nicht die körperlichen Beschwerden fühlbar machen. Ein Jenseits anzuerkennen, kann er niemals über sich bringen; aber jede Re¬ ligion verweist auf ein solches, als den Ort jener sittlichen Ausgleichung, die hier auf Erden nicht gefunden wird. Darum ist Ahcisver seinem Wesen nach irreligiös, und auch der Weltschmerz, den er, wie wir noch sehen werden, ver¬ tritt, wird demnach als wesentlich irreligiös hingestellt. Das dritte Bild zeigt uns Ahcisver im Schlunde des Ätna; vergebens bittet er den Giganten Entelados um einen tätlichen Fußtritt. Das vierte Bild führt uns wieder in den Untersberg: der tote Kaiser Karl wird auf seinem Throne aus der Kaisergruft zu Aachen von den Paladinen herein¬ getragen, Bei dieser Gelegenheit will sich Ahcisver wieder einschleichen, woran ihn Perachta hindert. Das fünfte Bild zeigt ihn in einer Klippenlandschaft am Meeresgrunde; den herumliegenden Leichen der Schiffbrüchigen nimmt er das Gold ab, welches an ihnen hängt. Das sechste Bild führt uns auf einen wildzerklüfteten Gletscher, wo Gemsjcigcr den eingeschlafenen Ahcisver halb- crstcirrt im Eise finden; sie wecken ihn zu seinem Mißvergnügen ans und ge¬ leiten ihn aus der Wildnis. Das siebente Bild zeigt uns Ahasvers verborgene Schatzhöhle. „Das Beste trug ich hier zusammen, was aus versunkner Schiffen, aus den Flammen zerstörter Städte noch zu retten war. Ein Hort, wie ihn kein König sein nennt! Zwar für mich ist's nur wertloser Tand; doch findet sich vielleicht der Mann, in dessen Hand der wunderbare Kram noch einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/278>, abgerufen am 20.10.2024.