Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Der ewige Jude. Und zornig wirft er das älteste Gesetz der Menschheit in den Abgrund. Das
Ahasver spottet, in einem Gehirn hätte er keinen Raum, in diesem leeren Kruge
Erzürnt ob dieser frechen Rede droht ihm der Geist mit dem Tode. Doch der Der ewige Jude. Und zornig wirft er das älteste Gesetz der Menschheit in den Abgrund. Das
Ahasver spottet, in einem Gehirn hätte er keinen Raum, in diesem leeren Kruge
Erzürnt ob dieser frechen Rede droht ihm der Geist mit dem Tode. Doch der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199631"/> <fw type="header" place="top"> Der ewige Jude.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1123" prev="#ID_1122" next="#ID_1124"> Und zornig wirft er das älteste Gesetz der Menschheit in den Abgrund. Das<lb/> folgende Bild zeigt ihn an einer öden Klippenknste des roten Meeres. Er findet<lb/> einen versiegelten gläsernen Krug; er öffnet das Siegel, und ein Geist tritt be¬<lb/> freit hervor, den König Salomon dahineingebannt. Zum Dank will ihn der Geist<lb/> erdrosseln, doch entspinnt sich ein friedliches Gespräch. Der Geist prahlt, sein<lb/> Geschlecht sei vom Anbeginn der Welt, vor den Menschen dagewesen, bestimmt,<lb/> denjenigen Herren und Knechte zugleich zu werdeu, die sie zuerst in Anspruch<lb/> nähmen. Ganz im Sinne der neuesten Entwicklungstheorie setzt er hinzu:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_13" type="poem"> <l> Ein Zufall war es bloß,<lb/> Daß ans dem nimmermüden Schoß<lb/> Der Schöpfung just der Mensch gesprungen,<lb/> Dem es zu allererst gelungen<lb/> Die Geister in Gedanken einzufangen.<lb/> Sonst wäre dieses Werk nach langen,<lb/> Jahrhunderten dem Vieh geglückt;<lb/> Doch das habt ihr zu zeitig unterdrückt.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1124" prev="#ID_1123"> Ahasver spottet, in einem Gehirn hätte er keinen Raum, in diesem leeren Kruge<lb/> wohl aber Platz genug finden können. Und der Geist erwiedert:</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_1125"> Um meinesgleichen zu begreifen,<lb/> Muß eure Weisheit erst noch reifen.</p> <note type="speaker"> Ahasver. </note> <p xml:id="ID_1126" next="#ID_1127"> Du lügst! Und jedes, das sich Geist nennt, lügt!<lb/> Der plumpe, grobe Stoff allein<lb/> Ist Wahrheit; ihr seid höchstens Schein,<lb/> Der unsre armen Sinne trägt!<lb/> Wo warst du, eh' ich dich ans Licht gezerrt?<lb/> Du warst in diesen Krug gesperrt!<lb/> Durch Menschenhände unterm Spiegel<lb/> Des Meeres wurdest du versenkt,<lb/> Und Menschenhände lösten dir das Siegel.<lb/> Von unsrer Laune wurdest du gelenkt,<lb/> Geschaffen und gefangen und geschlagen;<lb/> Und unsre Launen stammen aus dem Magen.<lb/> So ist der Geist ein Mißprodukt<lb/> Bon dem nur, was man just verschluckt.<lb/> Was ist an deinesgleichen zu begreifen?<lb/> Millionen mögen durch deu Weltraum schweifen<lb/> Wie du! Was sind sie uns? Ein Hauch!<lb/> Das Schaltier, das hier auf dem Bauch<lb/> Im Sande kriecht, ist mehr als dn.<lb/> Die Schalen klappt eS auf und zu —<lb/> Was kannst denn du?</p> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1127" prev="#ID_1126" next="#ID_1128"> Erzürnt ob dieser frechen Rede droht ihm der Geist mit dem Tode. Doch der<lb/> wäre dem Ahasver ja gerade recht. Dieser Mut gefällt dem Geiste, er will<lb/> den Ahasver nun im Gegenteil zum Propheten jener Religion macheu, die er sich<lb/> in seiner engen Haft von sechzehnhundert Jahren ausgedacht habe. „Nimm</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0277]
Der ewige Jude.
Und zornig wirft er das älteste Gesetz der Menschheit in den Abgrund. Das
folgende Bild zeigt ihn an einer öden Klippenknste des roten Meeres. Er findet
einen versiegelten gläsernen Krug; er öffnet das Siegel, und ein Geist tritt be¬
freit hervor, den König Salomon dahineingebannt. Zum Dank will ihn der Geist
erdrosseln, doch entspinnt sich ein friedliches Gespräch. Der Geist prahlt, sein
Geschlecht sei vom Anbeginn der Welt, vor den Menschen dagewesen, bestimmt,
denjenigen Herren und Knechte zugleich zu werdeu, die sie zuerst in Anspruch
nähmen. Ganz im Sinne der neuesten Entwicklungstheorie setzt er hinzu:
Ein Zufall war es bloß,
Daß ans dem nimmermüden Schoß
Der Schöpfung just der Mensch gesprungen,
Dem es zu allererst gelungen
Die Geister in Gedanken einzufangen.
Sonst wäre dieses Werk nach langen,
Jahrhunderten dem Vieh geglückt;
Doch das habt ihr zu zeitig unterdrückt.
Ahasver spottet, in einem Gehirn hätte er keinen Raum, in diesem leeren Kruge
wohl aber Platz genug finden können. Und der Geist erwiedert:
Um meinesgleichen zu begreifen,
Muß eure Weisheit erst noch reifen.
Ahasver. Du lügst! Und jedes, das sich Geist nennt, lügt!
Der plumpe, grobe Stoff allein
Ist Wahrheit; ihr seid höchstens Schein,
Der unsre armen Sinne trägt!
Wo warst du, eh' ich dich ans Licht gezerrt?
Du warst in diesen Krug gesperrt!
Durch Menschenhände unterm Spiegel
Des Meeres wurdest du versenkt,
Und Menschenhände lösten dir das Siegel.
Von unsrer Laune wurdest du gelenkt,
Geschaffen und gefangen und geschlagen;
Und unsre Launen stammen aus dem Magen.
So ist der Geist ein Mißprodukt
Bon dem nur, was man just verschluckt.
Was ist an deinesgleichen zu begreifen?
Millionen mögen durch deu Weltraum schweifen
Wie du! Was sind sie uns? Ein Hauch!
Das Schaltier, das hier auf dem Bauch
Im Sande kriecht, ist mehr als dn.
Die Schalen klappt eS auf und zu —
Was kannst denn du?
Erzürnt ob dieser frechen Rede droht ihm der Geist mit dem Tode. Doch der
wäre dem Ahasver ja gerade recht. Dieser Mut gefällt dem Geiste, er will
den Ahasver nun im Gegenteil zum Propheten jener Religion macheu, die er sich
in seiner engen Haft von sechzehnhundert Jahren ausgedacht habe. „Nimm
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