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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

Dann wird es Gift und Dolch und andres geben,
Um aus dem Leben einen Weg zu finden.
Ich finde ihn! Was soll es gelten?
Ich finde ihnl


Dämon des Todes.

such' durch neun Welten!


Mit dieser Herausforderurg Ahasvers an den Tod, um die man im zweiten
Teile der Dichtung, welcher das Duell beider darstellt, zu denken hat, wird die
Handlung eröffnet.

Die ersten zwei Akte führen uns nach Salzburg, das Juvavium der
Römer. Es ist die Zeit der Völkerwanderung, Odoaker ist schon in Rom ein¬
gerückt. Juvavium wird von den Germanen bedroht. Wir befinden uns inner¬
halb der Befestigungswerke der Stadt, über welche der sagenhafte Untersberg
hereinblickt. Es ist Nacht. Zwei Legionssoldaten stehen Wache. Ahasver tritt
in Vettlergestalt auf. Die Wachen erinnern ihn an das Grab des Nazareners;
vor fünfhundert Jahren stand derselbe Mann in Erz geformt, ebenso stumm
und unbeweglich, im Bann der alten unvergeßncn Pflicht da. Er will vorbei;
die Wache versperrt ihm schweigend den Weg. Und Ahaövar spricht:


Er läßt mich nicht!
Es ist nicht nötig, daß wir deshalb uns erhitzen!
Bleib du nur steh'n; ich bleibe sitzen;
Und wenn es auf das Warten ankömmt, Mann,
Sei überzeugt, daß ich das besser kann.
(Setzt sich auf einen Stein.)
Rief jemand? Oder waren das die Eulen?
Sie fliegen gern durch's feuchte Thal. --
Wenn mich nichts täuscht, so wcmdr' ich vou den Säulen
Des Herkules zum drittenmal
Nach Indiens entlegensten Gestaden.
Ein weiter Weg! Ich ging nicht den geraden.
Ich hatte Zeit genug. Mehr als genug.
Wie langsam mich die müde Sohle trug,
Stets kam ich früh genug an's Ziel.
Ein schöner Weg! Der Völker sind so viel
Bon Meer zu Meer; doch alle kann ich nennen;
Die Wasser und die Berge lernt' ich kennen
An diesem Weg. Nun will ich andre gehen,
Will andre Länder, andre Volker sehen.
's ist viel zu seh'n auf dieser Welt,
Und jeder, dem sie recht gefällt,
Kann sich ganz gut auf ihr vergnügen.
Ich nicht. Wozu mich selbst belügen?
Längst freut der Trödel mich nicht mehr;
An meinem alten Kopfe trag' ich schwer;
Mich dünkt, ich bin recht greisenhaft.
Und dennoch -- geh ich so landaus, lautem,
Dann strömt mir immer neue Kraft
Durch das gealterte Gebein.

Der ewige Jude.

Dann wird es Gift und Dolch und andres geben,
Um aus dem Leben einen Weg zu finden.
Ich finde ihn! Was soll es gelten?
Ich finde ihnl


Dämon des Todes.

such' durch neun Welten!


Mit dieser Herausforderurg Ahasvers an den Tod, um die man im zweiten
Teile der Dichtung, welcher das Duell beider darstellt, zu denken hat, wird die
Handlung eröffnet.

Die ersten zwei Akte führen uns nach Salzburg, das Juvavium der
Römer. Es ist die Zeit der Völkerwanderung, Odoaker ist schon in Rom ein¬
gerückt. Juvavium wird von den Germanen bedroht. Wir befinden uns inner¬
halb der Befestigungswerke der Stadt, über welche der sagenhafte Untersberg
hereinblickt. Es ist Nacht. Zwei Legionssoldaten stehen Wache. Ahasver tritt
in Vettlergestalt auf. Die Wachen erinnern ihn an das Grab des Nazareners;
vor fünfhundert Jahren stand derselbe Mann in Erz geformt, ebenso stumm
und unbeweglich, im Bann der alten unvergeßncn Pflicht da. Er will vorbei;
die Wache versperrt ihm schweigend den Weg. Und Ahaövar spricht:


Er läßt mich nicht!
Es ist nicht nötig, daß wir deshalb uns erhitzen!
Bleib du nur steh'n; ich bleibe sitzen;
Und wenn es auf das Warten ankömmt, Mann,
Sei überzeugt, daß ich das besser kann.
(Setzt sich auf einen Stein.)
Rief jemand? Oder waren das die Eulen?
Sie fliegen gern durch's feuchte Thal. —
Wenn mich nichts täuscht, so wcmdr' ich vou den Säulen
Des Herkules zum drittenmal
Nach Indiens entlegensten Gestaden.
Ein weiter Weg! Ich ging nicht den geraden.
Ich hatte Zeit genug. Mehr als genug.
Wie langsam mich die müde Sohle trug,
Stets kam ich früh genug an's Ziel.
Ein schöner Weg! Der Völker sind so viel
Bon Meer zu Meer; doch alle kann ich nennen;
Die Wasser und die Berge lernt' ich kennen
An diesem Weg. Nun will ich andre gehen,
Will andre Länder, andre Volker sehen.
's ist viel zu seh'n auf dieser Welt,
Und jeder, dem sie recht gefällt,
Kann sich ganz gut auf ihr vergnügen.
Ich nicht. Wozu mich selbst belügen?
Längst freut der Trödel mich nicht mehr;
An meinem alten Kopfe trag' ich schwer;
Mich dünkt, ich bin recht greisenhaft.
Und dennoch — geh ich so landaus, lautem,
Dann strömt mir immer neue Kraft
Durch das gealterte Gebein.

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[0232] Der ewige Jude. Dann wird es Gift und Dolch und andres geben, Um aus dem Leben einen Weg zu finden. Ich finde ihn! Was soll es gelten? Ich finde ihnl Dämon des Todes. such' durch neun Welten! Mit dieser Herausforderurg Ahasvers an den Tod, um die man im zweiten Teile der Dichtung, welcher das Duell beider darstellt, zu denken hat, wird die Handlung eröffnet. Die ersten zwei Akte führen uns nach Salzburg, das Juvavium der Römer. Es ist die Zeit der Völkerwanderung, Odoaker ist schon in Rom ein¬ gerückt. Juvavium wird von den Germanen bedroht. Wir befinden uns inner¬ halb der Befestigungswerke der Stadt, über welche der sagenhafte Untersberg hereinblickt. Es ist Nacht. Zwei Legionssoldaten stehen Wache. Ahasver tritt in Vettlergestalt auf. Die Wachen erinnern ihn an das Grab des Nazareners; vor fünfhundert Jahren stand derselbe Mann in Erz geformt, ebenso stumm und unbeweglich, im Bann der alten unvergeßncn Pflicht da. Er will vorbei; die Wache versperrt ihm schweigend den Weg. Und Ahaövar spricht: Er läßt mich nicht! Es ist nicht nötig, daß wir deshalb uns erhitzen! Bleib du nur steh'n; ich bleibe sitzen; Und wenn es auf das Warten ankömmt, Mann, Sei überzeugt, daß ich das besser kann. (Setzt sich auf einen Stein.) Rief jemand? Oder waren das die Eulen? Sie fliegen gern durch's feuchte Thal. — Wenn mich nichts täuscht, so wcmdr' ich vou den Säulen Des Herkules zum drittenmal Nach Indiens entlegensten Gestaden. Ein weiter Weg! Ich ging nicht den geraden. Ich hatte Zeit genug. Mehr als genug. Wie langsam mich die müde Sohle trug, Stets kam ich früh genug an's Ziel. Ein schöner Weg! Der Völker sind so viel Bon Meer zu Meer; doch alle kann ich nennen; Die Wasser und die Berge lernt' ich kennen An diesem Weg. Nun will ich andre gehen, Will andre Länder, andre Volker sehen. 's ist viel zu seh'n auf dieser Welt, Und jeder, dem sie recht gefällt, Kann sich ganz gut auf ihr vergnügen. Ich nicht. Wozu mich selbst belügen? Längst freut der Trödel mich nicht mehr; An meinem alten Kopfe trag' ich schwer; Mich dünkt, ich bin recht greisenhaft. Und dennoch — geh ich so landaus, lautem, Dann strömt mir immer neue Kraft Durch das gealterte Gebein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/232>, abgerufen am 27.09.2024.