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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

sehen; vorerst wollen wir den Gang der Handlung so übersichtlich als möglich
verfolgen.

Sie beginnt (wie Goethes "Faust," dessen Formen vielfach der Dichtung
zum Muster gedient haben, wie gleich die dramatische Darstellungsart ebensowenig
streng für die Bühne berechnet wurde) mit einem Vorspiel zwar uicht im Himmel,
sondern ganz passend auf der finsteren Toteninsel. Aus einer Lichtquelle in
der Höhe spricht der Herr zum Dümou des Todes, der vor dem schlafend auf
Trümmern eines gescheiterten Schiffes liegenden Ahasver steht:


Er ist's, Vernichter! Schau ihn an!
Ich gab dir alle, die da wohnen!
Ihn gab ich nicht: du mußt ihn schonen!

Der Tod gehorcht, bittet sich aber die Gunst dafür aus, in menschlicher
Gestalt in die Welt treten zu dürfen. Die Gunst wird ihm gewährt. Der
Dämon ruft alle seine dienstbaren Geister herbei; es erscheinen nach einander
die Dämonen des Schreckens, der Krankheit, des Hungers, des Frostes, des
Geizes, der Schuld, der Gewalt, der Not, der Trunksucht, des Krieges und des
Alters. Ein jeder stellt sich selbst prahlerisch vor -- eine Szene, die an Lessings
Faustfragment erinnert. Der Dämon des Todes lobt sie, spornt sie zu neuem
Thun an und befiehlt ihnen, den hier schlafenden Ahasver, wo immer sie ihm
begegnen, zu schonen. Auch nicht der gütige Dämon des Alters darf ihm nahen;
bloß der Dämon der Schuld darf es. Die andern Dämonen verschwinden,
Ahasver erwacht. In seiner Kricgerrüstung erkennt er den Tod nicht und fragt
diesen nach dem Lande, wo er sich befinde. Es sei die Todesinsel, vernimmt
er, keiner sei entronnen als sie drei. Doch sei hier kein Bleiben. Aber wie
man fortkomme? fragt Ahasver weiter. "Für uns ist ein Balken leicht genug,"
erwiedert die Schuld. Ahasver fragt wieder:


Trägt er vielleicht auch meine Last?

. Du sorgst noch für dein Leben, alter Mann?
Du, den kein Meer verschlingen kann?

Dämon des Todes

Wer sagt das?

Ahasver.
Dämon des Todes.

Frage diese da!


Ahasver (

Du weißt?

zu dem Dämon der Schuld).
Dämon der Schuld.

Denk an deu Weg nach Golgatha!

Ahasver
(wild).

Es ist nicht wahr! Ich glaub' es nicht!
Noch sah der Tod mir niemals ins Gesicht!

Ich sage nichts, als: denk an Golgatha!

Dämon der Schuld.

Warst du dabei? Hast du vernommen?

Ahasver.

. Ja!

Dämon der Schuld Ahasver.

Nur eitle Drohung war's! Ein Schall -- ein Wort
Aus irrem Munde! Laßt uns sort.

(Er besteigt den im Wasser schwimmenden Mcist-

So komm!

Dämon der Schuld.
bnum und zieht Ahasver nach. Der Dämon des Todes folgt bis an das Meer.)
Ahasver.

Noch hab' ich Kraft und Lust zum Leben;
Und wenn sie mir einmal entschwinden,


Der ewige Jude.

sehen; vorerst wollen wir den Gang der Handlung so übersichtlich als möglich
verfolgen.

Sie beginnt (wie Goethes „Faust," dessen Formen vielfach der Dichtung
zum Muster gedient haben, wie gleich die dramatische Darstellungsart ebensowenig
streng für die Bühne berechnet wurde) mit einem Vorspiel zwar uicht im Himmel,
sondern ganz passend auf der finsteren Toteninsel. Aus einer Lichtquelle in
der Höhe spricht der Herr zum Dümou des Todes, der vor dem schlafend auf
Trümmern eines gescheiterten Schiffes liegenden Ahasver steht:


Er ist's, Vernichter! Schau ihn an!
Ich gab dir alle, die da wohnen!
Ihn gab ich nicht: du mußt ihn schonen!

Der Tod gehorcht, bittet sich aber die Gunst dafür aus, in menschlicher
Gestalt in die Welt treten zu dürfen. Die Gunst wird ihm gewährt. Der
Dämon ruft alle seine dienstbaren Geister herbei; es erscheinen nach einander
die Dämonen des Schreckens, der Krankheit, des Hungers, des Frostes, des
Geizes, der Schuld, der Gewalt, der Not, der Trunksucht, des Krieges und des
Alters. Ein jeder stellt sich selbst prahlerisch vor — eine Szene, die an Lessings
Faustfragment erinnert. Der Dämon des Todes lobt sie, spornt sie zu neuem
Thun an und befiehlt ihnen, den hier schlafenden Ahasver, wo immer sie ihm
begegnen, zu schonen. Auch nicht der gütige Dämon des Alters darf ihm nahen;
bloß der Dämon der Schuld darf es. Die andern Dämonen verschwinden,
Ahasver erwacht. In seiner Kricgerrüstung erkennt er den Tod nicht und fragt
diesen nach dem Lande, wo er sich befinde. Es sei die Todesinsel, vernimmt
er, keiner sei entronnen als sie drei. Doch sei hier kein Bleiben. Aber wie
man fortkomme? fragt Ahasver weiter. „Für uns ist ein Balken leicht genug,"
erwiedert die Schuld. Ahasver fragt wieder:


Trägt er vielleicht auch meine Last?

. Du sorgst noch für dein Leben, alter Mann?
Du, den kein Meer verschlingen kann?

Dämon des Todes

Wer sagt das?

Ahasver.
Dämon des Todes.

Frage diese da!


Ahasver (

Du weißt?

zu dem Dämon der Schuld).
Dämon der Schuld.

Denk an deu Weg nach Golgatha!

Ahasver
(wild).

Es ist nicht wahr! Ich glaub' es nicht!
Noch sah der Tod mir niemals ins Gesicht!

Ich sage nichts, als: denk an Golgatha!

Dämon der Schuld.

Warst du dabei? Hast du vernommen?

Ahasver.

. Ja!

Dämon der Schuld Ahasver.

Nur eitle Drohung war's! Ein Schall — ein Wort
Aus irrem Munde! Laßt uns sort.

(Er besteigt den im Wasser schwimmenden Mcist-

So komm!

Dämon der Schuld.
bnum und zieht Ahasver nach. Der Dämon des Todes folgt bis an das Meer.)
Ahasver.

Noch hab' ich Kraft und Lust zum Leben;
Und wenn sie mir einmal entschwinden,


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[0231] Der ewige Jude. sehen; vorerst wollen wir den Gang der Handlung so übersichtlich als möglich verfolgen. Sie beginnt (wie Goethes „Faust," dessen Formen vielfach der Dichtung zum Muster gedient haben, wie gleich die dramatische Darstellungsart ebensowenig streng für die Bühne berechnet wurde) mit einem Vorspiel zwar uicht im Himmel, sondern ganz passend auf der finsteren Toteninsel. Aus einer Lichtquelle in der Höhe spricht der Herr zum Dümou des Todes, der vor dem schlafend auf Trümmern eines gescheiterten Schiffes liegenden Ahasver steht: Er ist's, Vernichter! Schau ihn an! Ich gab dir alle, die da wohnen! Ihn gab ich nicht: du mußt ihn schonen! Der Tod gehorcht, bittet sich aber die Gunst dafür aus, in menschlicher Gestalt in die Welt treten zu dürfen. Die Gunst wird ihm gewährt. Der Dämon ruft alle seine dienstbaren Geister herbei; es erscheinen nach einander die Dämonen des Schreckens, der Krankheit, des Hungers, des Frostes, des Geizes, der Schuld, der Gewalt, der Not, der Trunksucht, des Krieges und des Alters. Ein jeder stellt sich selbst prahlerisch vor — eine Szene, die an Lessings Faustfragment erinnert. Der Dämon des Todes lobt sie, spornt sie zu neuem Thun an und befiehlt ihnen, den hier schlafenden Ahasver, wo immer sie ihm begegnen, zu schonen. Auch nicht der gütige Dämon des Alters darf ihm nahen; bloß der Dämon der Schuld darf es. Die andern Dämonen verschwinden, Ahasver erwacht. In seiner Kricgerrüstung erkennt er den Tod nicht und fragt diesen nach dem Lande, wo er sich befinde. Es sei die Todesinsel, vernimmt er, keiner sei entronnen als sie drei. Doch sei hier kein Bleiben. Aber wie man fortkomme? fragt Ahasver weiter. „Für uns ist ein Balken leicht genug," erwiedert die Schuld. Ahasver fragt wieder: Trägt er vielleicht auch meine Last? . Du sorgst noch für dein Leben, alter Mann? Du, den kein Meer verschlingen kann? Dämon des Todes Wer sagt das? Ahasver. Dämon des Todes. Frage diese da! Ahasver ( Du weißt? zu dem Dämon der Schuld). Dämon der Schuld. Denk an deu Weg nach Golgatha! Ahasver (wild). Es ist nicht wahr! Ich glaub' es nicht! Noch sah der Tod mir niemals ins Gesicht! Ich sage nichts, als: denk an Golgatha! Dämon der Schuld. Warst du dabei? Hast du vernommen? Ahasver. . Ja! Dämon der Schuld Ahasver. Nur eitle Drohung war's! Ein Schall — ein Wort Aus irrem Munde! Laßt uns sort. (Er besteigt den im Wasser schwimmenden Mcist- So komm! Dämon der Schuld. bnum und zieht Ahasver nach. Der Dämon des Todes folgt bis an das Meer.) Ahasver. Noch hab' ich Kraft und Lust zum Leben; Und wenn sie mir einmal entschwinden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/231>, abgerufen am 27.09.2024.