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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ver ewige Jude.

Da kommen Aurelius und Horatius, der römische Feldherr und sein Tribun,
herzu. Ahasver stellt sich ihnen in spitziger Rede als Philosoph im Bettler-
gewandc vor. Sie erkundigen sich bei ihm nach dem Staude der Germanen,
seine Auskünfte schrecken sie auf, die Nachricht vom Sturze des römischen Im¬
perators ist ihnen ganz neu. Ein hinzukommender Fremder bestätigt die ge¬
fährliche Nähe der Germanen. Es ist der junge christliche Priester Walafried,
ein Schüler des heiligen Sevcrinus, der eben auf einer seltsamen Pilgerfahrt
zum Bischof von Rom begriffen ist. Auf dem Sterbebette hatte ihm seine
Mutter das Gelübde abgenommen, den Urahn seines Geschlechts, der kein andrer
als der ewige Jude ist, zu erlösen. Dieser Walafried also bestätigt die Nähe
der Germanen, und kaum hat er es ausgesprochen, so sieht man auch schon eine
flammende Nöte am Himmel über dem Untersberg aufsteigen. Die Germanen
haben das Kastell erstiegen, sind in die Stadt eingedrungen, jeder Widerstand
ist vergeblich, die letzten Römer müssen fliehen. Indes der Straßenkampf tobt,
fällt Walafried in die Kniee und betet. Ahasver fragt ihn, den er sonst nicht
weiter kennt:


Mit welchem Götzen sprichst du hier?


Walafried.

Mit keinem Götze". Gott ist über mir
Und über alle Menschenwelt!


Ahasver.

So frag ihn doch, ob ihm gefällt,
Was in den Gassen dort geschieht?
Ob er die beilzerspellten Schädel sieht,
Ob er den Jammer der Todwunden
Hört und den Schlachtschrei der Gesunden.
O frag ihn! Riecht das frischvergvßne Blut,
Das Brandgcwölke deinem Gotte gut?

Mit denen, die ihn lästern, spricht
Der Gott, zu dein ich bete, nicht!
Ich gehe. Bessere Gesellschaft ist
Der Tod dort unten, als du bist!

Walafried.
Ahasver.

Du weißt zwar nicht, weshalb; doch sprachst du wahr!


Die siegreichen Heruler ziehen ein, den Herzog Widumar an der Spitze. Der
flammende Untersberg, der alle mit abergläubischen Schauer erfüllt, regt Widu-
mars Neugier an. "Was dort in Felsenschlündcn sich sagenhaft verbirgt," will
er ergründen.

Der zweite Akt führt uns in das Gebiet des Gcisterberges. Ahasver hatte
sich Widumar an geschloffen, und sie gelangen beide zunächst in eine dämmernde
Felsschlucht, "barock und phantastisch," in welcher das Märchenvolk der Zwerge
sein Heim hat. In anmutig heiterer Weise wird dieses Treiben geschildert.
Ahasver, der in seinem Alter noch immer nicht genug gesehen und erfahren
hat, fragt die Zwerge nach dem Wege in die verborgene Wunderpracht des ver¬
zauberten Berges. Die Zwerge warnen: "Manche Wege führen hinein; heraus
nur einer; vielleicht auch keiner!" Da kommt auch Walafried herzu. Er sucht


Grenzboten IV. 1886. 2!)
Ver ewige Jude.

Da kommen Aurelius und Horatius, der römische Feldherr und sein Tribun,
herzu. Ahasver stellt sich ihnen in spitziger Rede als Philosoph im Bettler-
gewandc vor. Sie erkundigen sich bei ihm nach dem Staude der Germanen,
seine Auskünfte schrecken sie auf, die Nachricht vom Sturze des römischen Im¬
perators ist ihnen ganz neu. Ein hinzukommender Fremder bestätigt die ge¬
fährliche Nähe der Germanen. Es ist der junge christliche Priester Walafried,
ein Schüler des heiligen Sevcrinus, der eben auf einer seltsamen Pilgerfahrt
zum Bischof von Rom begriffen ist. Auf dem Sterbebette hatte ihm seine
Mutter das Gelübde abgenommen, den Urahn seines Geschlechts, der kein andrer
als der ewige Jude ist, zu erlösen. Dieser Walafried also bestätigt die Nähe
der Germanen, und kaum hat er es ausgesprochen, so sieht man auch schon eine
flammende Nöte am Himmel über dem Untersberg aufsteigen. Die Germanen
haben das Kastell erstiegen, sind in die Stadt eingedrungen, jeder Widerstand
ist vergeblich, die letzten Römer müssen fliehen. Indes der Straßenkampf tobt,
fällt Walafried in die Kniee und betet. Ahasver fragt ihn, den er sonst nicht
weiter kennt:


Mit welchem Götzen sprichst du hier?


Walafried.

Mit keinem Götze». Gott ist über mir
Und über alle Menschenwelt!


Ahasver.

So frag ihn doch, ob ihm gefällt,
Was in den Gassen dort geschieht?
Ob er die beilzerspellten Schädel sieht,
Ob er den Jammer der Todwunden
Hört und den Schlachtschrei der Gesunden.
O frag ihn! Riecht das frischvergvßne Blut,
Das Brandgcwölke deinem Gotte gut?

Mit denen, die ihn lästern, spricht
Der Gott, zu dein ich bete, nicht!
Ich gehe. Bessere Gesellschaft ist
Der Tod dort unten, als du bist!

Walafried.
Ahasver.

Du weißt zwar nicht, weshalb; doch sprachst du wahr!


Die siegreichen Heruler ziehen ein, den Herzog Widumar an der Spitze. Der
flammende Untersberg, der alle mit abergläubischen Schauer erfüllt, regt Widu-
mars Neugier an. „Was dort in Felsenschlündcn sich sagenhaft verbirgt," will
er ergründen.

Der zweite Akt führt uns in das Gebiet des Gcisterberges. Ahasver hatte
sich Widumar an geschloffen, und sie gelangen beide zunächst in eine dämmernde
Felsschlucht, „barock und phantastisch," in welcher das Märchenvolk der Zwerge
sein Heim hat. In anmutig heiterer Weise wird dieses Treiben geschildert.
Ahasver, der in seinem Alter noch immer nicht genug gesehen und erfahren
hat, fragt die Zwerge nach dem Wege in die verborgene Wunderpracht des ver¬
zauberten Berges. Die Zwerge warnen: „Manche Wege führen hinein; heraus
nur einer; vielleicht auch keiner!" Da kommt auch Walafried herzu. Er sucht


Grenzboten IV. 1886. 2!)
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[0233] Ver ewige Jude. Da kommen Aurelius und Horatius, der römische Feldherr und sein Tribun, herzu. Ahasver stellt sich ihnen in spitziger Rede als Philosoph im Bettler- gewandc vor. Sie erkundigen sich bei ihm nach dem Staude der Germanen, seine Auskünfte schrecken sie auf, die Nachricht vom Sturze des römischen Im¬ perators ist ihnen ganz neu. Ein hinzukommender Fremder bestätigt die ge¬ fährliche Nähe der Germanen. Es ist der junge christliche Priester Walafried, ein Schüler des heiligen Sevcrinus, der eben auf einer seltsamen Pilgerfahrt zum Bischof von Rom begriffen ist. Auf dem Sterbebette hatte ihm seine Mutter das Gelübde abgenommen, den Urahn seines Geschlechts, der kein andrer als der ewige Jude ist, zu erlösen. Dieser Walafried also bestätigt die Nähe der Germanen, und kaum hat er es ausgesprochen, so sieht man auch schon eine flammende Nöte am Himmel über dem Untersberg aufsteigen. Die Germanen haben das Kastell erstiegen, sind in die Stadt eingedrungen, jeder Widerstand ist vergeblich, die letzten Römer müssen fliehen. Indes der Straßenkampf tobt, fällt Walafried in die Kniee und betet. Ahasver fragt ihn, den er sonst nicht weiter kennt: Mit welchem Götzen sprichst du hier? Walafried. Mit keinem Götze». Gott ist über mir Und über alle Menschenwelt! Ahasver. So frag ihn doch, ob ihm gefällt, Was in den Gassen dort geschieht? Ob er die beilzerspellten Schädel sieht, Ob er den Jammer der Todwunden Hört und den Schlachtschrei der Gesunden. O frag ihn! Riecht das frischvergvßne Blut, Das Brandgcwölke deinem Gotte gut? Mit denen, die ihn lästern, spricht Der Gott, zu dein ich bete, nicht! Ich gehe. Bessere Gesellschaft ist Der Tod dort unten, als du bist! Walafried. Ahasver. Du weißt zwar nicht, weshalb; doch sprachst du wahr! Die siegreichen Heruler ziehen ein, den Herzog Widumar an der Spitze. Der flammende Untersberg, der alle mit abergläubischen Schauer erfüllt, regt Widu- mars Neugier an. „Was dort in Felsenschlündcn sich sagenhaft verbirgt," will er ergründen. Der zweite Akt führt uns in das Gebiet des Gcisterberges. Ahasver hatte sich Widumar an geschloffen, und sie gelangen beide zunächst in eine dämmernde Felsschlucht, „barock und phantastisch," in welcher das Märchenvolk der Zwerge sein Heim hat. In anmutig heiterer Weise wird dieses Treiben geschildert. Ahasver, der in seinem Alter noch immer nicht genug gesehen und erfahren hat, fragt die Zwerge nach dem Wege in die verborgene Wunderpracht des ver¬ zauberten Berges. Die Zwerge warnen: „Manche Wege führen hinein; heraus nur einer; vielleicht auch keiner!" Da kommt auch Walafried herzu. Er sucht Grenzboten IV. 1886. 2!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/233>, abgerufen am 27.09.2024.