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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

haben sei. In dem ersten Teile seines Werkes, dem "Mythos," ist Haushofers
Richtung jedenfalls ganz im Geiste der bedeutsamen christlichen Sage gehalten-
Sie berichtet, daß der Jude Ahasver den Erlöser in hartherziger Weise von
der Schwelle seiner Thür gestoßen, als dieser, unter der Last des Kreuzes zu¬
sammenbrechend, auf ihr ruhen wollte. Haushofer deutet diesen Vorgang ganz
treffend dahin: Ahasver habe durch dieses rohe Verjagen des bei ihm ein¬
kehrenden Erlösers die Erlösung selbst von sich gestoßen. Ahasver hat über¬
haupt seinem innersten Wesen nach kein Verständnis für den Begriff der Er¬
lösung. Er ist der Antipode des heilbringenden Nazareners. Er ist der
lebendige Gegensatz aller Religion, denn jede Religion beruht wesentlich auf dem
Begriffe der Erlösung, jede Religion verweist von diesem irdischen, sittlich un¬
ausgeglichenen Dasein auf ein andres, überirdisches. Haushofer zieht alle Folge¬
rungen, welche sich aus diesem Gegensatze ergeben, und diese bilden das reich
ausgestattete Charakterbild seines Ahasvers. Konsequent wäre es gewesen, die
Gegensätze selbst in einer mythisch erhabenen Dichtung, in der die beiden Pole
des menschlichen Wesens als überlebensgroße Gestalten sich gegenüberstünden,
darzustellen. Diesen Weg hat Haushofer jedoch nicht eingeschlagen. Er hat nur den
einen negativen Teil des Gegensatzes behalten, und dieser Ahasver wird ihm in
sehr charakteristischer Weise für den Geist der ganzen Dichtung zum Sinnbilde
des Menschentums aller Zeiten. Und mit historischem Sinne verfolgt er dieses
Menschentum in seiner Entwicklung in der Geschichte. Der erste Teil der um¬
fangreichen Dichtung stellt uns Ahasver zunächst in seinem ursprünglichen Wesen
vor: als den, der die Erlösung nicht versteht und daher zum ewigen irdischen
Dasein verurteilt wird. Der zweite Teil, das Trauerspiel der Unsterblichkeit,
bringt ein neues Motiv hinzu, das nnr lose mit dem Grundgedanken Ahasvers
zusammenhängt. Es ist allerdings richtig, daß der Wunsch der Menschen, Herr
über jenen Tod zu werden, der ihnen so oft zur Unzeit den Lebensfaden be¬
schneidet, ein irreligiöser ist. Schon das griechische Heidentum feiert den Tod
als eine Gunst der Götter, trotz all seiner Lebensfreude. Insofern ist ein
Streben, die leibliche Unsterblichkeit zu gewinnen, dem Ahasver verwandt. Und
doch ist es für jedes unbefangene Gefühl unorganisch mit seinem Charakter ver¬
bunden, um so unorganischer, als dieser sich im Verlaufe der Dichtung zum
bedeutsamen Vertreter des Weltschmerzes entwickelt, was weit konsequenter ge¬
dacht ist. Zugleich wird der Weltschmerz gleichfalls als Folge des Mangels
an religiösem Gefühl hingestellt. Dies also ist das Thema des zweiten Teiles.
Nun war aber notwendig, zu dieser ganzen rein negativen Gedankenrichtung
den Positiven Teil zu ergänzen. Hat Ahasver mit seinem Weltschmerz" wirklich
recht? Ist die Erlösung eine Wahrheit, oder ist sie es nicht? Darauf hat der
dritte Teil, die phantastische Komödie, die Antwort zu erteilen. Man sieht schon
ans dem Bisherigen, daß die Dichtung zwar von Christentum- ausgeht, aber
nicht mit demselben schließen wird. Wie es geschieht, werden wir schließlich


Der ewige Jude.

haben sei. In dem ersten Teile seines Werkes, dem „Mythos," ist Haushofers
Richtung jedenfalls ganz im Geiste der bedeutsamen christlichen Sage gehalten-
Sie berichtet, daß der Jude Ahasver den Erlöser in hartherziger Weise von
der Schwelle seiner Thür gestoßen, als dieser, unter der Last des Kreuzes zu¬
sammenbrechend, auf ihr ruhen wollte. Haushofer deutet diesen Vorgang ganz
treffend dahin: Ahasver habe durch dieses rohe Verjagen des bei ihm ein¬
kehrenden Erlösers die Erlösung selbst von sich gestoßen. Ahasver hat über¬
haupt seinem innersten Wesen nach kein Verständnis für den Begriff der Er¬
lösung. Er ist der Antipode des heilbringenden Nazareners. Er ist der
lebendige Gegensatz aller Religion, denn jede Religion beruht wesentlich auf dem
Begriffe der Erlösung, jede Religion verweist von diesem irdischen, sittlich un¬
ausgeglichenen Dasein auf ein andres, überirdisches. Haushofer zieht alle Folge¬
rungen, welche sich aus diesem Gegensatze ergeben, und diese bilden das reich
ausgestattete Charakterbild seines Ahasvers. Konsequent wäre es gewesen, die
Gegensätze selbst in einer mythisch erhabenen Dichtung, in der die beiden Pole
des menschlichen Wesens als überlebensgroße Gestalten sich gegenüberstünden,
darzustellen. Diesen Weg hat Haushofer jedoch nicht eingeschlagen. Er hat nur den
einen negativen Teil des Gegensatzes behalten, und dieser Ahasver wird ihm in
sehr charakteristischer Weise für den Geist der ganzen Dichtung zum Sinnbilde
des Menschentums aller Zeiten. Und mit historischem Sinne verfolgt er dieses
Menschentum in seiner Entwicklung in der Geschichte. Der erste Teil der um¬
fangreichen Dichtung stellt uns Ahasver zunächst in seinem ursprünglichen Wesen
vor: als den, der die Erlösung nicht versteht und daher zum ewigen irdischen
Dasein verurteilt wird. Der zweite Teil, das Trauerspiel der Unsterblichkeit,
bringt ein neues Motiv hinzu, das nnr lose mit dem Grundgedanken Ahasvers
zusammenhängt. Es ist allerdings richtig, daß der Wunsch der Menschen, Herr
über jenen Tod zu werden, der ihnen so oft zur Unzeit den Lebensfaden be¬
schneidet, ein irreligiöser ist. Schon das griechische Heidentum feiert den Tod
als eine Gunst der Götter, trotz all seiner Lebensfreude. Insofern ist ein
Streben, die leibliche Unsterblichkeit zu gewinnen, dem Ahasver verwandt. Und
doch ist es für jedes unbefangene Gefühl unorganisch mit seinem Charakter ver¬
bunden, um so unorganischer, als dieser sich im Verlaufe der Dichtung zum
bedeutsamen Vertreter des Weltschmerzes entwickelt, was weit konsequenter ge¬
dacht ist. Zugleich wird der Weltschmerz gleichfalls als Folge des Mangels
an religiösem Gefühl hingestellt. Dies also ist das Thema des zweiten Teiles.
Nun war aber notwendig, zu dieser ganzen rein negativen Gedankenrichtung
den Positiven Teil zu ergänzen. Hat Ahasver mit seinem Weltschmerz« wirklich
recht? Ist die Erlösung eine Wahrheit, oder ist sie es nicht? Darauf hat der
dritte Teil, die phantastische Komödie, die Antwort zu erteilen. Man sieht schon
ans dem Bisherigen, daß die Dichtung zwar von Christentum- ausgeht, aber
nicht mit demselben schließen wird. Wie es geschieht, werden wir schließlich


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[0230] Der ewige Jude. haben sei. In dem ersten Teile seines Werkes, dem „Mythos," ist Haushofers Richtung jedenfalls ganz im Geiste der bedeutsamen christlichen Sage gehalten- Sie berichtet, daß der Jude Ahasver den Erlöser in hartherziger Weise von der Schwelle seiner Thür gestoßen, als dieser, unter der Last des Kreuzes zu¬ sammenbrechend, auf ihr ruhen wollte. Haushofer deutet diesen Vorgang ganz treffend dahin: Ahasver habe durch dieses rohe Verjagen des bei ihm ein¬ kehrenden Erlösers die Erlösung selbst von sich gestoßen. Ahasver hat über¬ haupt seinem innersten Wesen nach kein Verständnis für den Begriff der Er¬ lösung. Er ist der Antipode des heilbringenden Nazareners. Er ist der lebendige Gegensatz aller Religion, denn jede Religion beruht wesentlich auf dem Begriffe der Erlösung, jede Religion verweist von diesem irdischen, sittlich un¬ ausgeglichenen Dasein auf ein andres, überirdisches. Haushofer zieht alle Folge¬ rungen, welche sich aus diesem Gegensatze ergeben, und diese bilden das reich ausgestattete Charakterbild seines Ahasvers. Konsequent wäre es gewesen, die Gegensätze selbst in einer mythisch erhabenen Dichtung, in der die beiden Pole des menschlichen Wesens als überlebensgroße Gestalten sich gegenüberstünden, darzustellen. Diesen Weg hat Haushofer jedoch nicht eingeschlagen. Er hat nur den einen negativen Teil des Gegensatzes behalten, und dieser Ahasver wird ihm in sehr charakteristischer Weise für den Geist der ganzen Dichtung zum Sinnbilde des Menschentums aller Zeiten. Und mit historischem Sinne verfolgt er dieses Menschentum in seiner Entwicklung in der Geschichte. Der erste Teil der um¬ fangreichen Dichtung stellt uns Ahasver zunächst in seinem ursprünglichen Wesen vor: als den, der die Erlösung nicht versteht und daher zum ewigen irdischen Dasein verurteilt wird. Der zweite Teil, das Trauerspiel der Unsterblichkeit, bringt ein neues Motiv hinzu, das nnr lose mit dem Grundgedanken Ahasvers zusammenhängt. Es ist allerdings richtig, daß der Wunsch der Menschen, Herr über jenen Tod zu werden, der ihnen so oft zur Unzeit den Lebensfaden be¬ schneidet, ein irreligiöser ist. Schon das griechische Heidentum feiert den Tod als eine Gunst der Götter, trotz all seiner Lebensfreude. Insofern ist ein Streben, die leibliche Unsterblichkeit zu gewinnen, dem Ahasver verwandt. Und doch ist es für jedes unbefangene Gefühl unorganisch mit seinem Charakter ver¬ bunden, um so unorganischer, als dieser sich im Verlaufe der Dichtung zum bedeutsamen Vertreter des Weltschmerzes entwickelt, was weit konsequenter ge¬ dacht ist. Zugleich wird der Weltschmerz gleichfalls als Folge des Mangels an religiösem Gefühl hingestellt. Dies also ist das Thema des zweiten Teiles. Nun war aber notwendig, zu dieser ganzen rein negativen Gedankenrichtung den Positiven Teil zu ergänzen. Hat Ahasver mit seinem Weltschmerz« wirklich recht? Ist die Erlösung eine Wahrheit, oder ist sie es nicht? Darauf hat der dritte Teil, die phantastische Komödie, die Antwort zu erteilen. Man sieht schon ans dem Bisherigen, daß die Dichtung zwar von Christentum- ausgeht, aber nicht mit demselben schließen wird. Wie es geschieht, werden wir schließlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/230>, abgerufen am 27.09.2024.