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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ver ewige Jude.

der That nicht sagen können, daß man jemals sich bei dem fünfhundert Seiten
starken Bande gelangweilt hätte.

Was er mit seinem ewigen Juden beabsichtigte, spricht Hcinshofer in dem
dramatischen Prologe seiner Dichtung klar ans. Beim Maler Eckbert kommen
der Schriftsteller Kurt Hofrat Graumann und dessen Nichte zusammen; ihnen
liest Kurt -- es ist ein früher Winternachmittag -- sein Drama vor. Ein¬
leitend spricht er:


. . . Doch ihr werdet fragen:
Wie kann man sich mit solchem Stoffe plagen?
Ein Mensch, der niemals stirbt, kann kein
Vernunft'geh Opfer für Tragödien sein;
Denn die Tragödienhelden müssen sterben,
Um ein unsterblich Leben zu erwerben.
An dieses hatt' ich nicht gedacht.
Vielleicht hat jemand auch Verdacht,
Ich käme mit der Judenfrage,
Die uns in Zeitungen jetzt alle Tage
Zuwidrer wird, in meinem Stück daher.
Da fürchtet nichts. Mein Ahasver
Der ist schon längst kein Jude mehr.
Ganz konfessionslos ist das alte Haus;
Es wird einfach ein armer Mensch daraus.
Ein armer Mensch! Der ärmste! Denn er trägt
Den alten Jammer unentwegt
Aus einem in das andere Jahrhundert,
Daß sich der Fels, auf dem er ruht, verwundert.
Doch Mitleid ist's nicht eigentlich,
Was ich für ihn erwecken will! Für mich
Ist sein geheimnisvolles Loos
Erbärmlich und doch riesengroß,
Ist menschlich und doch weltentrückt,
Daß Schauer oft mein Mitleid unterdrückt.
Ich sehe den Unsterblichkeitsgedanken
Verkörpert durch die Weltgeschichte schwanken
Als geisterhaften Greis, Erlösung suchend,
Mit gilts'ndem Blick sich und die Welt verfluchend.
Ein Götterschicksal ist's, in Staub gekleidet,
Bewundert und beklagt, verwünscht, beneidet.

Der Leser fragt verwundert: Was hat Ahasver, der unfreiwillig Unsterb¬
liche, der zum jammervollen Nichtstcrbenlönnen Verurteilte mit dem Unsterb¬
lichkeitsgedanken, dem geraden Gegensatze seiner Sehnsucht, zu thun? Wie kommt
der Dichter dazu, solche sich offenbar ausschließende Widersprüche zu vereinigen?
Nun, in dieser Vereinigung liegt eben das Originale von Haushofers Auf¬
fassung des Ahasverischen Charakters, womit nicht gesagt werden soll, daß diese
Originalität, so tiefsinnig sie auch motivirt sein mag, über jedes Bedenken er-


Ver ewige Jude.

der That nicht sagen können, daß man jemals sich bei dem fünfhundert Seiten
starken Bande gelangweilt hätte.

Was er mit seinem ewigen Juden beabsichtigte, spricht Hcinshofer in dem
dramatischen Prologe seiner Dichtung klar ans. Beim Maler Eckbert kommen
der Schriftsteller Kurt Hofrat Graumann und dessen Nichte zusammen; ihnen
liest Kurt — es ist ein früher Winternachmittag — sein Drama vor. Ein¬
leitend spricht er:


. . . Doch ihr werdet fragen:
Wie kann man sich mit solchem Stoffe plagen?
Ein Mensch, der niemals stirbt, kann kein
Vernunft'geh Opfer für Tragödien sein;
Denn die Tragödienhelden müssen sterben,
Um ein unsterblich Leben zu erwerben.
An dieses hatt' ich nicht gedacht.
Vielleicht hat jemand auch Verdacht,
Ich käme mit der Judenfrage,
Die uns in Zeitungen jetzt alle Tage
Zuwidrer wird, in meinem Stück daher.
Da fürchtet nichts. Mein Ahasver
Der ist schon längst kein Jude mehr.
Ganz konfessionslos ist das alte Haus;
Es wird einfach ein armer Mensch daraus.
Ein armer Mensch! Der ärmste! Denn er trägt
Den alten Jammer unentwegt
Aus einem in das andere Jahrhundert,
Daß sich der Fels, auf dem er ruht, verwundert.
Doch Mitleid ist's nicht eigentlich,
Was ich für ihn erwecken will! Für mich
Ist sein geheimnisvolles Loos
Erbärmlich und doch riesengroß,
Ist menschlich und doch weltentrückt,
Daß Schauer oft mein Mitleid unterdrückt.
Ich sehe den Unsterblichkeitsgedanken
Verkörpert durch die Weltgeschichte schwanken
Als geisterhaften Greis, Erlösung suchend,
Mit gilts'ndem Blick sich und die Welt verfluchend.
Ein Götterschicksal ist's, in Staub gekleidet,
Bewundert und beklagt, verwünscht, beneidet.

Der Leser fragt verwundert: Was hat Ahasver, der unfreiwillig Unsterb¬
liche, der zum jammervollen Nichtstcrbenlönnen Verurteilte mit dem Unsterb¬
lichkeitsgedanken, dem geraden Gegensatze seiner Sehnsucht, zu thun? Wie kommt
der Dichter dazu, solche sich offenbar ausschließende Widersprüche zu vereinigen?
Nun, in dieser Vereinigung liegt eben das Originale von Haushofers Auf¬
fassung des Ahasverischen Charakters, womit nicht gesagt werden soll, daß diese
Originalität, so tiefsinnig sie auch motivirt sein mag, über jedes Bedenken er-


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[0229] Ver ewige Jude. der That nicht sagen können, daß man jemals sich bei dem fünfhundert Seiten starken Bande gelangweilt hätte. Was er mit seinem ewigen Juden beabsichtigte, spricht Hcinshofer in dem dramatischen Prologe seiner Dichtung klar ans. Beim Maler Eckbert kommen der Schriftsteller Kurt Hofrat Graumann und dessen Nichte zusammen; ihnen liest Kurt — es ist ein früher Winternachmittag — sein Drama vor. Ein¬ leitend spricht er: . . . Doch ihr werdet fragen: Wie kann man sich mit solchem Stoffe plagen? Ein Mensch, der niemals stirbt, kann kein Vernunft'geh Opfer für Tragödien sein; Denn die Tragödienhelden müssen sterben, Um ein unsterblich Leben zu erwerben. An dieses hatt' ich nicht gedacht. Vielleicht hat jemand auch Verdacht, Ich käme mit der Judenfrage, Die uns in Zeitungen jetzt alle Tage Zuwidrer wird, in meinem Stück daher. Da fürchtet nichts. Mein Ahasver Der ist schon längst kein Jude mehr. Ganz konfessionslos ist das alte Haus; Es wird einfach ein armer Mensch daraus. Ein armer Mensch! Der ärmste! Denn er trägt Den alten Jammer unentwegt Aus einem in das andere Jahrhundert, Daß sich der Fels, auf dem er ruht, verwundert. Doch Mitleid ist's nicht eigentlich, Was ich für ihn erwecken will! Für mich Ist sein geheimnisvolles Loos Erbärmlich und doch riesengroß, Ist menschlich und doch weltentrückt, Daß Schauer oft mein Mitleid unterdrückt. Ich sehe den Unsterblichkeitsgedanken Verkörpert durch die Weltgeschichte schwanken Als geisterhaften Greis, Erlösung suchend, Mit gilts'ndem Blick sich und die Welt verfluchend. Ein Götterschicksal ist's, in Staub gekleidet, Bewundert und beklagt, verwünscht, beneidet. Der Leser fragt verwundert: Was hat Ahasver, der unfreiwillig Unsterb¬ liche, der zum jammervollen Nichtstcrbenlönnen Verurteilte mit dem Unsterb¬ lichkeitsgedanken, dem geraden Gegensatze seiner Sehnsucht, zu thun? Wie kommt der Dichter dazu, solche sich offenbar ausschließende Widersprüche zu vereinigen? Nun, in dieser Vereinigung liegt eben das Originale von Haushofers Auf¬ fassung des Ahasverischen Charakters, womit nicht gesagt werden soll, daß diese Originalität, so tiefsinnig sie auch motivirt sein mag, über jedes Bedenken er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/229>, abgerufen am 27.09.2024.