Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der ewige Jude.

Realismus, der übrigens so alt wie die poetische Kunst selbst ist, nicht mit dein
modernen Naturalismus in einen Topf zu werfen. Wenn es diesem auf die
peinlich getreue Nachahmung der äußerlichen Wirklichkeit ankommt, so begnügt
sich jener lange nicht damit; ein idealer Gehalt muß ihm jeden Stoff künstlerisch
brauchbar machen.

Ein Dichter, welcher die mythische Gestalt des ewigen Juden zum Helden
wählt, muß sich des Gegensatzes bewußt sein, in den er sich zu der herrschenden
literarischen Richtung stellt. Auch Max Haushofer, der geistvolle Autor des
neuesten "Ewigen Juden"") war sich darüber klar; denen, welche diese Einwen¬
dungen gegen ihn erheben würden, schrieb er in der Widmung des Gedichtes
an die Leser die Antwort:


Alltagsgcschichten könnt ihr selbst erleben,
Sie brauchen keinerlei Begeisterung.
Nicht einen Abklatsch wollt' ich; nein, ein Heben
Zum freisten Schöpferspiel, zum höchsten Schwung!
Laßt einmal Unerhörtes Euch erzählen --
Weltfremd und bittend komm' ich zu den Seelen!

Jeder Mutige nimmt uns von vornherein für sich ein. Einer Dichtung,
die sich mit so stolzer Bescheidenheit, wie die vorliegende, einführt, sind wir gern
zu horchen bereit. Wir wollen unsre ästhetischen Grundsätze zunächst vergessen
und uns ganz auf den Standpunkt des Dichters stellen, der es unternimmt,
ewige Ideen der Menschheit in körperliche Form zu kleiden, der an das Lnftigste
mit kühner Gestaltungskraft sich heranwagt und ganz offen erklärt: "Das Höchste
ist's, was ich darin erstrebe!" Es giebt nicht viele unter unsern Dichtern, die
den Mut haben, mit solchem Geständnis ein Werk in die Welt zu schicken; man
schreibt heutzutage um Honorare, aber uicht um ein höchstes Kunstideal zu er¬
reichen. Schon deswegen allein wären wir geneigt, das Werk eines solchen
Schwärmers näher zu würdigen, aber wir müssen auch gleich gestehen, dieser
Schwärmer verfügt über eine höchst respektable dichterische Kraft. Erist ein Be¬
herrscher der Sprache und der metrischen Formen, der vor keinem lebenden Dichter
zurücksteht. Er hat eine bewegliche und erfinderische Phantasie, die mit der
vollsten Freiheit ihren klar geschauten Bildern gegenübersteht, einer Freiheit, die
ihn sogar zum Spiel mit seinen Bildern verleitet und seiner Neigung für.den
barocken Spaß der Romantiker Vorschub leistet. Ein fein gebildeter Kunstverstand
leuchtet überall durch, mag mau auch gerade vom künstlerischen Standpunkte
dann vieles bekämpfen. Dazu kommt eine seltene Tiefe des Geistes, ein reiches
und klares Wissen, ein sprudelnder Witz, die den "ewigen Ahasver" bei all
seinen Fehlern jedenfalls zu eiuer fesselnden und anregenden Lektüre machen,
was man sonst Dichtungen dieser Art nicht nachrühmen kaun. Man wird in



*) Der ewige Jude. Eine dramatische Dichtung in drei Teilen von Max Haus¬
hofer. Leipzig, Liebeskiud, 1336.
Der ewige Jude.

Realismus, der übrigens so alt wie die poetische Kunst selbst ist, nicht mit dein
modernen Naturalismus in einen Topf zu werfen. Wenn es diesem auf die
peinlich getreue Nachahmung der äußerlichen Wirklichkeit ankommt, so begnügt
sich jener lange nicht damit; ein idealer Gehalt muß ihm jeden Stoff künstlerisch
brauchbar machen.

Ein Dichter, welcher die mythische Gestalt des ewigen Juden zum Helden
wählt, muß sich des Gegensatzes bewußt sein, in den er sich zu der herrschenden
literarischen Richtung stellt. Auch Max Haushofer, der geistvolle Autor des
neuesten „Ewigen Juden"") war sich darüber klar; denen, welche diese Einwen¬
dungen gegen ihn erheben würden, schrieb er in der Widmung des Gedichtes
an die Leser die Antwort:


Alltagsgcschichten könnt ihr selbst erleben,
Sie brauchen keinerlei Begeisterung.
Nicht einen Abklatsch wollt' ich; nein, ein Heben
Zum freisten Schöpferspiel, zum höchsten Schwung!
Laßt einmal Unerhörtes Euch erzählen —
Weltfremd und bittend komm' ich zu den Seelen!

Jeder Mutige nimmt uns von vornherein für sich ein. Einer Dichtung,
die sich mit so stolzer Bescheidenheit, wie die vorliegende, einführt, sind wir gern
zu horchen bereit. Wir wollen unsre ästhetischen Grundsätze zunächst vergessen
und uns ganz auf den Standpunkt des Dichters stellen, der es unternimmt,
ewige Ideen der Menschheit in körperliche Form zu kleiden, der an das Lnftigste
mit kühner Gestaltungskraft sich heranwagt und ganz offen erklärt: „Das Höchste
ist's, was ich darin erstrebe!" Es giebt nicht viele unter unsern Dichtern, die
den Mut haben, mit solchem Geständnis ein Werk in die Welt zu schicken; man
schreibt heutzutage um Honorare, aber uicht um ein höchstes Kunstideal zu er¬
reichen. Schon deswegen allein wären wir geneigt, das Werk eines solchen
Schwärmers näher zu würdigen, aber wir müssen auch gleich gestehen, dieser
Schwärmer verfügt über eine höchst respektable dichterische Kraft. Erist ein Be¬
herrscher der Sprache und der metrischen Formen, der vor keinem lebenden Dichter
zurücksteht. Er hat eine bewegliche und erfinderische Phantasie, die mit der
vollsten Freiheit ihren klar geschauten Bildern gegenübersteht, einer Freiheit, die
ihn sogar zum Spiel mit seinen Bildern verleitet und seiner Neigung für.den
barocken Spaß der Romantiker Vorschub leistet. Ein fein gebildeter Kunstverstand
leuchtet überall durch, mag mau auch gerade vom künstlerischen Standpunkte
dann vieles bekämpfen. Dazu kommt eine seltene Tiefe des Geistes, ein reiches
und klares Wissen, ein sprudelnder Witz, die den „ewigen Ahasver" bei all
seinen Fehlern jedenfalls zu eiuer fesselnden und anregenden Lektüre machen,
was man sonst Dichtungen dieser Art nicht nachrühmen kaun. Man wird in



*) Der ewige Jude. Eine dramatische Dichtung in drei Teilen von Max Haus¬
hofer. Leipzig, Liebeskiud, 1336.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199582"/>
          <fw type="header" place="top"> Der ewige Jude.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_869" prev="#ID_868"> Realismus, der übrigens so alt wie die poetische Kunst selbst ist, nicht mit dein<lb/>
modernen Naturalismus in einen Topf zu werfen. Wenn es diesem auf die<lb/>
peinlich getreue Nachahmung der äußerlichen Wirklichkeit ankommt, so begnügt<lb/>
sich jener lange nicht damit; ein idealer Gehalt muß ihm jeden Stoff künstlerisch<lb/>
brauchbar machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_870"> Ein Dichter, welcher die mythische Gestalt des ewigen Juden zum Helden<lb/>
wählt, muß sich des Gegensatzes bewußt sein, in den er sich zu der herrschenden<lb/>
literarischen Richtung stellt. Auch Max Haushofer, der geistvolle Autor des<lb/>
neuesten &#x201E;Ewigen Juden"") war sich darüber klar; denen, welche diese Einwen¬<lb/>
dungen gegen ihn erheben würden, schrieb er in der Widmung des Gedichtes<lb/>
an die Leser die Antwort:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_9" type="poem">
              <l> Alltagsgcschichten könnt ihr selbst erleben,<lb/>
Sie brauchen keinerlei Begeisterung.<lb/>
Nicht einen Abklatsch wollt' ich; nein, ein Heben<lb/>
Zum freisten Schöpferspiel, zum höchsten Schwung!<lb/>
Laßt einmal Unerhörtes Euch erzählen &#x2014;<lb/>
Weltfremd und bittend komm' ich zu den Seelen!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_871" next="#ID_872"> Jeder Mutige nimmt uns von vornherein für sich ein. Einer Dichtung,<lb/>
die sich mit so stolzer Bescheidenheit, wie die vorliegende, einführt, sind wir gern<lb/>
zu horchen bereit. Wir wollen unsre ästhetischen Grundsätze zunächst vergessen<lb/>
und uns ganz auf den Standpunkt des Dichters stellen, der es unternimmt,<lb/>
ewige Ideen der Menschheit in körperliche Form zu kleiden, der an das Lnftigste<lb/>
mit kühner Gestaltungskraft sich heranwagt und ganz offen erklärt: &#x201E;Das Höchste<lb/>
ist's, was ich darin erstrebe!" Es giebt nicht viele unter unsern Dichtern, die<lb/>
den Mut haben, mit solchem Geständnis ein Werk in die Welt zu schicken; man<lb/>
schreibt heutzutage um Honorare, aber uicht um ein höchstes Kunstideal zu er¬<lb/>
reichen. Schon deswegen allein wären wir geneigt, das Werk eines solchen<lb/>
Schwärmers näher zu würdigen, aber wir müssen auch gleich gestehen, dieser<lb/>
Schwärmer verfügt über eine höchst respektable dichterische Kraft. Erist ein Be¬<lb/>
herrscher der Sprache und der metrischen Formen, der vor keinem lebenden Dichter<lb/>
zurücksteht. Er hat eine bewegliche und erfinderische Phantasie, die mit der<lb/>
vollsten Freiheit ihren klar geschauten Bildern gegenübersteht, einer Freiheit, die<lb/>
ihn sogar zum Spiel mit seinen Bildern verleitet und seiner Neigung für.den<lb/>
barocken Spaß der Romantiker Vorschub leistet. Ein fein gebildeter Kunstverstand<lb/>
leuchtet überall durch, mag mau auch gerade vom künstlerischen Standpunkte<lb/>
dann vieles bekämpfen. Dazu kommt eine seltene Tiefe des Geistes, ein reiches<lb/>
und klares Wissen, ein sprudelnder Witz, die den &#x201E;ewigen Ahasver" bei all<lb/>
seinen Fehlern jedenfalls zu eiuer fesselnden und anregenden Lektüre machen,<lb/>
was man sonst Dichtungen dieser Art nicht nachrühmen kaun.  Man wird in</p><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> *) Der ewige Jude. Eine dramatische Dichtung in drei Teilen von Max Haus¬<lb/>
hofer. Leipzig, Liebeskiud, 1336.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Der ewige Jude. Realismus, der übrigens so alt wie die poetische Kunst selbst ist, nicht mit dein modernen Naturalismus in einen Topf zu werfen. Wenn es diesem auf die peinlich getreue Nachahmung der äußerlichen Wirklichkeit ankommt, so begnügt sich jener lange nicht damit; ein idealer Gehalt muß ihm jeden Stoff künstlerisch brauchbar machen. Ein Dichter, welcher die mythische Gestalt des ewigen Juden zum Helden wählt, muß sich des Gegensatzes bewußt sein, in den er sich zu der herrschenden literarischen Richtung stellt. Auch Max Haushofer, der geistvolle Autor des neuesten „Ewigen Juden"") war sich darüber klar; denen, welche diese Einwen¬ dungen gegen ihn erheben würden, schrieb er in der Widmung des Gedichtes an die Leser die Antwort: Alltagsgcschichten könnt ihr selbst erleben, Sie brauchen keinerlei Begeisterung. Nicht einen Abklatsch wollt' ich; nein, ein Heben Zum freisten Schöpferspiel, zum höchsten Schwung! Laßt einmal Unerhörtes Euch erzählen — Weltfremd und bittend komm' ich zu den Seelen! Jeder Mutige nimmt uns von vornherein für sich ein. Einer Dichtung, die sich mit so stolzer Bescheidenheit, wie die vorliegende, einführt, sind wir gern zu horchen bereit. Wir wollen unsre ästhetischen Grundsätze zunächst vergessen und uns ganz auf den Standpunkt des Dichters stellen, der es unternimmt, ewige Ideen der Menschheit in körperliche Form zu kleiden, der an das Lnftigste mit kühner Gestaltungskraft sich heranwagt und ganz offen erklärt: „Das Höchste ist's, was ich darin erstrebe!" Es giebt nicht viele unter unsern Dichtern, die den Mut haben, mit solchem Geständnis ein Werk in die Welt zu schicken; man schreibt heutzutage um Honorare, aber uicht um ein höchstes Kunstideal zu er¬ reichen. Schon deswegen allein wären wir geneigt, das Werk eines solchen Schwärmers näher zu würdigen, aber wir müssen auch gleich gestehen, dieser Schwärmer verfügt über eine höchst respektable dichterische Kraft. Erist ein Be¬ herrscher der Sprache und der metrischen Formen, der vor keinem lebenden Dichter zurücksteht. Er hat eine bewegliche und erfinderische Phantasie, die mit der vollsten Freiheit ihren klar geschauten Bildern gegenübersteht, einer Freiheit, die ihn sogar zum Spiel mit seinen Bildern verleitet und seiner Neigung für.den barocken Spaß der Romantiker Vorschub leistet. Ein fein gebildeter Kunstverstand leuchtet überall durch, mag mau auch gerade vom künstlerischen Standpunkte dann vieles bekämpfen. Dazu kommt eine seltene Tiefe des Geistes, ein reiches und klares Wissen, ein sprudelnder Witz, die den „ewigen Ahasver" bei all seinen Fehlern jedenfalls zu eiuer fesselnden und anregenden Lektüre machen, was man sonst Dichtungen dieser Art nicht nachrühmen kaun. Man wird in *) Der ewige Jude. Eine dramatische Dichtung in drei Teilen von Max Haus¬ hofer. Leipzig, Liebeskiud, 1336.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/228>, abgerufen am 27.09.2024.