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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia und der olympische Aenstempel.

Geschmacksrichtung. Man streitet über alte, unlösbare Probleme und gedenkt
nicht des neuen, von Tag zu Tag sich erweiternden Materials, und wenn auch
die philologische Kleinkrämerei unsrer Zeit oft und scharf getadelt worden ist,
so will sich doch die Überzeugung, daß der Philolog den allmählich fortschreitenden
Ausbau des ganzen Gebündes seiner Wissenschaft verfolgen, daß er "universell"
sein möchte, daß die monumentalen Schätze, die auf klassischem Boden gefunden
werden, nicht nnr als Material einer eignen Disziplin, sondern zur Förderung
der Erkenntnis antiken Lebens überhaupt dienen sollen, in neuester Zeit nicht
mehr recht Bahn brechen, oder richtiger gesagt, diese Überzeugung scheint gegen¬
über frühern Zeiten immer mehr dahinzuschwinden. Ist doch das Studium
antiker Kunstdenkmäler für die meisten nur noch ein vornehmer Sport, der
angenehm und interessant, unter Umständen, wenn es den Wissensdrang neu¬
gieriger Gymnasiasten zu befriedigen gilt, anch nützlich, aber nicht notwendig
ist. Das Programm, das Friedrich August Wolf für das Studium der klassischen
Altertumswissenschaft aufgestellt hat, ist längst in Vergessenheit geraten. Kann
das nicht wieder anders werden? "Die Archäologie der Kunst -- so schreibt
einmal Ernst Curtius -- tritt mit Topographie, Geschichte und Sprachforschung
in den natürlichen Zusammenhang, dessen Lockerung immer der echten Forschung
Gefahr bringt. So tritt uns in zusammenhängenden Denkmälern das Leben
der alten Völker entgegen, dessen Verständnis die wahre Aufgabe der Philologie
in Universität und Gymnasium ist." Wie steht diesem Ausspruche die heutige
Richtung gegenüber!

Die Ausgrabungen des ganzen heiligen Bezirkes des alten Olympias und
die Masse des Gefundenen haben neue Einblicke in das Leben der alten Hellenen
eröffnet, viele Tiefen in unsrer Erkenntnis antiker Kultur und Kunst ausgefüllt,
aber auch viele neue Probleme gestellt. Sie zu lösen, ist das fortgesetztte Be¬
streben der Wissenschaft, auf ihre Existenz, ihren Grund und ihre geschichtliche
Entwicklung hinzuweisen, kann bei dem Interesse, welches das deutsche Volk mit
dem großen Werke der Ausgrabungen verbindet, als eine dankbare Aufgabe
betrachtet werden.

Der plastische Schmuck des Zeustempels bestand, abgesehen von den rein-
ornamentalen Skulpturen, aus den Bildwerken des östlichen und westlichen
Giebels") und aus zwölf Metopen, die sich nicht wie sonst über den äußern
Säulen, sondern am eigentlichen Tempelhanse befanden. Von den letztern sind
einige schöne Stücke bereits durch die französischen Ausgrabungen bekannt ge¬
worden, und man war somit in der Lage, sich von dem künstlerischen Werte



*) Es sei hier bemerkt, daß neben der kunstgeschichtlichen Stellung dieser Bildwerke, die
im folgenden darzulegen versucht werden soll, die vielmnstrittene Erklärung und Anordnung
der einzelnen Figuren innerhalb der Giebelfelder aus dem Grunde nicht berührt werden kann,
da zu einem richtigen Verständnis der Probleme Abbildungen oder Modelle unbedingt er¬
forderlich sind.
Glympia und der olympische Aenstempel.

Geschmacksrichtung. Man streitet über alte, unlösbare Probleme und gedenkt
nicht des neuen, von Tag zu Tag sich erweiternden Materials, und wenn auch
die philologische Kleinkrämerei unsrer Zeit oft und scharf getadelt worden ist,
so will sich doch die Überzeugung, daß der Philolog den allmählich fortschreitenden
Ausbau des ganzen Gebündes seiner Wissenschaft verfolgen, daß er „universell"
sein möchte, daß die monumentalen Schätze, die auf klassischem Boden gefunden
werden, nicht nnr als Material einer eignen Disziplin, sondern zur Förderung
der Erkenntnis antiken Lebens überhaupt dienen sollen, in neuester Zeit nicht
mehr recht Bahn brechen, oder richtiger gesagt, diese Überzeugung scheint gegen¬
über frühern Zeiten immer mehr dahinzuschwinden. Ist doch das Studium
antiker Kunstdenkmäler für die meisten nur noch ein vornehmer Sport, der
angenehm und interessant, unter Umständen, wenn es den Wissensdrang neu¬
gieriger Gymnasiasten zu befriedigen gilt, anch nützlich, aber nicht notwendig
ist. Das Programm, das Friedrich August Wolf für das Studium der klassischen
Altertumswissenschaft aufgestellt hat, ist längst in Vergessenheit geraten. Kann
das nicht wieder anders werden? „Die Archäologie der Kunst — so schreibt
einmal Ernst Curtius — tritt mit Topographie, Geschichte und Sprachforschung
in den natürlichen Zusammenhang, dessen Lockerung immer der echten Forschung
Gefahr bringt. So tritt uns in zusammenhängenden Denkmälern das Leben
der alten Völker entgegen, dessen Verständnis die wahre Aufgabe der Philologie
in Universität und Gymnasium ist." Wie steht diesem Ausspruche die heutige
Richtung gegenüber!

Die Ausgrabungen des ganzen heiligen Bezirkes des alten Olympias und
die Masse des Gefundenen haben neue Einblicke in das Leben der alten Hellenen
eröffnet, viele Tiefen in unsrer Erkenntnis antiker Kultur und Kunst ausgefüllt,
aber auch viele neue Probleme gestellt. Sie zu lösen, ist das fortgesetztte Be¬
streben der Wissenschaft, auf ihre Existenz, ihren Grund und ihre geschichtliche
Entwicklung hinzuweisen, kann bei dem Interesse, welches das deutsche Volk mit
dem großen Werke der Ausgrabungen verbindet, als eine dankbare Aufgabe
betrachtet werden.

Der plastische Schmuck des Zeustempels bestand, abgesehen von den rein-
ornamentalen Skulpturen, aus den Bildwerken des östlichen und westlichen
Giebels") und aus zwölf Metopen, die sich nicht wie sonst über den äußern
Säulen, sondern am eigentlichen Tempelhanse befanden. Von den letztern sind
einige schöne Stücke bereits durch die französischen Ausgrabungen bekannt ge¬
worden, und man war somit in der Lage, sich von dem künstlerischen Werte



*) Es sei hier bemerkt, daß neben der kunstgeschichtlichen Stellung dieser Bildwerke, die
im folgenden darzulegen versucht werden soll, die vielmnstrittene Erklärung und Anordnung
der einzelnen Figuren innerhalb der Giebelfelder aus dem Grunde nicht berührt werden kann,
da zu einem richtigen Verständnis der Probleme Abbildungen oder Modelle unbedingt er¬
forderlich sind.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/187>, abgerufen am 27.09.2024.