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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia und der olympische Zeustempol.

und den stilistischen Eigentümlichkeiten der fehlenden Platten eine annähernd
richtige Vorstellung zu machen. Man ahnte nicht, wie nahe sie den übrigen
Skulpturen des Tempels standen. Mit Hilfe einer alten Überlieferung und
einiger antiken Monumente, so namentlich später Vasengemälde, die in ihren
Darstellungen -- wenn auch, wie sich gezeigt hat, in durchaus verschiedener
Auffassung -- dieselbe Episode wie die eine der Giebelgruppen vergegenwärtigten,
suchte man sich diese in ihrer ganzen Vollkommenheit und künstlerischen Pracht,
wie sie für das große Heiligtum des panhellenischeu Zeus nach Analogie der
Parthenonskulpturen nicht anders vorausgesetzt werden konnte, in Phantasie und
Zeichnung zu ergänzen. Es ist interessant und lehrreich für die Methode archäo¬
logischer Forschung, diese Rekonstruktionen mit den Ergebnissen der deutschen
Ausgrabungen zu vergleichen und die Grenze festzustellen, wieweit in ähnlichen
Fällen die Wissenschaft mit dem ihr zu Gebote stehenden Material zu dringen
vermag. Um hier mir eins zu erwähnen, sei auf einen durch die Funde that¬
sächlich begründeten Ausspruch eiues mit künstlerischer Phantasie und einem
wahrhaft divinatorischen Blicke begabten deutschen Philologen der guten alten
Zeit, des im Jahre 1868 verstorbnen Friedrich Göttlich Welcker, hingewiesen,
der im Jahre 1848 über die olympischen Giebelgruppe" schrieb: "Künstler, welche
diese Hintere Giebelgruppe aufzuzeichnen versuche", dürfen nicht unterlassen, in
den Friesstückcn von Phigalia, den Metopen des Parthenon ". s. w. die Ken¬
tauren mit geraubten Weibern, oder mit einem Knaben, wie auf einer Platte
aus Phigalia vorkommt, und die Kämpfe mit ihnen sorgfältig zu untersuchen,
da darin ohne Zweifel manches enthalten ist, womit die Figuren des olympischen
Künstlers übereinkämen."

Eine genauere, für die Ergäuzuugsversuche maßgebende Beschreibung ver¬
mittelte der Bericht eines griechischen Periegeten Pauscniias, der zur Zeit des
Kaisers Hadrian und seiner beiden Nachfolger, also etwa um die Mitte des
zweiten nachchristliche" Jahrhunderts, ans Grund seiner großen Reisen i" zehn
Büchern eine Beschreibung der griechischen Landschaften verfaßte, deren haupt-
sächlichen Inhalt, außer den geographischen und historischen Merkwürdigkeiten
der einzelnen Länder und Orte, eine Darstellung der religiösen Kutte bildet, mit
welcher -- für uns der wertvollste Teil des ganzen Werkes -- eine Auf¬
zählung der an den verschiednen Kultstätten befindlichen Knnstdenkmciler ver¬
bunden ist. Im fünften und Sechstel: Buche ("Eliakci") wird eine ausführliche
Beschreibung von Olympia mit all seinen Heiligtümern und Kunstwerken ge¬
geben, und bei dieser Gelegenheit auch des Zeustempels in seinem architektonischen
Aufbau und plastischen Schmucke gedacht. "Was die Darstellungen in den
Giebelfeldern betrifft -- schreibt Pausanias --, so ist vorn (d. h. im Osten)
das Wagenreimen des Pelops mit dem Oinomaos eben erst im Beginne, und
von beiden Parteien die Zurüstung zu dem Werke des Rennens. Die Arbeit
im vordern Giebelfelde ist von Päonivs, von Herkunft aus Meute in Thrakien,


Glympia und der olympische Zeustempol.

und den stilistischen Eigentümlichkeiten der fehlenden Platten eine annähernd
richtige Vorstellung zu machen. Man ahnte nicht, wie nahe sie den übrigen
Skulpturen des Tempels standen. Mit Hilfe einer alten Überlieferung und
einiger antiken Monumente, so namentlich später Vasengemälde, die in ihren
Darstellungen — wenn auch, wie sich gezeigt hat, in durchaus verschiedener
Auffassung — dieselbe Episode wie die eine der Giebelgruppen vergegenwärtigten,
suchte man sich diese in ihrer ganzen Vollkommenheit und künstlerischen Pracht,
wie sie für das große Heiligtum des panhellenischeu Zeus nach Analogie der
Parthenonskulpturen nicht anders vorausgesetzt werden konnte, in Phantasie und
Zeichnung zu ergänzen. Es ist interessant und lehrreich für die Methode archäo¬
logischer Forschung, diese Rekonstruktionen mit den Ergebnissen der deutschen
Ausgrabungen zu vergleichen und die Grenze festzustellen, wieweit in ähnlichen
Fällen die Wissenschaft mit dem ihr zu Gebote stehenden Material zu dringen
vermag. Um hier mir eins zu erwähnen, sei auf einen durch die Funde that¬
sächlich begründeten Ausspruch eiues mit künstlerischer Phantasie und einem
wahrhaft divinatorischen Blicke begabten deutschen Philologen der guten alten
Zeit, des im Jahre 1868 verstorbnen Friedrich Göttlich Welcker, hingewiesen,
der im Jahre 1848 über die olympischen Giebelgruppe» schrieb: „Künstler, welche
diese Hintere Giebelgruppe aufzuzeichnen versuche», dürfen nicht unterlassen, in
den Friesstückcn von Phigalia, den Metopen des Parthenon ». s. w. die Ken¬
tauren mit geraubten Weibern, oder mit einem Knaben, wie auf einer Platte
aus Phigalia vorkommt, und die Kämpfe mit ihnen sorgfältig zu untersuchen,
da darin ohne Zweifel manches enthalten ist, womit die Figuren des olympischen
Künstlers übereinkämen."

Eine genauere, für die Ergäuzuugsversuche maßgebende Beschreibung ver¬
mittelte der Bericht eines griechischen Periegeten Pauscniias, der zur Zeit des
Kaisers Hadrian und seiner beiden Nachfolger, also etwa um die Mitte des
zweiten nachchristliche» Jahrhunderts, ans Grund seiner großen Reisen i» zehn
Büchern eine Beschreibung der griechischen Landschaften verfaßte, deren haupt-
sächlichen Inhalt, außer den geographischen und historischen Merkwürdigkeiten
der einzelnen Länder und Orte, eine Darstellung der religiösen Kutte bildet, mit
welcher — für uns der wertvollste Teil des ganzen Werkes — eine Auf¬
zählung der an den verschiednen Kultstätten befindlichen Knnstdenkmciler ver¬
bunden ist. Im fünften und Sechstel: Buche („Eliakci") wird eine ausführliche
Beschreibung von Olympia mit all seinen Heiligtümern und Kunstwerken ge¬
geben, und bei dieser Gelegenheit auch des Zeustempels in seinem architektonischen
Aufbau und plastischen Schmucke gedacht. „Was die Darstellungen in den
Giebelfeldern betrifft — schreibt Pausanias —, so ist vorn (d. h. im Osten)
das Wagenreimen des Pelops mit dem Oinomaos eben erst im Beginne, und
von beiden Parteien die Zurüstung zu dem Werke des Rennens. Die Arbeit
im vordern Giebelfelde ist von Päonivs, von Herkunft aus Meute in Thrakien,


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[0188] Glympia und der olympische Zeustempol. und den stilistischen Eigentümlichkeiten der fehlenden Platten eine annähernd richtige Vorstellung zu machen. Man ahnte nicht, wie nahe sie den übrigen Skulpturen des Tempels standen. Mit Hilfe einer alten Überlieferung und einiger antiken Monumente, so namentlich später Vasengemälde, die in ihren Darstellungen — wenn auch, wie sich gezeigt hat, in durchaus verschiedener Auffassung — dieselbe Episode wie die eine der Giebelgruppen vergegenwärtigten, suchte man sich diese in ihrer ganzen Vollkommenheit und künstlerischen Pracht, wie sie für das große Heiligtum des panhellenischeu Zeus nach Analogie der Parthenonskulpturen nicht anders vorausgesetzt werden konnte, in Phantasie und Zeichnung zu ergänzen. Es ist interessant und lehrreich für die Methode archäo¬ logischer Forschung, diese Rekonstruktionen mit den Ergebnissen der deutschen Ausgrabungen zu vergleichen und die Grenze festzustellen, wieweit in ähnlichen Fällen die Wissenschaft mit dem ihr zu Gebote stehenden Material zu dringen vermag. Um hier mir eins zu erwähnen, sei auf einen durch die Funde that¬ sächlich begründeten Ausspruch eiues mit künstlerischer Phantasie und einem wahrhaft divinatorischen Blicke begabten deutschen Philologen der guten alten Zeit, des im Jahre 1868 verstorbnen Friedrich Göttlich Welcker, hingewiesen, der im Jahre 1848 über die olympischen Giebelgruppe» schrieb: „Künstler, welche diese Hintere Giebelgruppe aufzuzeichnen versuche», dürfen nicht unterlassen, in den Friesstückcn von Phigalia, den Metopen des Parthenon ». s. w. die Ken¬ tauren mit geraubten Weibern, oder mit einem Knaben, wie auf einer Platte aus Phigalia vorkommt, und die Kämpfe mit ihnen sorgfältig zu untersuchen, da darin ohne Zweifel manches enthalten ist, womit die Figuren des olympischen Künstlers übereinkämen." Eine genauere, für die Ergäuzuugsversuche maßgebende Beschreibung ver¬ mittelte der Bericht eines griechischen Periegeten Pauscniias, der zur Zeit des Kaisers Hadrian und seiner beiden Nachfolger, also etwa um die Mitte des zweiten nachchristliche» Jahrhunderts, ans Grund seiner großen Reisen i» zehn Büchern eine Beschreibung der griechischen Landschaften verfaßte, deren haupt- sächlichen Inhalt, außer den geographischen und historischen Merkwürdigkeiten der einzelnen Länder und Orte, eine Darstellung der religiösen Kutte bildet, mit welcher — für uns der wertvollste Teil des ganzen Werkes — eine Auf¬ zählung der an den verschiednen Kultstätten befindlichen Knnstdenkmciler ver¬ bunden ist. Im fünften und Sechstel: Buche („Eliakci") wird eine ausführliche Beschreibung von Olympia mit all seinen Heiligtümern und Kunstwerken ge¬ geben, und bei dieser Gelegenheit auch des Zeustempels in seinem architektonischen Aufbau und plastischen Schmucke gedacht. „Was die Darstellungen in den Giebelfeldern betrifft — schreibt Pausanias —, so ist vorn (d. h. im Osten) das Wagenreimen des Pelops mit dem Oinomaos eben erst im Beginne, und von beiden Parteien die Zurüstung zu dem Werke des Rennens. Die Arbeit im vordern Giebelfelde ist von Päonivs, von Herkunft aus Meute in Thrakien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/188>, abgerufen am 27.09.2024.