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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Vlymxia und der olympische Jeustempel.

sciuris anvertraut hat), aus Schmerz darüber, daß die schönsten Denkmale aus
der Zeit seiner Vvrfcchren von ihrem heimatlichen Boden hinweg nach Frankreich
geführt werden sollten, sich in dieser Angelegenheit an den damaligen Regenten
gewandt habe. In einer Staatsratssitzung sei da beschlossen worden, den
Franzosen das bis dahin Gefundene zu überlassen, die Fortsetzung der Arbeiten
aber zu untersagen.

Durch die französischen Ausgrabungen war jedenfalls, so gering auch die
Ausbeute verhältnismäßig gewesen sein mochte, der Beweis erbracht worden,
daß man sich nicht vergeblichen Hoffnungen hingegeben hatte, und daß man,
wenn einmal Zeit und Rat kam, unter günstigeren Bedingungen an ein neues
Unternehmen berechtigte Erwartungen knüpfen konnte. Gleichwohl sollte die
Stunde noch lange nicht schlagen, wo das ganze alte Olympia seine Auferstehung
feierte. Erst als im Jahre 1852 Ernst Curtius seinen berühmten Vortrag
"Olympia" vor König Friedrich Wilhelm IV. gehalten und der preußische
Kronprinz versprochen hatte, für das Unternehmen einzutreten, sobald die rechte
Stunde geschlagen habe, kam die Angelegenheit in das richtige Fahrwasser,
wenn auch noch über zwanzig Jahre vergingen, bis das erlösende Wort
gesprochen wurde. Im Jahre 1874 begab sich Ernst Curtius als Sozial¬
bevollmächtigter nach Athen, um im Auftrage der deutschen Negierung mit der
griechischen einen Vertrag abzuschließen, nach dem es Deutschland gestattet sein
sollte, auf der Stätte des alten Olympia archäologische Ausgrabungen vorzu¬
nehmen. Griechenland sollte das Eigentumsrecht an allen Erzeugnissen der alten
Kunst und alleu andern Gegenständen, welche die Ausgrabungen zu Tage fördern
würden, erhalten. Indessen sollte es von seiner eignen Entschließung abhängen,
ob es zur Erinnerung an die gemeinschaftlich unternommenen Arbeiten und in
Würdigung der Opfer, welche das deutsche Reich dem Unternehmen bringen
wollte, diesem die Duplikate oder Wiederholungen von Knnstgcgeustäudcn abtreten
wolle. Der deutsche Reichstag genehmigte einmütig und ohne Abänderung die
Vorlage der Negierung. In Griechenland machte sich zwar Mißtrauen gegen
die Aufrichtigkeit des deutschen Vertrages und gegen die Uneigennützigkeit, mit
der man so gewaltige Opfer zu bringen bereit war, geltend. Doch verhallten
diese Stimmen gegenüber den besonnenen und die Thatsachen richtig beleuchtenden
Berichten und Vorstellungen der Negierung. Am 2. September 1875 verließen
die deutschen Kommissare ihre Heimat, um sich nach Griechenland zu begeben
und die Ausgrabungen zu beginnen. Für das deutsche Volk stehen sie da als
ein dauerndes Ehrendenkmal nationaler Opferwilligkeit, als das erste große
Friedenswerk des jungen Reiches.

Alle Wissenschaften bedürfen, wenn sie sich gedeihlich und folgerichtig fort¬
entwickeln sollen, neuen Materials, am meisten vielleicht die klassische Altertums¬
wissenschaft. Die literarischen Überreste des Altertums zu erklären, schließt die
Gefahr in sich zu subjektiven Kombinationen und zur Ausbildung einer einseitigen


Vlymxia und der olympische Jeustempel.

sciuris anvertraut hat), aus Schmerz darüber, daß die schönsten Denkmale aus
der Zeit seiner Vvrfcchren von ihrem heimatlichen Boden hinweg nach Frankreich
geführt werden sollten, sich in dieser Angelegenheit an den damaligen Regenten
gewandt habe. In einer Staatsratssitzung sei da beschlossen worden, den
Franzosen das bis dahin Gefundene zu überlassen, die Fortsetzung der Arbeiten
aber zu untersagen.

Durch die französischen Ausgrabungen war jedenfalls, so gering auch die
Ausbeute verhältnismäßig gewesen sein mochte, der Beweis erbracht worden,
daß man sich nicht vergeblichen Hoffnungen hingegeben hatte, und daß man,
wenn einmal Zeit und Rat kam, unter günstigeren Bedingungen an ein neues
Unternehmen berechtigte Erwartungen knüpfen konnte. Gleichwohl sollte die
Stunde noch lange nicht schlagen, wo das ganze alte Olympia seine Auferstehung
feierte. Erst als im Jahre 1852 Ernst Curtius seinen berühmten Vortrag
„Olympia" vor König Friedrich Wilhelm IV. gehalten und der preußische
Kronprinz versprochen hatte, für das Unternehmen einzutreten, sobald die rechte
Stunde geschlagen habe, kam die Angelegenheit in das richtige Fahrwasser,
wenn auch noch über zwanzig Jahre vergingen, bis das erlösende Wort
gesprochen wurde. Im Jahre 1874 begab sich Ernst Curtius als Sozial¬
bevollmächtigter nach Athen, um im Auftrage der deutschen Negierung mit der
griechischen einen Vertrag abzuschließen, nach dem es Deutschland gestattet sein
sollte, auf der Stätte des alten Olympia archäologische Ausgrabungen vorzu¬
nehmen. Griechenland sollte das Eigentumsrecht an allen Erzeugnissen der alten
Kunst und alleu andern Gegenständen, welche die Ausgrabungen zu Tage fördern
würden, erhalten. Indessen sollte es von seiner eignen Entschließung abhängen,
ob es zur Erinnerung an die gemeinschaftlich unternommenen Arbeiten und in
Würdigung der Opfer, welche das deutsche Reich dem Unternehmen bringen
wollte, diesem die Duplikate oder Wiederholungen von Knnstgcgeustäudcn abtreten
wolle. Der deutsche Reichstag genehmigte einmütig und ohne Abänderung die
Vorlage der Negierung. In Griechenland machte sich zwar Mißtrauen gegen
die Aufrichtigkeit des deutschen Vertrages und gegen die Uneigennützigkeit, mit
der man so gewaltige Opfer zu bringen bereit war, geltend. Doch verhallten
diese Stimmen gegenüber den besonnenen und die Thatsachen richtig beleuchtenden
Berichten und Vorstellungen der Negierung. Am 2. September 1875 verließen
die deutschen Kommissare ihre Heimat, um sich nach Griechenland zu begeben
und die Ausgrabungen zu beginnen. Für das deutsche Volk stehen sie da als
ein dauerndes Ehrendenkmal nationaler Opferwilligkeit, als das erste große
Friedenswerk des jungen Reiches.

Alle Wissenschaften bedürfen, wenn sie sich gedeihlich und folgerichtig fort¬
entwickeln sollen, neuen Materials, am meisten vielleicht die klassische Altertums¬
wissenschaft. Die literarischen Überreste des Altertums zu erklären, schließt die
Gefahr in sich zu subjektiven Kombinationen und zur Ausbildung einer einseitigen


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[0186] Vlymxia und der olympische Jeustempel. sciuris anvertraut hat), aus Schmerz darüber, daß die schönsten Denkmale aus der Zeit seiner Vvrfcchren von ihrem heimatlichen Boden hinweg nach Frankreich geführt werden sollten, sich in dieser Angelegenheit an den damaligen Regenten gewandt habe. In einer Staatsratssitzung sei da beschlossen worden, den Franzosen das bis dahin Gefundene zu überlassen, die Fortsetzung der Arbeiten aber zu untersagen. Durch die französischen Ausgrabungen war jedenfalls, so gering auch die Ausbeute verhältnismäßig gewesen sein mochte, der Beweis erbracht worden, daß man sich nicht vergeblichen Hoffnungen hingegeben hatte, und daß man, wenn einmal Zeit und Rat kam, unter günstigeren Bedingungen an ein neues Unternehmen berechtigte Erwartungen knüpfen konnte. Gleichwohl sollte die Stunde noch lange nicht schlagen, wo das ganze alte Olympia seine Auferstehung feierte. Erst als im Jahre 1852 Ernst Curtius seinen berühmten Vortrag „Olympia" vor König Friedrich Wilhelm IV. gehalten und der preußische Kronprinz versprochen hatte, für das Unternehmen einzutreten, sobald die rechte Stunde geschlagen habe, kam die Angelegenheit in das richtige Fahrwasser, wenn auch noch über zwanzig Jahre vergingen, bis das erlösende Wort gesprochen wurde. Im Jahre 1874 begab sich Ernst Curtius als Sozial¬ bevollmächtigter nach Athen, um im Auftrage der deutschen Negierung mit der griechischen einen Vertrag abzuschließen, nach dem es Deutschland gestattet sein sollte, auf der Stätte des alten Olympia archäologische Ausgrabungen vorzu¬ nehmen. Griechenland sollte das Eigentumsrecht an allen Erzeugnissen der alten Kunst und alleu andern Gegenständen, welche die Ausgrabungen zu Tage fördern würden, erhalten. Indessen sollte es von seiner eignen Entschließung abhängen, ob es zur Erinnerung an die gemeinschaftlich unternommenen Arbeiten und in Würdigung der Opfer, welche das deutsche Reich dem Unternehmen bringen wollte, diesem die Duplikate oder Wiederholungen von Knnstgcgeustäudcn abtreten wolle. Der deutsche Reichstag genehmigte einmütig und ohne Abänderung die Vorlage der Negierung. In Griechenland machte sich zwar Mißtrauen gegen die Aufrichtigkeit des deutschen Vertrages und gegen die Uneigennützigkeit, mit der man so gewaltige Opfer zu bringen bereit war, geltend. Doch verhallten diese Stimmen gegenüber den besonnenen und die Thatsachen richtig beleuchtenden Berichten und Vorstellungen der Negierung. Am 2. September 1875 verließen die deutschen Kommissare ihre Heimat, um sich nach Griechenland zu begeben und die Ausgrabungen zu beginnen. Für das deutsche Volk stehen sie da als ein dauerndes Ehrendenkmal nationaler Opferwilligkeit, als das erste große Friedenswerk des jungen Reiches. Alle Wissenschaften bedürfen, wenn sie sich gedeihlich und folgerichtig fort¬ entwickeln sollen, neuen Materials, am meisten vielleicht die klassische Altertums¬ wissenschaft. Die literarischen Überreste des Altertums zu erklären, schließt die Gefahr in sich zu subjektiven Kombinationen und zur Ausbildung einer einseitigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/186>, abgerufen am 27.09.2024.