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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Briefe Turgenjews.

1842 fing ich an, mit Literatur mich zu beschäftigen. 1852 wurde ich wegen
der Veröffentlichung eines Aufsatzes über Gogol, thatsächlich aber wegen der
"Memoiren eines Jägers," nach meinem Gute Verbanne, wo ich zwei Jahre
lebte, und seitdem halte ich mich bald im Auslande, bald in Nußland auf. Sie
sehen, daß meine Biographie an die Biographie E. Augiers erinnert, welcher
auf eine ähnliche Frage mit folgenden Worten antwortete: ,70 suis u<z, j'g,i vto
virooiuv, xuis <zMuä so sui8 clvvomi grana, f'til vorn clos e-oruöäiös.

Was die Familienverhältnisse des Dichters betrifft, so lebte derselbe mit
der Moskaner Bürgerin Awdotja Ermolajewna Jwanowa in einer Ehe, welcher
der kirchliche Segen fehlte. Aus diesem illegitimen Verhältnisse stammte eine
Tochter namens Pelageja Jwanowa, "ein nettes, kluges Mädchen," welches
dem Vater "sehr gefiel." Die junge Dame vermählte sich am 13, (25.) Februar
1865 zu Paris mit einem jungen, leichtsinnigen Franzosen, der das bedeutende
Vermögen seiner Gattin binnen kurzer Zeit durchbrachte, sodaß eine Scheidung
erfolgte, und Turgenjew zur Deckung der ungeheuern Schulden eines seiner
Güter, sowie Wagen, Pferde, wertvolle Gemälde u. s. w. verkaufen mußte.
"Dieses ist umso drückender -- klagt er der Gemahlin seines Freundes Po-
lvnsti --, da ich, wie Ihnen bekannt ist, zu ihr niemals besondre Zuneigung
fühlte, und alles, was ich bisher für sie that und in Zukunft noch thun werde,
einzig und allem durch das Pflichtgefühl mir geboten wird."

Ans der Zeit seines Berliner Aufenthaltes datirt der erste Brief der
Sammlung. Am 24. Juni 1840 starb Stankiewitsch zu Novi, und anläßlich
dieses Todesfalles richtete Turgenjew unterm 4. Juli an I. N. Granowski,
einen der berühmtesten Professoren der Moskaner Universität und einen der
hervorragendsten Förderer der europäischen Bildung in Nußland (geht. 1855),
ein ziemlich umfangreiches Schreiben. "Ein großes Unglück hat uns getroffen,
heißt es darin. Wir haben einen Mann verloren, an den wir glaubten, der
unser Stolz und unsre Hoffnung war. ... In Rom wurde ich mit ihm bekannt,
ich sah ihn jeden Tag und lernte seinen hellen Verstand, sein warmes Herz und
die ganze Schönheit seiner Seele schützen. . . . Des nahen Todes Schatten lag
schon damals auf ihm. Wir sprachen oftmals vom Tode. Er erkannte in ihm
die Grenze des Gedankens, und mir schien es, als zitterte er heimlich vor ihm.
Der Tod hat einen tiefen Sinn, wenn er herantritt wie ein Letztes an das
Herz eines voll entwickelten Lebens. Dem Greise ist er eine Versöhnung, aber
uns ist er ein Schicksalsbefehl." Dann ruft der Dichter klagend aus: "O wenn
mich nur irgend etwas veranlaßte, an der Zukunft zu verzweifeln, dann
müßte ich die letzte Hoffnung verlieren, da ich Stankiewitsch überlebte! Wes¬
halb ist kein andrer, ja tausend andre, ich z. B., gestorben? Wann wird die
Zeit kommen, daß der mehr entwickelte Geist die unausbleibliche Bedingung der
höhern Entwicklung des Körpers ist, und unser Leben selbst Bedingung und
Furcht der Ergänzung -- des Schöpfers? Warum kann doch auf der Erde


Die Briefe Turgenjews.

1842 fing ich an, mit Literatur mich zu beschäftigen. 1852 wurde ich wegen
der Veröffentlichung eines Aufsatzes über Gogol, thatsächlich aber wegen der
„Memoiren eines Jägers," nach meinem Gute Verbanne, wo ich zwei Jahre
lebte, und seitdem halte ich mich bald im Auslande, bald in Nußland auf. Sie
sehen, daß meine Biographie an die Biographie E. Augiers erinnert, welcher
auf eine ähnliche Frage mit folgenden Worten antwortete: ,70 suis u<z, j'g,i vto
virooiuv, xuis <zMuä so sui8 clvvomi grana, f'til vorn clos e-oruöäiös.

Was die Familienverhältnisse des Dichters betrifft, so lebte derselbe mit
der Moskaner Bürgerin Awdotja Ermolajewna Jwanowa in einer Ehe, welcher
der kirchliche Segen fehlte. Aus diesem illegitimen Verhältnisse stammte eine
Tochter namens Pelageja Jwanowa, „ein nettes, kluges Mädchen," welches
dem Vater „sehr gefiel." Die junge Dame vermählte sich am 13, (25.) Februar
1865 zu Paris mit einem jungen, leichtsinnigen Franzosen, der das bedeutende
Vermögen seiner Gattin binnen kurzer Zeit durchbrachte, sodaß eine Scheidung
erfolgte, und Turgenjew zur Deckung der ungeheuern Schulden eines seiner
Güter, sowie Wagen, Pferde, wertvolle Gemälde u. s. w. verkaufen mußte.
„Dieses ist umso drückender — klagt er der Gemahlin seines Freundes Po-
lvnsti —, da ich, wie Ihnen bekannt ist, zu ihr niemals besondre Zuneigung
fühlte, und alles, was ich bisher für sie that und in Zukunft noch thun werde,
einzig und allem durch das Pflichtgefühl mir geboten wird."

Ans der Zeit seines Berliner Aufenthaltes datirt der erste Brief der
Sammlung. Am 24. Juni 1840 starb Stankiewitsch zu Novi, und anläßlich
dieses Todesfalles richtete Turgenjew unterm 4. Juli an I. N. Granowski,
einen der berühmtesten Professoren der Moskaner Universität und einen der
hervorragendsten Förderer der europäischen Bildung in Nußland (geht. 1855),
ein ziemlich umfangreiches Schreiben. „Ein großes Unglück hat uns getroffen,
heißt es darin. Wir haben einen Mann verloren, an den wir glaubten, der
unser Stolz und unsre Hoffnung war. ... In Rom wurde ich mit ihm bekannt,
ich sah ihn jeden Tag und lernte seinen hellen Verstand, sein warmes Herz und
die ganze Schönheit seiner Seele schützen. . . . Des nahen Todes Schatten lag
schon damals auf ihm. Wir sprachen oftmals vom Tode. Er erkannte in ihm
die Grenze des Gedankens, und mir schien es, als zitterte er heimlich vor ihm.
Der Tod hat einen tiefen Sinn, wenn er herantritt wie ein Letztes an das
Herz eines voll entwickelten Lebens. Dem Greise ist er eine Versöhnung, aber
uns ist er ein Schicksalsbefehl." Dann ruft der Dichter klagend aus: „O wenn
mich nur irgend etwas veranlaßte, an der Zukunft zu verzweifeln, dann
müßte ich die letzte Hoffnung verlieren, da ich Stankiewitsch überlebte! Wes¬
halb ist kein andrer, ja tausend andre, ich z. B., gestorben? Wann wird die
Zeit kommen, daß der mehr entwickelte Geist die unausbleibliche Bedingung der
höhern Entwicklung des Körpers ist, und unser Leben selbst Bedingung und
Furcht der Ergänzung — des Schöpfers? Warum kann doch auf der Erde


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[0176] Die Briefe Turgenjews. 1842 fing ich an, mit Literatur mich zu beschäftigen. 1852 wurde ich wegen der Veröffentlichung eines Aufsatzes über Gogol, thatsächlich aber wegen der „Memoiren eines Jägers," nach meinem Gute Verbanne, wo ich zwei Jahre lebte, und seitdem halte ich mich bald im Auslande, bald in Nußland auf. Sie sehen, daß meine Biographie an die Biographie E. Augiers erinnert, welcher auf eine ähnliche Frage mit folgenden Worten antwortete: ,70 suis u<z, j'g,i vto virooiuv, xuis <zMuä so sui8 clvvomi grana, f'til vorn clos e-oruöäiös. Was die Familienverhältnisse des Dichters betrifft, so lebte derselbe mit der Moskaner Bürgerin Awdotja Ermolajewna Jwanowa in einer Ehe, welcher der kirchliche Segen fehlte. Aus diesem illegitimen Verhältnisse stammte eine Tochter namens Pelageja Jwanowa, „ein nettes, kluges Mädchen," welches dem Vater „sehr gefiel." Die junge Dame vermählte sich am 13, (25.) Februar 1865 zu Paris mit einem jungen, leichtsinnigen Franzosen, der das bedeutende Vermögen seiner Gattin binnen kurzer Zeit durchbrachte, sodaß eine Scheidung erfolgte, und Turgenjew zur Deckung der ungeheuern Schulden eines seiner Güter, sowie Wagen, Pferde, wertvolle Gemälde u. s. w. verkaufen mußte. „Dieses ist umso drückender — klagt er der Gemahlin seines Freundes Po- lvnsti —, da ich, wie Ihnen bekannt ist, zu ihr niemals besondre Zuneigung fühlte, und alles, was ich bisher für sie that und in Zukunft noch thun werde, einzig und allem durch das Pflichtgefühl mir geboten wird." Ans der Zeit seines Berliner Aufenthaltes datirt der erste Brief der Sammlung. Am 24. Juni 1840 starb Stankiewitsch zu Novi, und anläßlich dieses Todesfalles richtete Turgenjew unterm 4. Juli an I. N. Granowski, einen der berühmtesten Professoren der Moskaner Universität und einen der hervorragendsten Förderer der europäischen Bildung in Nußland (geht. 1855), ein ziemlich umfangreiches Schreiben. „Ein großes Unglück hat uns getroffen, heißt es darin. Wir haben einen Mann verloren, an den wir glaubten, der unser Stolz und unsre Hoffnung war. ... In Rom wurde ich mit ihm bekannt, ich sah ihn jeden Tag und lernte seinen hellen Verstand, sein warmes Herz und die ganze Schönheit seiner Seele schützen. . . . Des nahen Todes Schatten lag schon damals auf ihm. Wir sprachen oftmals vom Tode. Er erkannte in ihm die Grenze des Gedankens, und mir schien es, als zitterte er heimlich vor ihm. Der Tod hat einen tiefen Sinn, wenn er herantritt wie ein Letztes an das Herz eines voll entwickelten Lebens. Dem Greise ist er eine Versöhnung, aber uns ist er ein Schicksalsbefehl." Dann ruft der Dichter klagend aus: „O wenn mich nur irgend etwas veranlaßte, an der Zukunft zu verzweifeln, dann müßte ich die letzte Hoffnung verlieren, da ich Stankiewitsch überlebte! Wes¬ halb ist kein andrer, ja tausend andre, ich z. B., gestorben? Wann wird die Zeit kommen, daß der mehr entwickelte Geist die unausbleibliche Bedingung der höhern Entwicklung des Körpers ist, und unser Leben selbst Bedingung und Furcht der Ergänzung — des Schöpfers? Warum kann doch auf der Erde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/176>, abgerufen am 15.01.2025.