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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfreundinnen.

ihr im Zeichnen. Wissenschaftliche Werke wandern hinüber und herüber, werden
gemeinschaftlich studirt und beurteilt. Ihm zur Liebe vertieft sie sich in die
Naturwissenschaften, interessirt sich für Steine. Moose und Infusorien, teilt seine
Freude an neuen Beobachtungen und Entdeckungen. Wohl gab es am Weimarer
Hofe noch viele, denen Goethe etwas vorlesen, etwas von seinen Beobachtungen
und Gedanken mitteilen konnte. Wieland, Knebel, Herder, der Herzog gehörten
zu seiner Gemeinde, aber die wahre Andacht fand er doch nur bei seiner Lotte.
Ohne sie hätte Goethe seine hohe Dichterkraft wahrscheinlich in praktischen
Kleinigkeiten zersplittert, in Singspielen, Possen und Auszügen, wäre unter den
Dichterlingen Seckendorf, Einsiedel, Knebel, der Jmhof zum Hofdichter herab-
gesunken trotz der Mahnungen, die Merck zuweilen an ihn richtete. Denn auf
ihm lastete der Druck vieler Ämter, denen er gerecht werden wollte, für die er
seine ganze Kraft einsetzte. Er wollte seinem herzoglichen Freunde, seiner neuen
Heimat alles sein, was in seinen Kräften stand, aber seine Kraft wurde dabei
aufgerieben. Was geht nicht alles durch seinen Kopf, was liegt nicht alles auf
seinen Schultern! Die Sorge für das gesamte Staatswesen lastet auf ihm,
alles, bis in das Kleinste und Einzelnste, muß er durchdenken, erledigen, eine
Masse von Menschen drängt sich vom Morgen an in seinem Vorzimmer, Berge
von Alten warten der Erledigung, lange Sitzungen erschöpfen seine Geduld, und
wochenlnnge Reisen treiben ihn in tausenderlei Kleinigkeiten umher. Bei Frau
von Stein erholte sich sein Genius. Dort erstarkten die poetischen Keime so
weit, daß sie selbst im geschäftlichen Treiben des Tages, zwischen den Akten und
bei den Rekrutenaushebungen weiter wuchsen. "Wie gern -- schreibt er -- will
ich mich heute durch die Blechkasten und Akten durcharbeiten, da ich zu dir
mit Freuden meine Gedanken wenden kann."

Goethe verdankte der Frau von Stein viel, sehr viel, er wußte dies und
war unerschöpflich in Dankesbezeugungen. Frau von Stein war nicht immer
die Sanfte und Freundliche. Oft beklagt er sich über den Wechsel ihrer Laune,
über die Härte, mit der sie ihm begegnet. Wie empfindlich sie kränken, wie
beißend sie kritisiren konnte, das erkennt man am deutlichsten aus den Schmähungen,
mit denen sie den Ungetreuen später in dem Drama "Dido" und in den Briefen
an Schillers Frau verfolgt. Aber damit vertreibt sie ihn nicht, im Gegenteil,
er fühlt sich nur desto mehr zu ihr hingezogen. Diese rührende Anhänglichkeit
hatte ihren Grund in der tiefsten Natur des unvergleichlichen Mannes; die
Veredlung, die Vervollkommnung des eignen Wesens erschien ihm als die Haupt¬
aufgabe seines Lebens. Wer ihm darin wahrhaft förderlich war, den hielt er
fest mit allen Fasern seines Herzens. Je offener ihm der erkorene Freund oder
die Freundin seine Schwächen aufdeckte, desto dankbarer war er; Schroffheit und
Bitterkeit machten ihn in seiner Verehrung nicht wankend, wenn Wahrheit und
Teilnahme durchschienen Nichts war ihm mehr zuwider als Heuchelei und
Lobhudelei. So hatte er sich in Straßburg an den etwas älteren Herder an-


Dichterfreundinnen.

ihr im Zeichnen. Wissenschaftliche Werke wandern hinüber und herüber, werden
gemeinschaftlich studirt und beurteilt. Ihm zur Liebe vertieft sie sich in die
Naturwissenschaften, interessirt sich für Steine. Moose und Infusorien, teilt seine
Freude an neuen Beobachtungen und Entdeckungen. Wohl gab es am Weimarer
Hofe noch viele, denen Goethe etwas vorlesen, etwas von seinen Beobachtungen
und Gedanken mitteilen konnte. Wieland, Knebel, Herder, der Herzog gehörten
zu seiner Gemeinde, aber die wahre Andacht fand er doch nur bei seiner Lotte.
Ohne sie hätte Goethe seine hohe Dichterkraft wahrscheinlich in praktischen
Kleinigkeiten zersplittert, in Singspielen, Possen und Auszügen, wäre unter den
Dichterlingen Seckendorf, Einsiedel, Knebel, der Jmhof zum Hofdichter herab-
gesunken trotz der Mahnungen, die Merck zuweilen an ihn richtete. Denn auf
ihm lastete der Druck vieler Ämter, denen er gerecht werden wollte, für die er
seine ganze Kraft einsetzte. Er wollte seinem herzoglichen Freunde, seiner neuen
Heimat alles sein, was in seinen Kräften stand, aber seine Kraft wurde dabei
aufgerieben. Was geht nicht alles durch seinen Kopf, was liegt nicht alles auf
seinen Schultern! Die Sorge für das gesamte Staatswesen lastet auf ihm,
alles, bis in das Kleinste und Einzelnste, muß er durchdenken, erledigen, eine
Masse von Menschen drängt sich vom Morgen an in seinem Vorzimmer, Berge
von Alten warten der Erledigung, lange Sitzungen erschöpfen seine Geduld, und
wochenlnnge Reisen treiben ihn in tausenderlei Kleinigkeiten umher. Bei Frau
von Stein erholte sich sein Genius. Dort erstarkten die poetischen Keime so
weit, daß sie selbst im geschäftlichen Treiben des Tages, zwischen den Akten und
bei den Rekrutenaushebungen weiter wuchsen. „Wie gern — schreibt er — will
ich mich heute durch die Blechkasten und Akten durcharbeiten, da ich zu dir
mit Freuden meine Gedanken wenden kann."

Goethe verdankte der Frau von Stein viel, sehr viel, er wußte dies und
war unerschöpflich in Dankesbezeugungen. Frau von Stein war nicht immer
die Sanfte und Freundliche. Oft beklagt er sich über den Wechsel ihrer Laune,
über die Härte, mit der sie ihm begegnet. Wie empfindlich sie kränken, wie
beißend sie kritisiren konnte, das erkennt man am deutlichsten aus den Schmähungen,
mit denen sie den Ungetreuen später in dem Drama „Dido" und in den Briefen
an Schillers Frau verfolgt. Aber damit vertreibt sie ihn nicht, im Gegenteil,
er fühlt sich nur desto mehr zu ihr hingezogen. Diese rührende Anhänglichkeit
hatte ihren Grund in der tiefsten Natur des unvergleichlichen Mannes; die
Veredlung, die Vervollkommnung des eignen Wesens erschien ihm als die Haupt¬
aufgabe seines Lebens. Wer ihm darin wahrhaft förderlich war, den hielt er
fest mit allen Fasern seines Herzens. Je offener ihm der erkorene Freund oder
die Freundin seine Schwächen aufdeckte, desto dankbarer war er; Schroffheit und
Bitterkeit machten ihn in seiner Verehrung nicht wankend, wenn Wahrheit und
Teilnahme durchschienen Nichts war ihm mehr zuwider als Heuchelei und
Lobhudelei. So hatte er sich in Straßburg an den etwas älteren Herder an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/135>, abgerufen am 20.10.2024.