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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfreundinnen.

bleiben. So mußte es geschehen, daß er sich ihr ganz ergab, seine schwachen
Seiten an sie anlehnte, sie als das Korkwams betrachtete, das ihn über Wasser
hielt. Im täglichen vertrauten Gespräche mit ihr lernte er die Personen und
Verhältnisse in Weimar richtig beurteilen, lernte die Menschen behandeln, sich
selbst beherrschen und im gesellschaftlichen Verkehr mit den Hofleuten nur soviel
aus seinem innersten Gedanken- und Gefühlsleben ausgeben, als unbedingt nötig
war. So wurde er Hofmann, ohne seine Geradheit und Offenheit preiszugeben,
so lernte er alle Klippen eines weitverzweigten geschäftlichen und gesellschaft¬
lichen Verkehrs leicht und sicher umschiffen, ohne an dem niederen Intriguen-
wese" anch nur im geringsten teilzunehmen. Das unbedingte Vertrauen der
herzoglichen Familie, die freiwillige Unterordnung der Hofbeamten, die Hoch¬
achtung der Nachbarhöfe waren der große Gewinn, der ihm aus der Führung
der klugen Freundin erwuchs.

Aber noch mehr. Goethe bezeichnet sich selbst wiederholt als eine sinnliche
Natur. Dies ist freilich zunächst nur als Gegenteil von "abstrakt" aufzufassen.
Er nahm die Welt durch seine hellen, frischen Sinne in sich auf, nicht durch
die Brille der Bücher; in den deutlichen Umrissen der Formen und Gestalten
offenbarte sich ihm das innerste Wesen der Natur. Aber so angelegte Menschen
sind auch großen Gefahren ausgesetzt, und besonders an einem lebenslustigen
Hofe, wie der Weimarische war. Goethe selbst hatte als Student in Leipzig die
Erfahrung gemacht, daß er gegen die Versuchungen der Welt nicht durch sich
selbst gewappnet sei. Und daß es an dem damaligen Weimarischen Hofe auch
Sümpfe gab, erkennt man deutlich aus dem, was selbst die Besten einander
zutrauten. Weist doch Karl August selbst einmal Knebel ganz ernstlich in einem
Briefe zurecht, weil dieser ihm vorgeworfen hatte, er habe im Findelhause in
Nürnberg Kinder von ihm angetroffen. Goethe fing auch an, "sich bei alle"
hübschen Gesichtern herumzulügen," und dem herrlichen Musensöhne flogen die
Herzen entgegen. Aber Frau von Stein "tropfte Mäßigung in sein heißes
Blut," sie "trieb das Gesindel aus seinem Herzen," und er dankt ihr, daß sie
ihn vermocht habe, seinen Lieblingsneigungen zu entsagen. Wohl mag sie dabei
den stillen Wunsch gehabt haben, den gepriesenen Dichter allmählich ganz für
sich zu gewinnen, aber sicher ist es, daß unter ihrer Leitung die gährende,
brausende Dichternatur im engen Strombett der Enthaltsamkeit tief und mächtig
dahinfluten lernte; sicher ist es, daß Goethe es ihr hauptsächlich dankte, wenn
"sein Leben und Dichten nicht zerrann" wie so vieler Genossen der Sturm- und
Drangperiode. Was sonst die Ehefrau dem Manne ist, die häusliche und sittliche
Macht, welche den sinnlichen Teil seines Wesens eindämmt, das war Charlotte
dem Dichter, und die Mittel des Ersatzes waren dieselben wie im Ehestande.
In der Umgebung der Frau von Stein fand Goethe eine Häuslichkeit, und
seinen eignen Haushalt festigte er dadurch, daß er die geliebte Frau so oft als
möglich hineinzog. Was der Garten bot, Blumen und Früchte, was es in


Dichterfreundinnen.

bleiben. So mußte es geschehen, daß er sich ihr ganz ergab, seine schwachen
Seiten an sie anlehnte, sie als das Korkwams betrachtete, das ihn über Wasser
hielt. Im täglichen vertrauten Gespräche mit ihr lernte er die Personen und
Verhältnisse in Weimar richtig beurteilen, lernte die Menschen behandeln, sich
selbst beherrschen und im gesellschaftlichen Verkehr mit den Hofleuten nur soviel
aus seinem innersten Gedanken- und Gefühlsleben ausgeben, als unbedingt nötig
war. So wurde er Hofmann, ohne seine Geradheit und Offenheit preiszugeben,
so lernte er alle Klippen eines weitverzweigten geschäftlichen und gesellschaft¬
lichen Verkehrs leicht und sicher umschiffen, ohne an dem niederen Intriguen-
wese» anch nur im geringsten teilzunehmen. Das unbedingte Vertrauen der
herzoglichen Familie, die freiwillige Unterordnung der Hofbeamten, die Hoch¬
achtung der Nachbarhöfe waren der große Gewinn, der ihm aus der Führung
der klugen Freundin erwuchs.

Aber noch mehr. Goethe bezeichnet sich selbst wiederholt als eine sinnliche
Natur. Dies ist freilich zunächst nur als Gegenteil von „abstrakt" aufzufassen.
Er nahm die Welt durch seine hellen, frischen Sinne in sich auf, nicht durch
die Brille der Bücher; in den deutlichen Umrissen der Formen und Gestalten
offenbarte sich ihm das innerste Wesen der Natur. Aber so angelegte Menschen
sind auch großen Gefahren ausgesetzt, und besonders an einem lebenslustigen
Hofe, wie der Weimarische war. Goethe selbst hatte als Student in Leipzig die
Erfahrung gemacht, daß er gegen die Versuchungen der Welt nicht durch sich
selbst gewappnet sei. Und daß es an dem damaligen Weimarischen Hofe auch
Sümpfe gab, erkennt man deutlich aus dem, was selbst die Besten einander
zutrauten. Weist doch Karl August selbst einmal Knebel ganz ernstlich in einem
Briefe zurecht, weil dieser ihm vorgeworfen hatte, er habe im Findelhause in
Nürnberg Kinder von ihm angetroffen. Goethe fing auch an, „sich bei alle»
hübschen Gesichtern herumzulügen," und dem herrlichen Musensöhne flogen die
Herzen entgegen. Aber Frau von Stein „tropfte Mäßigung in sein heißes
Blut," sie „trieb das Gesindel aus seinem Herzen," und er dankt ihr, daß sie
ihn vermocht habe, seinen Lieblingsneigungen zu entsagen. Wohl mag sie dabei
den stillen Wunsch gehabt haben, den gepriesenen Dichter allmählich ganz für
sich zu gewinnen, aber sicher ist es, daß unter ihrer Leitung die gährende,
brausende Dichternatur im engen Strombett der Enthaltsamkeit tief und mächtig
dahinfluten lernte; sicher ist es, daß Goethe es ihr hauptsächlich dankte, wenn
„sein Leben und Dichten nicht zerrann" wie so vieler Genossen der Sturm- und
Drangperiode. Was sonst die Ehefrau dem Manne ist, die häusliche und sittliche
Macht, welche den sinnlichen Teil seines Wesens eindämmt, das war Charlotte
dem Dichter, und die Mittel des Ersatzes waren dieselben wie im Ehestande.
In der Umgebung der Frau von Stein fand Goethe eine Häuslichkeit, und
seinen eignen Haushalt festigte er dadurch, daß er die geliebte Frau so oft als
möglich hineinzog. Was der Garten bot, Blumen und Früchte, was es in


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[0133] Dichterfreundinnen. bleiben. So mußte es geschehen, daß er sich ihr ganz ergab, seine schwachen Seiten an sie anlehnte, sie als das Korkwams betrachtete, das ihn über Wasser hielt. Im täglichen vertrauten Gespräche mit ihr lernte er die Personen und Verhältnisse in Weimar richtig beurteilen, lernte die Menschen behandeln, sich selbst beherrschen und im gesellschaftlichen Verkehr mit den Hofleuten nur soviel aus seinem innersten Gedanken- und Gefühlsleben ausgeben, als unbedingt nötig war. So wurde er Hofmann, ohne seine Geradheit und Offenheit preiszugeben, so lernte er alle Klippen eines weitverzweigten geschäftlichen und gesellschaft¬ lichen Verkehrs leicht und sicher umschiffen, ohne an dem niederen Intriguen- wese» anch nur im geringsten teilzunehmen. Das unbedingte Vertrauen der herzoglichen Familie, die freiwillige Unterordnung der Hofbeamten, die Hoch¬ achtung der Nachbarhöfe waren der große Gewinn, der ihm aus der Führung der klugen Freundin erwuchs. Aber noch mehr. Goethe bezeichnet sich selbst wiederholt als eine sinnliche Natur. Dies ist freilich zunächst nur als Gegenteil von „abstrakt" aufzufassen. Er nahm die Welt durch seine hellen, frischen Sinne in sich auf, nicht durch die Brille der Bücher; in den deutlichen Umrissen der Formen und Gestalten offenbarte sich ihm das innerste Wesen der Natur. Aber so angelegte Menschen sind auch großen Gefahren ausgesetzt, und besonders an einem lebenslustigen Hofe, wie der Weimarische war. Goethe selbst hatte als Student in Leipzig die Erfahrung gemacht, daß er gegen die Versuchungen der Welt nicht durch sich selbst gewappnet sei. Und daß es an dem damaligen Weimarischen Hofe auch Sümpfe gab, erkennt man deutlich aus dem, was selbst die Besten einander zutrauten. Weist doch Karl August selbst einmal Knebel ganz ernstlich in einem Briefe zurecht, weil dieser ihm vorgeworfen hatte, er habe im Findelhause in Nürnberg Kinder von ihm angetroffen. Goethe fing auch an, „sich bei alle» hübschen Gesichtern herumzulügen," und dem herrlichen Musensöhne flogen die Herzen entgegen. Aber Frau von Stein „tropfte Mäßigung in sein heißes Blut," sie „trieb das Gesindel aus seinem Herzen," und er dankt ihr, daß sie ihn vermocht habe, seinen Lieblingsneigungen zu entsagen. Wohl mag sie dabei den stillen Wunsch gehabt haben, den gepriesenen Dichter allmählich ganz für sich zu gewinnen, aber sicher ist es, daß unter ihrer Leitung die gährende, brausende Dichternatur im engen Strombett der Enthaltsamkeit tief und mächtig dahinfluten lernte; sicher ist es, daß Goethe es ihr hauptsächlich dankte, wenn „sein Leben und Dichten nicht zerrann" wie so vieler Genossen der Sturm- und Drangperiode. Was sonst die Ehefrau dem Manne ist, die häusliche und sittliche Macht, welche den sinnlichen Teil seines Wesens eindämmt, das war Charlotte dem Dichter, und die Mittel des Ersatzes waren dieselben wie im Ehestande. In der Umgebung der Frau von Stein fand Goethe eine Häuslichkeit, und seinen eignen Haushalt festigte er dadurch, daß er die geliebte Frau so oft als möglich hineinzog. Was der Garten bot, Blumen und Früchte, was es in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/133>, abgerufen am 27.09.2024.