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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfreundinnen.

erkaltete, als er nicht mehr täglich bei Hofe aß und infolgedessen mehr daheim
war. Goethes Verhältnis zur Frau von Stein war nicht eine innige Freund¬
schaft mit der Familie Stein, so sehr er sich dies auch einzureden suchte, sondern
die fortdauernde Werbung eines Liebenden um die Geliebte, und daß dies eine
verheiratete Frau war, ist und bleibt uns widerlich, wir haben ein Recht, uns
dies zu gestehen. Unsre sittlichen Anschauungen sind juristisch strenger geworden,
schon die geheime, vertrauliche Annäherung an die Gattin eines andern erscheint
uns als ein Verbrechen. Und von diesem Standpunkte aus beurteilen wir
auch die Folgen eines Verhältnisses. So weit Goethes Umgang mit Frau von
Stein Seelcnfreuudschcift war, so weit reicht sein heilsamer Einfluß; so viel Liebes¬
tändelei sich einmengte, so viel Unheil richtete er an.

Als Goethe am 7. November 1775 nach Weimar kam, war er für das
Hofleben so gut wie garnicht vorbereitet. Er war trotz mannichfaltigen Be¬
kanntschaften, die er gemacht hatte, der Frankfurter Biirgerssohn geblieben, der
"gute Junge," der Herz und Geist arglos, unbefangen über Studenten, Literaten,
schlichte Bürgermädchen, Landpfarrer und Amtleute hatte ausgießen können, sicher,
überall rückhaltlose Empfänglichkeit und freiwillige Unterordnung zu finden.
Dem Shakspeareschwärmer, dem Kraftgcnie waren schon die Geldleute in Lilis
Umgebung "unerträgliche Gesichter" gewesen. In Weimar war dies anders.
Wie willig auch der junge Herzog mit seinem nächsten Gefolge auf das lustige,
ungezwungene Treiben der Geniewirtschaft einging, wie vorurteilsfrei auch die
Herzogin-Mutter an dieser Jugendlust Anteil nahm, wie nachsichtig auch die
feinfühlende Herzogin Luise auf dieses Brausen und Gähren hinabsah, der Hof
im weitern Kreise setzte das altgewohnte Jntriguenspiel fort, und der junge
Goethe fühlte dies, er kam sich vor, wie einer der in das Wasser geworfen ist
und schwimmen lernen soll. Mit dem ihm eignen Takte eines gesunden Ge¬
fühles sah er sich uach solchen um, die ihm mit treugemeintem Rate beistehen
könnten. Wieland bot sich an, auch Knebel; aber sie selbst waren nicht Hof¬
leute im engern Sinne des Wortes, sie selbst litten unter den Nadelstichen
hinterlistiger Freundlichkeit. Wollte Goethe das Netz der geheimen Fäden, an
welchen das Hofleben hing, klar durchschauen lernen, so mußte er eine lange
Lehrzeit bei einer klugen, vollkommen eingeweihten und ihm treu ergebner Frau
durchmachen. Mit Frauen verstand er sich ohnedies am besten. Eine solche
weise Frau bot sich ihm in Charlotte von Stein dar. Sie war die gereifte,
geschulte Hofdame, die mit klarem Geiste das Getriebe durchschaute, dabei offen
und intelligent genug, um sich nicht täuschen zu lassen, und durch die Geradheit
ihrer edeln Natur so sehr über das Gemeine erhaben, daß er sich ihr unbedingt
anvertrauen konnte, und auch dann hätte anvertrauen können, wenn die wechsel¬
seitige Neigung nicht das Band noch enger geknüpft hätte. Aber ihn trieb ja
die leidenschaftlichste Liebe zu der anmutigen, feinen, geistvollen Frau, und daß
er ihr nicht gleichgiltig war, konnte seinem scharfen Blicke nicht verborgen


Dichterfreundinnen.

erkaltete, als er nicht mehr täglich bei Hofe aß und infolgedessen mehr daheim
war. Goethes Verhältnis zur Frau von Stein war nicht eine innige Freund¬
schaft mit der Familie Stein, so sehr er sich dies auch einzureden suchte, sondern
die fortdauernde Werbung eines Liebenden um die Geliebte, und daß dies eine
verheiratete Frau war, ist und bleibt uns widerlich, wir haben ein Recht, uns
dies zu gestehen. Unsre sittlichen Anschauungen sind juristisch strenger geworden,
schon die geheime, vertrauliche Annäherung an die Gattin eines andern erscheint
uns als ein Verbrechen. Und von diesem Standpunkte aus beurteilen wir
auch die Folgen eines Verhältnisses. So weit Goethes Umgang mit Frau von
Stein Seelcnfreuudschcift war, so weit reicht sein heilsamer Einfluß; so viel Liebes¬
tändelei sich einmengte, so viel Unheil richtete er an.

Als Goethe am 7. November 1775 nach Weimar kam, war er für das
Hofleben so gut wie garnicht vorbereitet. Er war trotz mannichfaltigen Be¬
kanntschaften, die er gemacht hatte, der Frankfurter Biirgerssohn geblieben, der
„gute Junge," der Herz und Geist arglos, unbefangen über Studenten, Literaten,
schlichte Bürgermädchen, Landpfarrer und Amtleute hatte ausgießen können, sicher,
überall rückhaltlose Empfänglichkeit und freiwillige Unterordnung zu finden.
Dem Shakspeareschwärmer, dem Kraftgcnie waren schon die Geldleute in Lilis
Umgebung „unerträgliche Gesichter" gewesen. In Weimar war dies anders.
Wie willig auch der junge Herzog mit seinem nächsten Gefolge auf das lustige,
ungezwungene Treiben der Geniewirtschaft einging, wie vorurteilsfrei auch die
Herzogin-Mutter an dieser Jugendlust Anteil nahm, wie nachsichtig auch die
feinfühlende Herzogin Luise auf dieses Brausen und Gähren hinabsah, der Hof
im weitern Kreise setzte das altgewohnte Jntriguenspiel fort, und der junge
Goethe fühlte dies, er kam sich vor, wie einer der in das Wasser geworfen ist
und schwimmen lernen soll. Mit dem ihm eignen Takte eines gesunden Ge¬
fühles sah er sich uach solchen um, die ihm mit treugemeintem Rate beistehen
könnten. Wieland bot sich an, auch Knebel; aber sie selbst waren nicht Hof¬
leute im engern Sinne des Wortes, sie selbst litten unter den Nadelstichen
hinterlistiger Freundlichkeit. Wollte Goethe das Netz der geheimen Fäden, an
welchen das Hofleben hing, klar durchschauen lernen, so mußte er eine lange
Lehrzeit bei einer klugen, vollkommen eingeweihten und ihm treu ergebner Frau
durchmachen. Mit Frauen verstand er sich ohnedies am besten. Eine solche
weise Frau bot sich ihm in Charlotte von Stein dar. Sie war die gereifte,
geschulte Hofdame, die mit klarem Geiste das Getriebe durchschaute, dabei offen
und intelligent genug, um sich nicht täuschen zu lassen, und durch die Geradheit
ihrer edeln Natur so sehr über das Gemeine erhaben, daß er sich ihr unbedingt
anvertrauen konnte, und auch dann hätte anvertrauen können, wenn die wechsel¬
seitige Neigung nicht das Band noch enger geknüpft hätte. Aber ihn trieb ja
die leidenschaftlichste Liebe zu der anmutigen, feinen, geistvollen Frau, und daß
er ihr nicht gleichgiltig war, konnte seinem scharfen Blicke nicht verborgen


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[0132] Dichterfreundinnen. erkaltete, als er nicht mehr täglich bei Hofe aß und infolgedessen mehr daheim war. Goethes Verhältnis zur Frau von Stein war nicht eine innige Freund¬ schaft mit der Familie Stein, so sehr er sich dies auch einzureden suchte, sondern die fortdauernde Werbung eines Liebenden um die Geliebte, und daß dies eine verheiratete Frau war, ist und bleibt uns widerlich, wir haben ein Recht, uns dies zu gestehen. Unsre sittlichen Anschauungen sind juristisch strenger geworden, schon die geheime, vertrauliche Annäherung an die Gattin eines andern erscheint uns als ein Verbrechen. Und von diesem Standpunkte aus beurteilen wir auch die Folgen eines Verhältnisses. So weit Goethes Umgang mit Frau von Stein Seelcnfreuudschcift war, so weit reicht sein heilsamer Einfluß; so viel Liebes¬ tändelei sich einmengte, so viel Unheil richtete er an. Als Goethe am 7. November 1775 nach Weimar kam, war er für das Hofleben so gut wie garnicht vorbereitet. Er war trotz mannichfaltigen Be¬ kanntschaften, die er gemacht hatte, der Frankfurter Biirgerssohn geblieben, der „gute Junge," der Herz und Geist arglos, unbefangen über Studenten, Literaten, schlichte Bürgermädchen, Landpfarrer und Amtleute hatte ausgießen können, sicher, überall rückhaltlose Empfänglichkeit und freiwillige Unterordnung zu finden. Dem Shakspeareschwärmer, dem Kraftgcnie waren schon die Geldleute in Lilis Umgebung „unerträgliche Gesichter" gewesen. In Weimar war dies anders. Wie willig auch der junge Herzog mit seinem nächsten Gefolge auf das lustige, ungezwungene Treiben der Geniewirtschaft einging, wie vorurteilsfrei auch die Herzogin-Mutter an dieser Jugendlust Anteil nahm, wie nachsichtig auch die feinfühlende Herzogin Luise auf dieses Brausen und Gähren hinabsah, der Hof im weitern Kreise setzte das altgewohnte Jntriguenspiel fort, und der junge Goethe fühlte dies, er kam sich vor, wie einer der in das Wasser geworfen ist und schwimmen lernen soll. Mit dem ihm eignen Takte eines gesunden Ge¬ fühles sah er sich uach solchen um, die ihm mit treugemeintem Rate beistehen könnten. Wieland bot sich an, auch Knebel; aber sie selbst waren nicht Hof¬ leute im engern Sinne des Wortes, sie selbst litten unter den Nadelstichen hinterlistiger Freundlichkeit. Wollte Goethe das Netz der geheimen Fäden, an welchen das Hofleben hing, klar durchschauen lernen, so mußte er eine lange Lehrzeit bei einer klugen, vollkommen eingeweihten und ihm treu ergebner Frau durchmachen. Mit Frauen verstand er sich ohnedies am besten. Eine solche weise Frau bot sich ihm in Charlotte von Stein dar. Sie war die gereifte, geschulte Hofdame, die mit klarem Geiste das Getriebe durchschaute, dabei offen und intelligent genug, um sich nicht täuschen zu lassen, und durch die Geradheit ihrer edeln Natur so sehr über das Gemeine erhaben, daß er sich ihr unbedingt anvertrauen konnte, und auch dann hätte anvertrauen können, wenn die wechsel¬ seitige Neigung nicht das Band noch enger geknüpft hätte. Aber ihn trieb ja die leidenschaftlichste Liebe zu der anmutigen, feinen, geistvollen Frau, und daß er ihr nicht gleichgiltig war, konnte seinem scharfen Blicke nicht verborgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/132>, abgerufen am 27.09.2024.