Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Das junge Mädchen erhob sich leise und durchschritt unhörbar den Saal,
Als der Graf sich nach ihr umsah, winkte sie ihm mit den Augen und schloß
vorsichtig die Thür hinter sich. Einige Minuten später verließ auch Daida
den Saal.

Wo wollen Sie hin, Herr Nachbar? redete ihn Cäcilie an, der er im Flur
begegnete.

Die Kinder sind noch im Freien, sagte er, wir werden in wenig Minuten
ein starkes Gewitter haben.

Mademoiselle ging ja eben hinunter. Die wird die Bande schon ins Haus
befördern.

Ich bitte um Verzeihung, erwiederte er, die kleine Adclinc beabsichtigte in
den untern Gemächern die Fenster zu schließen.

Cäcilie war zufriedengestellt und wanderte ruhig mit Kaffeeservictte und
Zuckerdose nach dem Saale, Daida aber die breite Treppe hinunter. Einen
Augenblick sann er nach, wohin sich zunächst zu wenden; dann schritt er durch
den weiten Hausflur nach Georgs Zimmer, zu dem ein paar Stufen hinauf¬
führten. Der Hofmarschall benutzte dies Zimmer jetzt zu deu Konferenzen mit
Beamten und Bauern. Aber obwohl es darum gut in Ordnung gehalten wurde,
ließ sich die modrige Luft, die in jedem unbewohnten Winkel des Erdgeschosses
herrschte, nicht ganz verbannen.

Wie Daida erwartet hatte, traf er daselbst Adeliue. Sie war damit be¬
schäftigt, den widerwilligen Riegel vor das verquollene Feuster zu schieben, und
kehrte der Thür den Rücken. Daida schloß hinter sich ab und steckte den
Schlüssel zu sich. Dann trat er zu ihr, löste sanft ihre Hunde von dem eigen¬
sinnigen Riegel und hielt sie fest.

Ich habe heute ernste Worte mit dir zu sprechen, mon iurz-o, sagte er;
unsre Chancen stehen schlecht; komm, setze dich zu mir ans das alte Sofa und
höre mit Fassung, was ich sagen muß.

Sie gehorchte schweigend. Ihre Rchaugen verrieten Schrecken und Angst.

Noch ist nichts passirt, Kind, tröstete er; aber die Hofmarschalliu ist unserm
"zntönte. czorclüüe. auf der Spur. Sie thut so sanft, ist aber bei alledem mir
gegenüber ziemlich deutlich geworden. Und das ist darum schlimm, weil es mich
zwingt, dich fürs nächste zu meiden.

Du wolltest mich verlassen? O, nur das nicht! Ich könnte es nicht er¬
tragen!

Aber gerade deinetwegen muß es geschehen, meine Puppe. Glaubst du,
daß ich mich um die Meinung dieser Pedanten kümmere? Du lieber Himmel!
Meinethalben könnten sie mich in jeder Tonart verdammen. Aber du, du!

Adeline schüttelte den Kopf. Ich glaube, du bist meiner schon überdrüssig-

Adeline! Wie ungerecht du sein kannst! Warum bin ich denn überhaupt
hier? Etwa um mit dem galligen Hofmarschall über die Dummheit seiner Bauern


Das junge Mädchen erhob sich leise und durchschritt unhörbar den Saal,
Als der Graf sich nach ihr umsah, winkte sie ihm mit den Augen und schloß
vorsichtig die Thür hinter sich. Einige Minuten später verließ auch Daida
den Saal.

Wo wollen Sie hin, Herr Nachbar? redete ihn Cäcilie an, der er im Flur
begegnete.

Die Kinder sind noch im Freien, sagte er, wir werden in wenig Minuten
ein starkes Gewitter haben.

Mademoiselle ging ja eben hinunter. Die wird die Bande schon ins Haus
befördern.

Ich bitte um Verzeihung, erwiederte er, die kleine Adclinc beabsichtigte in
den untern Gemächern die Fenster zu schließen.

Cäcilie war zufriedengestellt und wanderte ruhig mit Kaffeeservictte und
Zuckerdose nach dem Saale, Daida aber die breite Treppe hinunter. Einen
Augenblick sann er nach, wohin sich zunächst zu wenden; dann schritt er durch
den weiten Hausflur nach Georgs Zimmer, zu dem ein paar Stufen hinauf¬
führten. Der Hofmarschall benutzte dies Zimmer jetzt zu deu Konferenzen mit
Beamten und Bauern. Aber obwohl es darum gut in Ordnung gehalten wurde,
ließ sich die modrige Luft, die in jedem unbewohnten Winkel des Erdgeschosses
herrschte, nicht ganz verbannen.

Wie Daida erwartet hatte, traf er daselbst Adeliue. Sie war damit be¬
schäftigt, den widerwilligen Riegel vor das verquollene Feuster zu schieben, und
kehrte der Thür den Rücken. Daida schloß hinter sich ab und steckte den
Schlüssel zu sich. Dann trat er zu ihr, löste sanft ihre Hunde von dem eigen¬
sinnigen Riegel und hielt sie fest.

Ich habe heute ernste Worte mit dir zu sprechen, mon iurz-o, sagte er;
unsre Chancen stehen schlecht; komm, setze dich zu mir ans das alte Sofa und
höre mit Fassung, was ich sagen muß.

Sie gehorchte schweigend. Ihre Rchaugen verrieten Schrecken und Angst.

Noch ist nichts passirt, Kind, tröstete er; aber die Hofmarschalliu ist unserm
«zntönte. czorclüüe. auf der Spur. Sie thut so sanft, ist aber bei alledem mir
gegenüber ziemlich deutlich geworden. Und das ist darum schlimm, weil es mich
zwingt, dich fürs nächste zu meiden.

Du wolltest mich verlassen? O, nur das nicht! Ich könnte es nicht er¬
tragen!

Aber gerade deinetwegen muß es geschehen, meine Puppe. Glaubst du,
daß ich mich um die Meinung dieser Pedanten kümmere? Du lieber Himmel!
Meinethalben könnten sie mich in jeder Tonart verdammen. Aber du, du!

Adeline schüttelte den Kopf. Ich glaube, du bist meiner schon überdrüssig-

Adeline! Wie ungerecht du sein kannst! Warum bin ich denn überhaupt
hier? Etwa um mit dem galligen Hofmarschall über die Dummheit seiner Bauern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199338"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_2113"> Das junge Mädchen erhob sich leise und durchschritt unhörbar den Saal,<lb/>
Als der Graf sich nach ihr umsah, winkte sie ihm mit den Augen und schloß<lb/>
vorsichtig die Thür hinter sich. Einige Minuten später verließ auch Daida<lb/>
den Saal.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2114"> Wo wollen Sie hin, Herr Nachbar? redete ihn Cäcilie an, der er im Flur<lb/>
begegnete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2115"> Die Kinder sind noch im Freien, sagte er, wir werden in wenig Minuten<lb/>
ein starkes Gewitter haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2116"> Mademoiselle ging ja eben hinunter. Die wird die Bande schon ins Haus<lb/>
befördern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2117"> Ich bitte um Verzeihung, erwiederte er, die kleine Adclinc beabsichtigte in<lb/>
den untern Gemächern die Fenster zu schließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2118"> Cäcilie war zufriedengestellt und wanderte ruhig mit Kaffeeservictte und<lb/>
Zuckerdose nach dem Saale, Daida aber die breite Treppe hinunter. Einen<lb/>
Augenblick sann er nach, wohin sich zunächst zu wenden; dann schritt er durch<lb/>
den weiten Hausflur nach Georgs Zimmer, zu dem ein paar Stufen hinauf¬<lb/>
führten. Der Hofmarschall benutzte dies Zimmer jetzt zu deu Konferenzen mit<lb/>
Beamten und Bauern. Aber obwohl es darum gut in Ordnung gehalten wurde,<lb/>
ließ sich die modrige Luft, die in jedem unbewohnten Winkel des Erdgeschosses<lb/>
herrschte, nicht ganz verbannen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2119"> Wie Daida erwartet hatte, traf er daselbst Adeliue. Sie war damit be¬<lb/>
schäftigt, den widerwilligen Riegel vor das verquollene Feuster zu schieben, und<lb/>
kehrte der Thür den Rücken. Daida schloß hinter sich ab und steckte den<lb/>
Schlüssel zu sich. Dann trat er zu ihr, löste sanft ihre Hunde von dem eigen¬<lb/>
sinnigen Riegel und hielt sie fest.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2120"> Ich habe heute ernste Worte mit dir zu sprechen, mon iurz-o, sagte er;<lb/>
unsre Chancen stehen schlecht; komm, setze dich zu mir ans das alte Sofa und<lb/>
höre mit Fassung, was ich sagen muß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2121"> Sie gehorchte schweigend. Ihre Rchaugen verrieten Schrecken und Angst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2122"> Noch ist nichts passirt, Kind, tröstete er; aber die Hofmarschalliu ist unserm<lb/>
«zntönte. czorclüüe. auf der Spur. Sie thut so sanft, ist aber bei alledem mir<lb/>
gegenüber ziemlich deutlich geworden. Und das ist darum schlimm, weil es mich<lb/>
zwingt, dich fürs nächste zu meiden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2123"> Du wolltest mich verlassen? O, nur das nicht! Ich könnte es nicht er¬<lb/>
tragen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2124"> Aber gerade deinetwegen muß es geschehen, meine Puppe.  Glaubst du,<lb/>
daß ich mich um die Meinung dieser Pedanten kümmere? Du lieber Himmel!<lb/>
Meinethalben könnten sie mich in jeder Tonart verdammen.  Aber du, du!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2125"> Adeline schüttelte den Kopf. Ich glaube, du bist meiner schon überdrüssig-</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2126" next="#ID_2127"> Adeline! Wie ungerecht du sein kannst! Warum bin ich denn überhaupt<lb/>
hier? Etwa um mit dem galligen Hofmarschall über die Dummheit seiner Bauern</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0618] Das junge Mädchen erhob sich leise und durchschritt unhörbar den Saal, Als der Graf sich nach ihr umsah, winkte sie ihm mit den Augen und schloß vorsichtig die Thür hinter sich. Einige Minuten später verließ auch Daida den Saal. Wo wollen Sie hin, Herr Nachbar? redete ihn Cäcilie an, der er im Flur begegnete. Die Kinder sind noch im Freien, sagte er, wir werden in wenig Minuten ein starkes Gewitter haben. Mademoiselle ging ja eben hinunter. Die wird die Bande schon ins Haus befördern. Ich bitte um Verzeihung, erwiederte er, die kleine Adclinc beabsichtigte in den untern Gemächern die Fenster zu schließen. Cäcilie war zufriedengestellt und wanderte ruhig mit Kaffeeservictte und Zuckerdose nach dem Saale, Daida aber die breite Treppe hinunter. Einen Augenblick sann er nach, wohin sich zunächst zu wenden; dann schritt er durch den weiten Hausflur nach Georgs Zimmer, zu dem ein paar Stufen hinauf¬ führten. Der Hofmarschall benutzte dies Zimmer jetzt zu deu Konferenzen mit Beamten und Bauern. Aber obwohl es darum gut in Ordnung gehalten wurde, ließ sich die modrige Luft, die in jedem unbewohnten Winkel des Erdgeschosses herrschte, nicht ganz verbannen. Wie Daida erwartet hatte, traf er daselbst Adeliue. Sie war damit be¬ schäftigt, den widerwilligen Riegel vor das verquollene Feuster zu schieben, und kehrte der Thür den Rücken. Daida schloß hinter sich ab und steckte den Schlüssel zu sich. Dann trat er zu ihr, löste sanft ihre Hunde von dem eigen¬ sinnigen Riegel und hielt sie fest. Ich habe heute ernste Worte mit dir zu sprechen, mon iurz-o, sagte er; unsre Chancen stehen schlecht; komm, setze dich zu mir ans das alte Sofa und höre mit Fassung, was ich sagen muß. Sie gehorchte schweigend. Ihre Rchaugen verrieten Schrecken und Angst. Noch ist nichts passirt, Kind, tröstete er; aber die Hofmarschalliu ist unserm «zntönte. czorclüüe. auf der Spur. Sie thut so sanft, ist aber bei alledem mir gegenüber ziemlich deutlich geworden. Und das ist darum schlimm, weil es mich zwingt, dich fürs nächste zu meiden. Du wolltest mich verlassen? O, nur das nicht! Ich könnte es nicht er¬ tragen! Aber gerade deinetwegen muß es geschehen, meine Puppe. Glaubst du, daß ich mich um die Meinung dieser Pedanten kümmere? Du lieber Himmel! Meinethalben könnten sie mich in jeder Tonart verdammen. Aber du, du! Adeline schüttelte den Kopf. Ich glaube, du bist meiner schon überdrüssig- Adeline! Wie ungerecht du sein kannst! Warum bin ich denn überhaupt hier? Etwa um mit dem galligen Hofmarschall über die Dummheit seiner Bauern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/618
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/618>, abgerufen am 24.08.2024.