Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Alexander von Roberts.

Selbstmord seines Herrn, eines Pariser Lebemannes, um seine Stellung ge¬
kommen ist und herrenlos im Lande herumirrt. Halb verhungert hat Lou
das Glück, endlich als "milder Mann" in einer wandernden Menagerie an¬
gestellt zu werden. Roberts entfaltet hier eine große Kunst in der Schilderung
des Treibens der Jahrmarktshelden; eine ganz besonders gelungene Figur ist
die des Tierbändigers. Lou hält es indes in der Menagerie auch nicht lange
aus, kommt wieder bettelnd nach Paris, trifft dort eine Jugendfreundin, eine
kokette Pariserin, die inzwischen eine berühmte Operettensängerin geworden ist,
und findet bei ihr Aufnahme. Allein das Interesse der Diva für ihn erregt
die Eifersucht ihres Grafen, Lou wird daher wieder aus dem Hause gebracht,
und endlich stirbt er im Spital. Man sieht schon aus diesen flüchtigen An¬
deutungen, daß sich Roberts hier in der Nachahmung des Pariser Romans
gefällt. Man kann diese seine anempfindende Unselbständigkeit nur bedauern;
so glänzend einzelne Schilderungen in "Lou" find, so unbefriedigend ist der
Roman als Ganzes, weil es Roberts nicht gelungen ist, klar die Idee aus¬
zugestalten, die ihm mit der Schilderung des Schicksals seines unschuldsvollen,
gutmütigen und doch so unglücklichen Lou im Gegensatze zu den klug be¬
rechneten Geschäftsmenschen der Zivilisation vorgeschwebt hat. Auch die ita¬
lienischen Novellen unter uns als Auempfindung an Paul Heyse u. a. an.
Damit berühre" wir die Grenzen seines Talents.

Im ganzen hat Roberts sich bisher als ein gewandter, anmutvoller, er¬
finderischer Erzähler bewiesen. Aber seine geistige Physiognomie ist noch
im Schwanken, er hat sich offenbar noch nicht selbst gefunden. Wir wünschen
ihm, der so viel voll den Franzosen zu lernen gewußt hat, nunmehr auch die
Fähigkeit, sie zu überwinden und ganz ins deutsche Leben einzukehren; denn
schließlich wurzelt nur hier seine Starke.


Moritz Necker.


Alexander von Roberts.

Selbstmord seines Herrn, eines Pariser Lebemannes, um seine Stellung ge¬
kommen ist und herrenlos im Lande herumirrt. Halb verhungert hat Lou
das Glück, endlich als „milder Mann" in einer wandernden Menagerie an¬
gestellt zu werden. Roberts entfaltet hier eine große Kunst in der Schilderung
des Treibens der Jahrmarktshelden; eine ganz besonders gelungene Figur ist
die des Tierbändigers. Lou hält es indes in der Menagerie auch nicht lange
aus, kommt wieder bettelnd nach Paris, trifft dort eine Jugendfreundin, eine
kokette Pariserin, die inzwischen eine berühmte Operettensängerin geworden ist,
und findet bei ihr Aufnahme. Allein das Interesse der Diva für ihn erregt
die Eifersucht ihres Grafen, Lou wird daher wieder aus dem Hause gebracht,
und endlich stirbt er im Spital. Man sieht schon aus diesen flüchtigen An¬
deutungen, daß sich Roberts hier in der Nachahmung des Pariser Romans
gefällt. Man kann diese seine anempfindende Unselbständigkeit nur bedauern;
so glänzend einzelne Schilderungen in „Lou" find, so unbefriedigend ist der
Roman als Ganzes, weil es Roberts nicht gelungen ist, klar die Idee aus¬
zugestalten, die ihm mit der Schilderung des Schicksals seines unschuldsvollen,
gutmütigen und doch so unglücklichen Lou im Gegensatze zu den klug be¬
rechneten Geschäftsmenschen der Zivilisation vorgeschwebt hat. Auch die ita¬
lienischen Novellen unter uns als Auempfindung an Paul Heyse u. a. an.
Damit berühre» wir die Grenzen seines Talents.

Im ganzen hat Roberts sich bisher als ein gewandter, anmutvoller, er¬
finderischer Erzähler bewiesen. Aber seine geistige Physiognomie ist noch
im Schwanken, er hat sich offenbar noch nicht selbst gefunden. Wir wünschen
ihm, der so viel voll den Franzosen zu lernen gewußt hat, nunmehr auch die
Fähigkeit, sie zu überwinden und ganz ins deutsche Leben einzukehren; denn
schließlich wurzelt nur hier seine Starke.


Moritz Necker.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199336"/>
          <fw type="header" place="top"> Alexander von Roberts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2105" prev="#ID_2104"> Selbstmord seines Herrn, eines Pariser Lebemannes, um seine Stellung ge¬<lb/>
kommen ist und herrenlos im Lande herumirrt. Halb verhungert hat Lou<lb/>
das Glück, endlich als &#x201E;milder Mann" in einer wandernden Menagerie an¬<lb/>
gestellt zu werden. Roberts entfaltet hier eine große Kunst in der Schilderung<lb/>
des Treibens der Jahrmarktshelden; eine ganz besonders gelungene Figur ist<lb/>
die des Tierbändigers. Lou hält es indes in der Menagerie auch nicht lange<lb/>
aus, kommt wieder bettelnd nach Paris, trifft dort eine Jugendfreundin, eine<lb/>
kokette Pariserin, die inzwischen eine berühmte Operettensängerin geworden ist,<lb/>
und findet bei ihr Aufnahme. Allein das Interesse der Diva für ihn erregt<lb/>
die Eifersucht ihres Grafen, Lou wird daher wieder aus dem Hause gebracht,<lb/>
und endlich stirbt er im Spital. Man sieht schon aus diesen flüchtigen An¬<lb/>
deutungen, daß sich Roberts hier in der Nachahmung des Pariser Romans<lb/>
gefällt. Man kann diese seine anempfindende Unselbständigkeit nur bedauern;<lb/>
so glänzend einzelne Schilderungen in &#x201E;Lou" find, so unbefriedigend ist der<lb/>
Roman als Ganzes, weil es Roberts nicht gelungen ist, klar die Idee aus¬<lb/>
zugestalten, die ihm mit der Schilderung des Schicksals seines unschuldsvollen,<lb/>
gutmütigen und doch so unglücklichen Lou im Gegensatze zu den klug be¬<lb/>
rechneten Geschäftsmenschen der Zivilisation vorgeschwebt hat. Auch die ita¬<lb/>
lienischen Novellen unter uns als Auempfindung an Paul Heyse u. a. an.<lb/>
Damit berühre» wir die Grenzen seines Talents.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2106"> Im ganzen hat Roberts sich bisher als ein gewandter, anmutvoller, er¬<lb/>
finderischer Erzähler bewiesen. Aber seine geistige Physiognomie ist noch<lb/>
im Schwanken, er hat sich offenbar noch nicht selbst gefunden. Wir wünschen<lb/>
ihm, der so viel voll den Franzosen zu lernen gewußt hat, nunmehr auch die<lb/>
Fähigkeit, sie zu überwinden und ganz ins deutsche Leben einzukehren; denn<lb/>
schließlich wurzelt nur hier seine Starke.</p><lb/>
          <note type="byline"> Moritz Necker.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0616] Alexander von Roberts. Selbstmord seines Herrn, eines Pariser Lebemannes, um seine Stellung ge¬ kommen ist und herrenlos im Lande herumirrt. Halb verhungert hat Lou das Glück, endlich als „milder Mann" in einer wandernden Menagerie an¬ gestellt zu werden. Roberts entfaltet hier eine große Kunst in der Schilderung des Treibens der Jahrmarktshelden; eine ganz besonders gelungene Figur ist die des Tierbändigers. Lou hält es indes in der Menagerie auch nicht lange aus, kommt wieder bettelnd nach Paris, trifft dort eine Jugendfreundin, eine kokette Pariserin, die inzwischen eine berühmte Operettensängerin geworden ist, und findet bei ihr Aufnahme. Allein das Interesse der Diva für ihn erregt die Eifersucht ihres Grafen, Lou wird daher wieder aus dem Hause gebracht, und endlich stirbt er im Spital. Man sieht schon aus diesen flüchtigen An¬ deutungen, daß sich Roberts hier in der Nachahmung des Pariser Romans gefällt. Man kann diese seine anempfindende Unselbständigkeit nur bedauern; so glänzend einzelne Schilderungen in „Lou" find, so unbefriedigend ist der Roman als Ganzes, weil es Roberts nicht gelungen ist, klar die Idee aus¬ zugestalten, die ihm mit der Schilderung des Schicksals seines unschuldsvollen, gutmütigen und doch so unglücklichen Lou im Gegensatze zu den klug be¬ rechneten Geschäftsmenschen der Zivilisation vorgeschwebt hat. Auch die ita¬ lienischen Novellen unter uns als Auempfindung an Paul Heyse u. a. an. Damit berühre» wir die Grenzen seines Talents. Im ganzen hat Roberts sich bisher als ein gewandter, anmutvoller, er¬ finderischer Erzähler bewiesen. Aber seine geistige Physiognomie ist noch im Schwanken, er hat sich offenbar noch nicht selbst gefunden. Wir wünschen ihm, der so viel voll den Franzosen zu lernen gewußt hat, nunmehr auch die Fähigkeit, sie zu überwinden und ganz ins deutsche Leben einzukehren; denn schließlich wurzelt nur hier seine Starke. Moritz Necker.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/616
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/616>, abgerufen am 22.07.2024.