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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordiingarns.

Grunde liegen mag. Überhaupt scheint die ganze Einrichtung slawischen Ur¬
sprunges, in rein deutschen Gegenden brennt man lieber den Langspan. Hier
in der Stube, wo es wärmer ist, wurde mir gesagt, schliefe" die Kiuder und
alten Leute, vielleicht eben aus diesem Grunde ohne eigentliche Betten, während
jedes Ehepaar oben im Hause seine Schlafkammer hatte.

Mittlerweile, während ich vorwärts schritt, bald an einem Zaune stehen
bleibend, um einen angelehnten Pflug zu mustern, bald versuchend, in ein Hans
einzudringen, verfolgt von den mißtrauischen Blicken der Bauern, war ich zu
der Mitte des Dorfes gelangt, wo die Gasse in einem kleinen Platze Rast
machte, der jedoch sein Gepräge nicht in der Kirche fand, sondern in einem
langen, steinernen, Weißen Gebäude, das schon den anheimelnden Eindruck eines
leistungsfähigen Wirtshauses erwecke" konnte. "Was ist das?" fragte ich einen
dastehenden Bauer. "Das ist der Jude," lautete die Antwort, denn so be¬
zeichnet der gemeine Mann, der noch wenig von Europens übertünchter Höf¬
lichkeit weiß, schlecht und recht seinen Gcneralgewaltigen. Ich redete noch ein
paar Worte mit dem Bauer, wobei ich, zu seinem Fassungsvermögen herab¬
steigend, mich derselben nach unsrer Anschauung nicht sehr respektirlichen Ausdrucks¬
weise bediente, als ich bei einer Wendung unangenehm überrascht hinter mir
einen kleinen, dicken Kerl erblickte, ohne Zweifel -- so flüsterte mein schuld¬
bewußtes Gewissen -- "der Jude" selbst, der offenbar alles gehört hatte. Ich
that, als sähe ich ihn nicht, und schritt auf das "Gewölbe" zu, um an einem
Tische vor der Thür mich niederzusetzen und einen Wein zu verlangen. Der
Firnewein wurde gebracht, und ich fragte nun den Juden, der mittlerweile neben
mir Platz genommen hatte, ob er ein Nachtlager für mich hätte. Er gab eine
verneinende Antwort. Übrigens, fuhr er fort, können Sie unten im Dorfe bei
dem Lehrer bleiben -- der Pfarrer war abwesend --, und im Notfalle ist die
Stadt Deutsch-Praben nur noch eine gute halbe Stunde entfernt. Die Zeit
drängte, die Dunkelheit brach schnell herein, und so nahm ich meine" Weg
wieder auf die schier endlose Gasse hinab, bis ich zuletzt am Ende des Dorfes
hinter der Kirche vor einem kleinen Häuschen einen jungen Man" entdeckte, der
mit einer Pfeife in: Munde in seinem Gärtchen auf- und abspazierte. Es
konnte nur der Lehrer sein; ich sprach ihn an, erkannte aber an den ersten
geradebrechten Worten, daß ich es mit einem Slowaken zu thun hatte, und zog
es vor, auf die mir angebotene Gastfreundschaft zu verzichten und noch nach
Deutsch-Prabcn hineinzumarschiren.

Es war schou ziemlich Nacht, als ich den "freundlichen Markt von städtischem
Aussehen," wie Schwicker sich ausdrückt, erreichte. Eine kurze Gasse führte mich
auf einen Raum, der die Weite eines Marktplatzes und die Ausdehnung eiuer
Straße hatte und nur kümmerlich durch einige zwiiikcrude Laternen erleuchtet
warm. Ich stolperte über den unebene" Boden dahin; der ganze Ort war, wie es
schien, ausgestorben, bis ich endlich einen Nachtwandler auffing, der mich nach


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordiingarns.

Grunde liegen mag. Überhaupt scheint die ganze Einrichtung slawischen Ur¬
sprunges, in rein deutschen Gegenden brennt man lieber den Langspan. Hier
in der Stube, wo es wärmer ist, wurde mir gesagt, schliefe» die Kiuder und
alten Leute, vielleicht eben aus diesem Grunde ohne eigentliche Betten, während
jedes Ehepaar oben im Hause seine Schlafkammer hatte.

Mittlerweile, während ich vorwärts schritt, bald an einem Zaune stehen
bleibend, um einen angelehnten Pflug zu mustern, bald versuchend, in ein Hans
einzudringen, verfolgt von den mißtrauischen Blicken der Bauern, war ich zu
der Mitte des Dorfes gelangt, wo die Gasse in einem kleinen Platze Rast
machte, der jedoch sein Gepräge nicht in der Kirche fand, sondern in einem
langen, steinernen, Weißen Gebäude, das schon den anheimelnden Eindruck eines
leistungsfähigen Wirtshauses erwecke» konnte. „Was ist das?" fragte ich einen
dastehenden Bauer. „Das ist der Jude," lautete die Antwort, denn so be¬
zeichnet der gemeine Mann, der noch wenig von Europens übertünchter Höf¬
lichkeit weiß, schlecht und recht seinen Gcneralgewaltigen. Ich redete noch ein
paar Worte mit dem Bauer, wobei ich, zu seinem Fassungsvermögen herab¬
steigend, mich derselben nach unsrer Anschauung nicht sehr respektirlichen Ausdrucks¬
weise bediente, als ich bei einer Wendung unangenehm überrascht hinter mir
einen kleinen, dicken Kerl erblickte, ohne Zweifel — so flüsterte mein schuld¬
bewußtes Gewissen — „der Jude" selbst, der offenbar alles gehört hatte. Ich
that, als sähe ich ihn nicht, und schritt auf das „Gewölbe" zu, um an einem
Tische vor der Thür mich niederzusetzen und einen Wein zu verlangen. Der
Firnewein wurde gebracht, und ich fragte nun den Juden, der mittlerweile neben
mir Platz genommen hatte, ob er ein Nachtlager für mich hätte. Er gab eine
verneinende Antwort. Übrigens, fuhr er fort, können Sie unten im Dorfe bei
dem Lehrer bleiben — der Pfarrer war abwesend —, und im Notfalle ist die
Stadt Deutsch-Praben nur noch eine gute halbe Stunde entfernt. Die Zeit
drängte, die Dunkelheit brach schnell herein, und so nahm ich meine» Weg
wieder auf die schier endlose Gasse hinab, bis ich zuletzt am Ende des Dorfes
hinter der Kirche vor einem kleinen Häuschen einen jungen Man» entdeckte, der
mit einer Pfeife in: Munde in seinem Gärtchen auf- und abspazierte. Es
konnte nur der Lehrer sein; ich sprach ihn an, erkannte aber an den ersten
geradebrechten Worten, daß ich es mit einem Slowaken zu thun hatte, und zog
es vor, auf die mir angebotene Gastfreundschaft zu verzichten und noch nach
Deutsch-Prabcn hineinzumarschiren.

Es war schou ziemlich Nacht, als ich den „freundlichen Markt von städtischem
Aussehen," wie Schwicker sich ausdrückt, erreichte. Eine kurze Gasse führte mich
auf einen Raum, der die Weite eines Marktplatzes und die Ausdehnung eiuer
Straße hatte und nur kümmerlich durch einige zwiiikcrude Laternen erleuchtet
warm. Ich stolperte über den unebene» Boden dahin; der ganze Ort war, wie es
schien, ausgestorben, bis ich endlich einen Nachtwandler auffing, der mich nach


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[0608] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordiingarns. Grunde liegen mag. Überhaupt scheint die ganze Einrichtung slawischen Ur¬ sprunges, in rein deutschen Gegenden brennt man lieber den Langspan. Hier in der Stube, wo es wärmer ist, wurde mir gesagt, schliefe» die Kiuder und alten Leute, vielleicht eben aus diesem Grunde ohne eigentliche Betten, während jedes Ehepaar oben im Hause seine Schlafkammer hatte. Mittlerweile, während ich vorwärts schritt, bald an einem Zaune stehen bleibend, um einen angelehnten Pflug zu mustern, bald versuchend, in ein Hans einzudringen, verfolgt von den mißtrauischen Blicken der Bauern, war ich zu der Mitte des Dorfes gelangt, wo die Gasse in einem kleinen Platze Rast machte, der jedoch sein Gepräge nicht in der Kirche fand, sondern in einem langen, steinernen, Weißen Gebäude, das schon den anheimelnden Eindruck eines leistungsfähigen Wirtshauses erwecke» konnte. „Was ist das?" fragte ich einen dastehenden Bauer. „Das ist der Jude," lautete die Antwort, denn so be¬ zeichnet der gemeine Mann, der noch wenig von Europens übertünchter Höf¬ lichkeit weiß, schlecht und recht seinen Gcneralgewaltigen. Ich redete noch ein paar Worte mit dem Bauer, wobei ich, zu seinem Fassungsvermögen herab¬ steigend, mich derselben nach unsrer Anschauung nicht sehr respektirlichen Ausdrucks¬ weise bediente, als ich bei einer Wendung unangenehm überrascht hinter mir einen kleinen, dicken Kerl erblickte, ohne Zweifel — so flüsterte mein schuld¬ bewußtes Gewissen — „der Jude" selbst, der offenbar alles gehört hatte. Ich that, als sähe ich ihn nicht, und schritt auf das „Gewölbe" zu, um an einem Tische vor der Thür mich niederzusetzen und einen Wein zu verlangen. Der Firnewein wurde gebracht, und ich fragte nun den Juden, der mittlerweile neben mir Platz genommen hatte, ob er ein Nachtlager für mich hätte. Er gab eine verneinende Antwort. Übrigens, fuhr er fort, können Sie unten im Dorfe bei dem Lehrer bleiben — der Pfarrer war abwesend —, und im Notfalle ist die Stadt Deutsch-Praben nur noch eine gute halbe Stunde entfernt. Die Zeit drängte, die Dunkelheit brach schnell herein, und so nahm ich meine» Weg wieder auf die schier endlose Gasse hinab, bis ich zuletzt am Ende des Dorfes hinter der Kirche vor einem kleinen Häuschen einen jungen Man» entdeckte, der mit einer Pfeife in: Munde in seinem Gärtchen auf- und abspazierte. Es konnte nur der Lehrer sein; ich sprach ihn an, erkannte aber an den ersten geradebrechten Worten, daß ich es mit einem Slowaken zu thun hatte, und zog es vor, auf die mir angebotene Gastfreundschaft zu verzichten und noch nach Deutsch-Prabcn hineinzumarschiren. Es war schou ziemlich Nacht, als ich den „freundlichen Markt von städtischem Aussehen," wie Schwicker sich ausdrückt, erreichte. Eine kurze Gasse führte mich auf einen Raum, der die Weite eines Marktplatzes und die Ausdehnung eiuer Straße hatte und nur kümmerlich durch einige zwiiikcrude Laternen erleuchtet warm. Ich stolperte über den unebene» Boden dahin; der ganze Ort war, wie es schien, ausgestorben, bis ich endlich einen Nachtwandler auffing, der mich nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/608>, abgerufen am 22.07.2024.