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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schwur- und Schöffengerichte.

Schwurgerichte die Schöffengerichte treten zu lassen, sondern er hat mit Mehrheit,
dem Vorschlage des Oberstaatsanwalts Lanhn folgend, die Überzeugung aus¬
gesprochen, daß kein Bedürfnis vorhanden sei, die Schwurgerichte aufzuheben
und an ihrer Stelle Schöffengerichte einzuführen. Das war vor vierzehn Jahren.
Heute, nach der Einführung der Schöffengerichte, hat sich die Ansicht der Ju¬
risten, die ja die Heranziehung der Laien zur Rechtspflege immer mit einem
gewissen Mißtrauen betrachte", so weit geändert, daß sich eine, wenn auch ge¬
ringe Mehrheit derselben Körperschaft, die sich früher ablehnend verhielt, für die
Schöffengerichte ausspricht. Und in der That, nach den seitherigen Erfahrungen
kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Schöffengerichte sich durchaus be¬
währt haben und daß die Ausdehnung ihrer Zuständigkeit eine Frage ist, die,
wenn man überhaupt jetzt schon eine Änderung unsrer kaum eingeführten Straf¬
prozeßordnung in Aussicht nehmen will, in ernsteste Erwägung zu ziehen ist.
Charakteristisch war in dieser Beziehung, daß bei den letzten Verhandlungen des
Juristentages die Praktiker, die mit den Schöffengerichten gearbeitet haben, wie
der Oberamtsrichter Süpfle und der Landrichter Kronecker, sich übereinstimmend
zu ihren Gunsten aussprachen, während die Gegner -- abgesehen von dem
deutsch-freisinnigen Rechtsanwalt Munkel, der ja nach der Gewohnheit seiner
Partei alles Bestehende, also auch die ganze Strafprozeßordnung, schlecht fand --
lediglich aus Theoretikern -- wenigstens Theoretikern in dieser Frage -- be¬
standen.

Bevor ich indessen die Nichtigkeit meiner Ansicht des Näheren nachzuweisen
versuche, möchte ich einige Bemerkungen über die technisch-juristische Seite der
Frage machen, die zwar nicht nen, aber immerhin erforderlich sind, um den
Nichtjuriften über das, um was es sich handelt, einigermaßen aufzuklären.

Im Mutterlande des jetzigen Schwurgerichts, in England, faßt der Vor¬
sitzende Richter nach beendigter Verhandlung das Parteivorbringen und die
Beweisergebnisse zusammen. Hierauf erklärt er den Geschwornen die in Frage
stehenden Ncchtsscitze und belehrt sie endlich über die (in England) noch geltenden
Beweisregeln. Nicht selten sprechen die Richter bei dieser Gelegenheit ihre
Meinung über den Fall aus und fordern die Geschwornen zu einer Freisprechung
auf. Die englische Rechtssitte findet darin nichts anstößiges, denn ello.jmlM
is tluz oounsol "f tuo prisemcn', lautet ein englisches Rechtssprichwort. Wenn
der Richter mit seinem Vortrage zu Ende ist, so fordert er die Geschwornen
auf, sich zurückzuziehen und ihren Wahrspruch zu finden. In England werden
keine Fragen gestellt, sondern die Geschwornen haben sich an die Anklageschrift
zu halten und lediglich zu erklären, ob sie den Angeklagten im Sinne dieser
Schrift für schuldig erachten oder nicht. Die englischen Geschwornen haben also
nicht bloß Thatsachen festzustellen, sondern sie haben die Schuldfrage zu lösen, d. h.
sie sollen feststellen, ob die von der Anklage behaupteten Thatsachen vorgekommen
sind und ob durch dieselben die dem Angeklagten vorgeworfene Schuld begründet


Schwur- und Schöffengerichte.

Schwurgerichte die Schöffengerichte treten zu lassen, sondern er hat mit Mehrheit,
dem Vorschlage des Oberstaatsanwalts Lanhn folgend, die Überzeugung aus¬
gesprochen, daß kein Bedürfnis vorhanden sei, die Schwurgerichte aufzuheben
und an ihrer Stelle Schöffengerichte einzuführen. Das war vor vierzehn Jahren.
Heute, nach der Einführung der Schöffengerichte, hat sich die Ansicht der Ju¬
risten, die ja die Heranziehung der Laien zur Rechtspflege immer mit einem
gewissen Mißtrauen betrachte», so weit geändert, daß sich eine, wenn auch ge¬
ringe Mehrheit derselben Körperschaft, die sich früher ablehnend verhielt, für die
Schöffengerichte ausspricht. Und in der That, nach den seitherigen Erfahrungen
kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Schöffengerichte sich durchaus be¬
währt haben und daß die Ausdehnung ihrer Zuständigkeit eine Frage ist, die,
wenn man überhaupt jetzt schon eine Änderung unsrer kaum eingeführten Straf¬
prozeßordnung in Aussicht nehmen will, in ernsteste Erwägung zu ziehen ist.
Charakteristisch war in dieser Beziehung, daß bei den letzten Verhandlungen des
Juristentages die Praktiker, die mit den Schöffengerichten gearbeitet haben, wie
der Oberamtsrichter Süpfle und der Landrichter Kronecker, sich übereinstimmend
zu ihren Gunsten aussprachen, während die Gegner — abgesehen von dem
deutsch-freisinnigen Rechtsanwalt Munkel, der ja nach der Gewohnheit seiner
Partei alles Bestehende, also auch die ganze Strafprozeßordnung, schlecht fand —
lediglich aus Theoretikern — wenigstens Theoretikern in dieser Frage — be¬
standen.

Bevor ich indessen die Nichtigkeit meiner Ansicht des Näheren nachzuweisen
versuche, möchte ich einige Bemerkungen über die technisch-juristische Seite der
Frage machen, die zwar nicht nen, aber immerhin erforderlich sind, um den
Nichtjuriften über das, um was es sich handelt, einigermaßen aufzuklären.

Im Mutterlande des jetzigen Schwurgerichts, in England, faßt der Vor¬
sitzende Richter nach beendigter Verhandlung das Parteivorbringen und die
Beweisergebnisse zusammen. Hierauf erklärt er den Geschwornen die in Frage
stehenden Ncchtsscitze und belehrt sie endlich über die (in England) noch geltenden
Beweisregeln. Nicht selten sprechen die Richter bei dieser Gelegenheit ihre
Meinung über den Fall aus und fordern die Geschwornen zu einer Freisprechung
auf. Die englische Rechtssitte findet darin nichts anstößiges, denn ello.jmlM
is tluz oounsol »f tuo prisemcn', lautet ein englisches Rechtssprichwort. Wenn
der Richter mit seinem Vortrage zu Ende ist, so fordert er die Geschwornen
auf, sich zurückzuziehen und ihren Wahrspruch zu finden. In England werden
keine Fragen gestellt, sondern die Geschwornen haben sich an die Anklageschrift
zu halten und lediglich zu erklären, ob sie den Angeklagten im Sinne dieser
Schrift für schuldig erachten oder nicht. Die englischen Geschwornen haben also
nicht bloß Thatsachen festzustellen, sondern sie haben die Schuldfrage zu lösen, d. h.
sie sollen feststellen, ob die von der Anklage behaupteten Thatsachen vorgekommen
sind und ob durch dieselben die dem Angeklagten vorgeworfene Schuld begründet


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[0594] Schwur- und Schöffengerichte. Schwurgerichte die Schöffengerichte treten zu lassen, sondern er hat mit Mehrheit, dem Vorschlage des Oberstaatsanwalts Lanhn folgend, die Überzeugung aus¬ gesprochen, daß kein Bedürfnis vorhanden sei, die Schwurgerichte aufzuheben und an ihrer Stelle Schöffengerichte einzuführen. Das war vor vierzehn Jahren. Heute, nach der Einführung der Schöffengerichte, hat sich die Ansicht der Ju¬ risten, die ja die Heranziehung der Laien zur Rechtspflege immer mit einem gewissen Mißtrauen betrachte», so weit geändert, daß sich eine, wenn auch ge¬ ringe Mehrheit derselben Körperschaft, die sich früher ablehnend verhielt, für die Schöffengerichte ausspricht. Und in der That, nach den seitherigen Erfahrungen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Schöffengerichte sich durchaus be¬ währt haben und daß die Ausdehnung ihrer Zuständigkeit eine Frage ist, die, wenn man überhaupt jetzt schon eine Änderung unsrer kaum eingeführten Straf¬ prozeßordnung in Aussicht nehmen will, in ernsteste Erwägung zu ziehen ist. Charakteristisch war in dieser Beziehung, daß bei den letzten Verhandlungen des Juristentages die Praktiker, die mit den Schöffengerichten gearbeitet haben, wie der Oberamtsrichter Süpfle und der Landrichter Kronecker, sich übereinstimmend zu ihren Gunsten aussprachen, während die Gegner — abgesehen von dem deutsch-freisinnigen Rechtsanwalt Munkel, der ja nach der Gewohnheit seiner Partei alles Bestehende, also auch die ganze Strafprozeßordnung, schlecht fand — lediglich aus Theoretikern — wenigstens Theoretikern in dieser Frage — be¬ standen. Bevor ich indessen die Nichtigkeit meiner Ansicht des Näheren nachzuweisen versuche, möchte ich einige Bemerkungen über die technisch-juristische Seite der Frage machen, die zwar nicht nen, aber immerhin erforderlich sind, um den Nichtjuriften über das, um was es sich handelt, einigermaßen aufzuklären. Im Mutterlande des jetzigen Schwurgerichts, in England, faßt der Vor¬ sitzende Richter nach beendigter Verhandlung das Parteivorbringen und die Beweisergebnisse zusammen. Hierauf erklärt er den Geschwornen die in Frage stehenden Ncchtsscitze und belehrt sie endlich über die (in England) noch geltenden Beweisregeln. Nicht selten sprechen die Richter bei dieser Gelegenheit ihre Meinung über den Fall aus und fordern die Geschwornen zu einer Freisprechung auf. Die englische Rechtssitte findet darin nichts anstößiges, denn ello.jmlM is tluz oounsol »f tuo prisemcn', lautet ein englisches Rechtssprichwort. Wenn der Richter mit seinem Vortrage zu Ende ist, so fordert er die Geschwornen auf, sich zurückzuziehen und ihren Wahrspruch zu finden. In England werden keine Fragen gestellt, sondern die Geschwornen haben sich an die Anklageschrift zu halten und lediglich zu erklären, ob sie den Angeklagten im Sinne dieser Schrift für schuldig erachten oder nicht. Die englischen Geschwornen haben also nicht bloß Thatsachen festzustellen, sondern sie haben die Schuldfrage zu lösen, d. h. sie sollen feststellen, ob die von der Anklage behaupteten Thatsachen vorgekommen sind und ob durch dieselben die dem Angeklagten vorgeworfene Schuld begründet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/594>, abgerufen am 22.07.2024.