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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schwur- und Schöffengerichte.

Wird. Bei dieser Feststellung kommen mehrfach Rechtssütze in Anwendung, und
wenn die Geschworne!? über deren Bedeutung und Anwendung im Einzelfalle
im Zweifel sind, so können sie ein sogenanntes SpezialVerdikt abgeben, d. h. sie
können statt der in der Anklageschrift enthaltenen Rechtsbegriffe das ihnen be¬
wiesen scheinende thatsächliche Material angeben und die Beantwortung der
Frage, ob auf dieses Material der Rechtsbegriff anwendbar sei, den Juristen
überlassen. Wird der Angeklagte für nichtschuldig erklärt, so wird er vom
Richter sofort losgelassen. Haben ihn dagegen die Geschwornen schuldig ge¬
sprochen, so wird die Strafe entweder von dem Vorsitzenden Richter (Beisitzer
giebt es nicht) bestimmt oder in zweifelhaften Fällen die Entscheidung eines
königlichen Gerichtshofs i!<in^>>>em->>. lauter Juristen) veranlaßt.

Die englische Einrichtung leidet an dem Mangel, daß sie an die Geschwornen
zu große Anforderungen stellt. Allerdings werden die Geschwornen, wie schon
erwähnt, von dem Richter in eingehender Weise über ihre Aufgabe belehrt. Das
thatsächliche Material wird ihnen zergliedert; die in Anwendung zu bringenden
Rechtssätze werden ihnen erklärt. Allein bei der Beratung haben sie als An¬
haltepunkte nur die ziemlich umständliche Anklageschrift, und es muß dem Laien
häufig schwer fallen, das Wesentliche herauszufinden. Die englische Einrichtung
macht es sodann teils unmöglich, teils schwierig, der durch die Beweiserhebung
in der Hauptverhandlung sich erst ergebenden Veränderung der Sachlage hin¬
reichende Berücksichtigung bei der Findung des Wahrsprnches zu verschaffen.
Wenn sich in der Hauptverhandlung herausstellt, daß der wegen Körperverletzung
angeklagte die Absicht zu töten gehabt hat, so könnte eine Verurteilung wegen
Todschlages oder Mordes selbst dann nicht erfolgen, wenn die Sache sofort klar
wäre und der Angeklagte in die Berücksichtigung des neu hervorgetretenen Um-
standes beim Wahrspruch einwilligte. Wenn sich aus der Verhandlung ergiebt,
daß der Angeklagte nicht, wie die Anklage annahm, eines vollendeten, sondern
nur eines versuchten Verbrechens schuldig ist, nicht einen Mord, sondern eine fahr¬
lässige Tötung begangen hat u. s. w., so können zwar die Geschwornen diese Verän¬
derung der Sachlage im Wahrspruch zur Geltung bringen, aber sie haben dann als
Anhaltepunkte für ihren Wahrspruch nur die mündliche Belehrung des Richters.

Um die erwähnten Mängel zu beseitigen, hat die französische Gesetzgebung
und die auf diesem Gebiete ihr folgende deutsche die Fragestellung eingeführt.
Darnach wird der thatsächliche Stoff, wie er sich aus dem Eröffnungsbeschluß
und der Hauptverhandlung ergiebt, in eine oder mehrere Fragen zusammen¬
gefaßt. Die Geschwornen haben dann einfach ja oder nein zu sagen; sie dürfen
uuter gewissen Voraussetzungen teilweise bejahen, teilweise verneinen, und es ist
ihnen sogar gestattet, positive Zusätze zu machen, z. B. daß mildernde Umstände
vorhanden seien.

Die Fragestellung gehört für die Gesetzgebung und für die Gesetzesanwendung
den schwierigsten Teilen des Prozeßrechtes. Das Was? das Wer? und das


Schwur- und Schöffengerichte.

Wird. Bei dieser Feststellung kommen mehrfach Rechtssütze in Anwendung, und
wenn die Geschworne!? über deren Bedeutung und Anwendung im Einzelfalle
im Zweifel sind, so können sie ein sogenanntes SpezialVerdikt abgeben, d. h. sie
können statt der in der Anklageschrift enthaltenen Rechtsbegriffe das ihnen be¬
wiesen scheinende thatsächliche Material angeben und die Beantwortung der
Frage, ob auf dieses Material der Rechtsbegriff anwendbar sei, den Juristen
überlassen. Wird der Angeklagte für nichtschuldig erklärt, so wird er vom
Richter sofort losgelassen. Haben ihn dagegen die Geschwornen schuldig ge¬
sprochen, so wird die Strafe entweder von dem Vorsitzenden Richter (Beisitzer
giebt es nicht) bestimmt oder in zweifelhaften Fällen die Entscheidung eines
königlichen Gerichtshofs i!<in^>>>em->>. lauter Juristen) veranlaßt.

Die englische Einrichtung leidet an dem Mangel, daß sie an die Geschwornen
zu große Anforderungen stellt. Allerdings werden die Geschwornen, wie schon
erwähnt, von dem Richter in eingehender Weise über ihre Aufgabe belehrt. Das
thatsächliche Material wird ihnen zergliedert; die in Anwendung zu bringenden
Rechtssätze werden ihnen erklärt. Allein bei der Beratung haben sie als An¬
haltepunkte nur die ziemlich umständliche Anklageschrift, und es muß dem Laien
häufig schwer fallen, das Wesentliche herauszufinden. Die englische Einrichtung
macht es sodann teils unmöglich, teils schwierig, der durch die Beweiserhebung
in der Hauptverhandlung sich erst ergebenden Veränderung der Sachlage hin¬
reichende Berücksichtigung bei der Findung des Wahrsprnches zu verschaffen.
Wenn sich in der Hauptverhandlung herausstellt, daß der wegen Körperverletzung
angeklagte die Absicht zu töten gehabt hat, so könnte eine Verurteilung wegen
Todschlages oder Mordes selbst dann nicht erfolgen, wenn die Sache sofort klar
wäre und der Angeklagte in die Berücksichtigung des neu hervorgetretenen Um-
standes beim Wahrspruch einwilligte. Wenn sich aus der Verhandlung ergiebt,
daß der Angeklagte nicht, wie die Anklage annahm, eines vollendeten, sondern
nur eines versuchten Verbrechens schuldig ist, nicht einen Mord, sondern eine fahr¬
lässige Tötung begangen hat u. s. w., so können zwar die Geschwornen diese Verän¬
derung der Sachlage im Wahrspruch zur Geltung bringen, aber sie haben dann als
Anhaltepunkte für ihren Wahrspruch nur die mündliche Belehrung des Richters.

Um die erwähnten Mängel zu beseitigen, hat die französische Gesetzgebung
und die auf diesem Gebiete ihr folgende deutsche die Fragestellung eingeführt.
Darnach wird der thatsächliche Stoff, wie er sich aus dem Eröffnungsbeschluß
und der Hauptverhandlung ergiebt, in eine oder mehrere Fragen zusammen¬
gefaßt. Die Geschwornen haben dann einfach ja oder nein zu sagen; sie dürfen
uuter gewissen Voraussetzungen teilweise bejahen, teilweise verneinen, und es ist
ihnen sogar gestattet, positive Zusätze zu machen, z. B. daß mildernde Umstände
vorhanden seien.

Die Fragestellung gehört für die Gesetzgebung und für die Gesetzesanwendung
den schwierigsten Teilen des Prozeßrechtes. Das Was? das Wer? und das


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[0595] Schwur- und Schöffengerichte. Wird. Bei dieser Feststellung kommen mehrfach Rechtssütze in Anwendung, und wenn die Geschworne!? über deren Bedeutung und Anwendung im Einzelfalle im Zweifel sind, so können sie ein sogenanntes SpezialVerdikt abgeben, d. h. sie können statt der in der Anklageschrift enthaltenen Rechtsbegriffe das ihnen be¬ wiesen scheinende thatsächliche Material angeben und die Beantwortung der Frage, ob auf dieses Material der Rechtsbegriff anwendbar sei, den Juristen überlassen. Wird der Angeklagte für nichtschuldig erklärt, so wird er vom Richter sofort losgelassen. Haben ihn dagegen die Geschwornen schuldig ge¬ sprochen, so wird die Strafe entweder von dem Vorsitzenden Richter (Beisitzer giebt es nicht) bestimmt oder in zweifelhaften Fällen die Entscheidung eines königlichen Gerichtshofs i!<in^>>>em->>. lauter Juristen) veranlaßt. Die englische Einrichtung leidet an dem Mangel, daß sie an die Geschwornen zu große Anforderungen stellt. Allerdings werden die Geschwornen, wie schon erwähnt, von dem Richter in eingehender Weise über ihre Aufgabe belehrt. Das thatsächliche Material wird ihnen zergliedert; die in Anwendung zu bringenden Rechtssätze werden ihnen erklärt. Allein bei der Beratung haben sie als An¬ haltepunkte nur die ziemlich umständliche Anklageschrift, und es muß dem Laien häufig schwer fallen, das Wesentliche herauszufinden. Die englische Einrichtung macht es sodann teils unmöglich, teils schwierig, der durch die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung sich erst ergebenden Veränderung der Sachlage hin¬ reichende Berücksichtigung bei der Findung des Wahrsprnches zu verschaffen. Wenn sich in der Hauptverhandlung herausstellt, daß der wegen Körperverletzung angeklagte die Absicht zu töten gehabt hat, so könnte eine Verurteilung wegen Todschlages oder Mordes selbst dann nicht erfolgen, wenn die Sache sofort klar wäre und der Angeklagte in die Berücksichtigung des neu hervorgetretenen Um- standes beim Wahrspruch einwilligte. Wenn sich aus der Verhandlung ergiebt, daß der Angeklagte nicht, wie die Anklage annahm, eines vollendeten, sondern nur eines versuchten Verbrechens schuldig ist, nicht einen Mord, sondern eine fahr¬ lässige Tötung begangen hat u. s. w., so können zwar die Geschwornen diese Verän¬ derung der Sachlage im Wahrspruch zur Geltung bringen, aber sie haben dann als Anhaltepunkte für ihren Wahrspruch nur die mündliche Belehrung des Richters. Um die erwähnten Mängel zu beseitigen, hat die französische Gesetzgebung und die auf diesem Gebiete ihr folgende deutsche die Fragestellung eingeführt. Darnach wird der thatsächliche Stoff, wie er sich aus dem Eröffnungsbeschluß und der Hauptverhandlung ergiebt, in eine oder mehrere Fragen zusammen¬ gefaßt. Die Geschwornen haben dann einfach ja oder nein zu sagen; sie dürfen uuter gewissen Voraussetzungen teilweise bejahen, teilweise verneinen, und es ist ihnen sogar gestattet, positive Zusätze zu machen, z. B. daß mildernde Umstände vorhanden seien. Die Fragestellung gehört für die Gesetzgebung und für die Gesetzesanwendung den schwierigsten Teilen des Prozeßrechtes. Das Was? das Wer? und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/595>, abgerufen am 22.07.2024.