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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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schritt er jetzt zur Verwirklichung seines Planes, Ostrumclien mit Bulgarien zu
vereinigen, und als er sah, daß Stambnlow ihm hierbei den Rang abzulaufen
suchte, indem er sich bemühte, den Fürsten für die Sache zu gewinnen, die ihm
große Popularität bei der Bevölkerung verhieß, schloß er sich jenem an, und
es gelang ihm, den Fürsten zu überzeugen.

Ostrumelieu stand anfangs wie Bulgarien unter der Verwaltung des
Fürsten Dondnkow-Korsakow, der später dem russischen Generale Stolypin
Platz machte. Im Juli 1879 begannen die russischen Truppen das Land zu
räumen, das min mit der von einer europäischen Kommission ausgearbeiteten,
vom Sultan genehmigten Verfassung, dem "Organischen Statut," als "autonome
Provinz" der Türkei neben Bulgarien ein eignes politisches Leben führen sollte.
Zum Generalgouvemeur wurde Aleko Pascha gewählt. Dieser trat in eine
sehr schwierige Stellung ein. Denn er hatte auf seinem Posten mit den sehr
weit auseinandergehenden Wünschen von Bulgaren, Griechen und Türken zu
thun und außerdem ans die ebenfalls sich widersprechenden Interessen der Russen
und der Engländer Rücksicht zu nehmen. Er verstand es jedoch, "Knoblauch
auf allen Suppen" zu sein, vor den Bulgare", der patriotische Bulgare Aleko,
vor den Grieche" der gefällige Grieche Alexandrvs Vvgorides, vor den Türken
der getreue Beamte des Padischa, vor den Russen der Mau", der unter der
Hand die Interessen des "Zaren, der das Land befreit," wahrzunehmen gewillt
sei. Als im September 1879 die während des Krieges geflüchteten Muhame-
daner nach ihren Gütern zurückkehrten und die Bulgaren Massen derselben
niedermetzelten, verhielt er sich möglichst Passiv zu diesen Greueln, um nicht
unpopulär zu werden. Zu Direktoren der Verwaltung (Ministern) und Prä-
fekten ernannte er größtenteils Vulgärem Im September schrieb er die Wahlen
für die Proviuzialversammlung aus, die am 3. November zusammentrat und sich
vorzüglich mit der Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Einnahmen und
den Ausgaben beschäftigte. Als ihre erste Session am 17. April 188V geschlossen
wurde, blieb ein beständiger Ausschuß zurück, der bald zum Mittelpunkte der
grvßbulgarischen Agitation wurde. Man hatte ein Milizheer mit russischen
Offizieren geschaffen. Ihr Oberbefehlshaber, der Franzose Vitalis, wußte sie
nicht in Gehorsam zu erhalten und wurde deshalb durch den türkischen General
Strecker, eiuen Deutschen, ersetzt, der durch strenge Maßregeln die Mannszucht
wiederherstellte. Neben dieser Truppe hatten die Russen durch Einübung und
Bewaffnung der Turnvereine eine Art Volkswehr geschaffen, die sich offen zu
großbnlgarischeu Zielen bekannte und sich lebhaft an den Grausamkeiten gegen
die zurückgekehrten Muhamedaner beteiligte, sodaß die internationale Kommission
ihre Auflösung forderte. Aleko Pascha zögerte, und als er sich endlich fügte,
weigerten sich die "Sokolisten," wie man die Turner nannte, dem Befehle zu
gehorchen, und es blieb nicht nur beim alten, sondern die Vereine wählten sogar
den Dr. Stranski, einen Hauptführer der grvßbulgarischen Verschwörer, zu ihre".


schritt er jetzt zur Verwirklichung seines Planes, Ostrumclien mit Bulgarien zu
vereinigen, und als er sah, daß Stambnlow ihm hierbei den Rang abzulaufen
suchte, indem er sich bemühte, den Fürsten für die Sache zu gewinnen, die ihm
große Popularität bei der Bevölkerung verhieß, schloß er sich jenem an, und
es gelang ihm, den Fürsten zu überzeugen.

Ostrumelieu stand anfangs wie Bulgarien unter der Verwaltung des
Fürsten Dondnkow-Korsakow, der später dem russischen Generale Stolypin
Platz machte. Im Juli 1879 begannen die russischen Truppen das Land zu
räumen, das min mit der von einer europäischen Kommission ausgearbeiteten,
vom Sultan genehmigten Verfassung, dem „Organischen Statut," als „autonome
Provinz" der Türkei neben Bulgarien ein eignes politisches Leben führen sollte.
Zum Generalgouvemeur wurde Aleko Pascha gewählt. Dieser trat in eine
sehr schwierige Stellung ein. Denn er hatte auf seinem Posten mit den sehr
weit auseinandergehenden Wünschen von Bulgaren, Griechen und Türken zu
thun und außerdem ans die ebenfalls sich widersprechenden Interessen der Russen
und der Engländer Rücksicht zu nehmen. Er verstand es jedoch, „Knoblauch
auf allen Suppen" zu sein, vor den Bulgare», der patriotische Bulgare Aleko,
vor den Grieche» der gefällige Grieche Alexandrvs Vvgorides, vor den Türken
der getreue Beamte des Padischa, vor den Russen der Mau», der unter der
Hand die Interessen des „Zaren, der das Land befreit," wahrzunehmen gewillt
sei. Als im September 1879 die während des Krieges geflüchteten Muhame-
daner nach ihren Gütern zurückkehrten und die Bulgaren Massen derselben
niedermetzelten, verhielt er sich möglichst Passiv zu diesen Greueln, um nicht
unpopulär zu werden. Zu Direktoren der Verwaltung (Ministern) und Prä-
fekten ernannte er größtenteils Vulgärem Im September schrieb er die Wahlen
für die Proviuzialversammlung aus, die am 3. November zusammentrat und sich
vorzüglich mit der Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Einnahmen und
den Ausgaben beschäftigte. Als ihre erste Session am 17. April 188V geschlossen
wurde, blieb ein beständiger Ausschuß zurück, der bald zum Mittelpunkte der
grvßbulgarischen Agitation wurde. Man hatte ein Milizheer mit russischen
Offizieren geschaffen. Ihr Oberbefehlshaber, der Franzose Vitalis, wußte sie
nicht in Gehorsam zu erhalten und wurde deshalb durch den türkischen General
Strecker, eiuen Deutschen, ersetzt, der durch strenge Maßregeln die Mannszucht
wiederherstellte. Neben dieser Truppe hatten die Russen durch Einübung und
Bewaffnung der Turnvereine eine Art Volkswehr geschaffen, die sich offen zu
großbnlgarischeu Zielen bekannte und sich lebhaft an den Grausamkeiten gegen
die zurückgekehrten Muhamedaner beteiligte, sodaß die internationale Kommission
ihre Auflösung forderte. Aleko Pascha zögerte, und als er sich endlich fügte,
weigerten sich die „Sokolisten," wie man die Turner nannte, dem Befehle zu
gehorchen, und es blieb nicht nur beim alten, sondern die Vereine wählten sogar
den Dr. Stranski, einen Hauptführer der grvßbulgarischen Verschwörer, zu ihre».


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/586>, abgerufen am 24.08.2024.