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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen,

der Unsicherheit waren für ihn die qualvollsten des Tages, denn wie er auch
entscheiden mochte, immer meinte er, das Verkehrte getroffen zu haben. Heute
fühlte er sich besonders schwach und hielt sich deshalb zu deu Kindern.

Da auf einmal wandte sich Cäcilie scharf nach ihm um. Haben Sie Ihre
Lampe ausgelöscht, Herr Trakelberg? Nicht? So gehen Sie, ich bitte Sie,
um das Versäumte nachzuholen.

Die Cäcilie ist köstlich! lachte der Hofmarschall; Therese war weniger er¬
baut, schwieg aber wie gewöhnlich.

Gott steh' mir bei, das sind ja Schlittenglocken! rief plötzlich Cäcilie.
Ihr Ausruf kam so unerwartet, daß alles verstummte, um zu lauschen.

Das Haus Siebenhvfen erfreute sich während der Wintermonate eines ge¬
diegenen Bärenschlafes. Selten rasselte ein andres Fuhrwerk über die Zug¬
brücke als der Wagen des guten Doktors Petri.

Wenn uus bei diesem Wetter und bei nachtschlafender Zeit noch ein
Gast kommt, meinte der Hofmarschall, so kann es nur der Nachbar von Moos¬
dorf sein.

Cäcilie blickte auf dem Eßtische umher. Einige Eierkuchen zum Thee sind
schnell gebacken; es geht.

Der Hofmarschall ging und kam gleich darauf in Begleitung des Grafen
wieder. In Dcüdas aschblonden, welligem Haare saßen einige Schneeflöckchen;
sein von Kälte gerötetes Gesicht und die glänzenden Augen verliehen ihm ein
ungemein frisches, jugendliches Aussehen.

Der Gast verneigte sich tief vor der Hofmarschallin, machte den vergeblichen
Versuch, Cäciliens schmale Hände zu küssen, und faßte Julie beim Kinn. Als
die unartige Katze nach seiner Hand schnappte, erinnerte ihn dies an die eigne
Kindheit. Lachend erzählte er, wie er einen Hauslehrer nach dem andern "fort-
gcelendet" habe, und war im Begriff, über diese unglücklichen Opfer zu witzeln,
als die kleine Französin ihn durch ein leichtes Berühren seines Armes darauf
aufmerksam machte, daß derartige Glossen hier nicht angebracht seien. Betroffen
sah er sie einen Augenblick an, und sein Blick sagte die feinsten Schmeicheleien.

Als die Kinder bald darauf unter Mademoiselle Adelines Aufsicht zu
Bett geschickt wurden, sagte Valer eifrig zu seinen Schwestern: Ihr! muß
das ein Junge gewesen sein! Denkt doch nur, drei Hauslehrer fortgeärgert!
Herrlich!

Julie überlegte. Weißt du, er hat auch eine Tochter, erzählte neulich der
Papa. Sie ist noch ganz klein; aber er sieht doch garnicht wie ein Papa aus.

Ach was! Wenn die alle egal aussähen! Wie dumm du bist!

So meine ich das ja garnicht, du Schaf.

Erst recht Schaf! Hauptschaf! Mathilde, sage einmal, wer jetzt zuerst vom
andern gesagt hat, er wäre ein Schaf. Aber du kriegst Prügel, wenn du immer
Juliens Partei nimmst.


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen,

der Unsicherheit waren für ihn die qualvollsten des Tages, denn wie er auch
entscheiden mochte, immer meinte er, das Verkehrte getroffen zu haben. Heute
fühlte er sich besonders schwach und hielt sich deshalb zu deu Kindern.

Da auf einmal wandte sich Cäcilie scharf nach ihm um. Haben Sie Ihre
Lampe ausgelöscht, Herr Trakelberg? Nicht? So gehen Sie, ich bitte Sie,
um das Versäumte nachzuholen.

Die Cäcilie ist köstlich! lachte der Hofmarschall; Therese war weniger er¬
baut, schwieg aber wie gewöhnlich.

Gott steh' mir bei, das sind ja Schlittenglocken! rief plötzlich Cäcilie.
Ihr Ausruf kam so unerwartet, daß alles verstummte, um zu lauschen.

Das Haus Siebenhvfen erfreute sich während der Wintermonate eines ge¬
diegenen Bärenschlafes. Selten rasselte ein andres Fuhrwerk über die Zug¬
brücke als der Wagen des guten Doktors Petri.

Wenn uus bei diesem Wetter und bei nachtschlafender Zeit noch ein
Gast kommt, meinte der Hofmarschall, so kann es nur der Nachbar von Moos¬
dorf sein.

Cäcilie blickte auf dem Eßtische umher. Einige Eierkuchen zum Thee sind
schnell gebacken; es geht.

Der Hofmarschall ging und kam gleich darauf in Begleitung des Grafen
wieder. In Dcüdas aschblonden, welligem Haare saßen einige Schneeflöckchen;
sein von Kälte gerötetes Gesicht und die glänzenden Augen verliehen ihm ein
ungemein frisches, jugendliches Aussehen.

Der Gast verneigte sich tief vor der Hofmarschallin, machte den vergeblichen
Versuch, Cäciliens schmale Hände zu küssen, und faßte Julie beim Kinn. Als
die unartige Katze nach seiner Hand schnappte, erinnerte ihn dies an die eigne
Kindheit. Lachend erzählte er, wie er einen Hauslehrer nach dem andern „fort-
gcelendet" habe, und war im Begriff, über diese unglücklichen Opfer zu witzeln,
als die kleine Französin ihn durch ein leichtes Berühren seines Armes darauf
aufmerksam machte, daß derartige Glossen hier nicht angebracht seien. Betroffen
sah er sie einen Augenblick an, und sein Blick sagte die feinsten Schmeicheleien.

Als die Kinder bald darauf unter Mademoiselle Adelines Aufsicht zu
Bett geschickt wurden, sagte Valer eifrig zu seinen Schwestern: Ihr! muß
das ein Junge gewesen sein! Denkt doch nur, drei Hauslehrer fortgeärgert!
Herrlich!

Julie überlegte. Weißt du, er hat auch eine Tochter, erzählte neulich der
Papa. Sie ist noch ganz klein; aber er sieht doch garnicht wie ein Papa aus.

Ach was! Wenn die alle egal aussähen! Wie dumm du bist!

So meine ich das ja garnicht, du Schaf.

Erst recht Schaf! Hauptschaf! Mathilde, sage einmal, wer jetzt zuerst vom
andern gesagt hat, er wäre ein Schaf. Aber du kriegst Prügel, wenn du immer
Juliens Partei nimmst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/534>, abgerufen am 24.08.2024.