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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Banordorfern Nordungarns.

ertragen kann, ohne nach den Handschellen zu fühlen, so ist es ans mit meiner
Laune. Solch unwirtliche Küste zu fliehen ist Pflicht, und so schiffte ich mich
mit dem nächsten Zuge wieder nach Sillein ein.

Am folgenden Morgen in der Frühe führte den antiquarischen Reisenden das
Dampfroß zunächst durch die enge Schlucht der Waag nach Nuttka, dann südlich
ablenkend gemach das breit ausgelegte Thal der Turoz aufwärts nach der
Station Zupo Vu-ralya, wo ich ein kleines, dort harrendes Landwägelchen bestieg,
um die Entfernung nach dem Orte selbst, eine kleine Stunde, abzukürzen.
Meine Wissenschaft von Znhü Vü.ralya, d. h. dem Burgflecken Zupo (vom
ungarischen V-ir Schloß, Burg und dem mit dem Possessivsuffix verbundnen
Worte der Boden, untere Teil) ist nicht erheblich und beschränkt sich auf die
erste, nach gut ungarischer Art mehr als nötig und für staubschenc Menschen mehr
als wünschenswert breite Straße, auf der ich ausstieg. um unter den niedrigen
weißen Häusern einen Gasthof ausfindig zu machen. Mein Wohlthäter in
Neustädtl nämlich, derselbe, der sich als Darleiher des weißen Pilgersteckens um
das Gelingen der Forschungsreise so große Verdienste erworben, hatte mir
geraten, meinen Weg über Zny6 zu nehmen und daselbst bei seinem Bruder
einzukehren, einen Rat, welchen ich, da der Mann mir sehr gefiel, mit Ver¬
gnügen befolgte und in keiner Weise zu bereuen hatte. Nachdem ich über einige
Drcckhaufen gestolpert war, fand ich richtig vor einem Hofe, der sich von den
andern eben in nichts unterschied, einen älteren Herrn auf einer Bank sitzen,
dem sein langer, taftanähnlicher Rock etwa das Aussehen eines Pastors gab, der
aber gleichwohl behauptete, der gesuchte Wirt zu sein. Ich verfügte mich über
den Hof in das mit der Thür nach dem Hofe, mit dem Giebel nach der Straße
gelegne langgestreckte Haus und wurde von dem Sohne, einem flinken, jungen
Manne, in Empfang genommen, der mich in ein sehr behagliches Gastzimmer
führte. Darauf erklärte ich meine Absicht, unter Zurücklassung meines Handgepäcks
ohne Verzug einen Abstecher nach den benachbarten deutschen Ortschaften zu
machen, vorher aber angesichts der in diesen Wildnissen zu gewärtigenden
Strapazen mich durch einen kräftigen Imbiß zu stärken. "Vielleicht ist ein
Gnlasch da?" fragte ich ihn. Allerdings war es erst neun Uhr morgens, meine
Vermutung indes nicht unzeitgemäß, da die Ungarn es lieben, in die Zwischen¬
räume der eigentlichen Mahlzeiten einen "kleinen Gulasch" einzulegen, um einen
"kleinen Appetit" zu befriedigen. Überhaupt ist der "Gulasch" in der Stadt,
das "Paprikafleisch" auf dem Lande in dieser Beziehung das Mädchen für
alles, besonders letzteres ein unbestimmtes, höchst verdächtiges Wort, das sich
überall da einzustellen pflegt, wo die Begriffe eines zivilisirten Gerichtes fehlen,
womit ich indes nicht auf den echten Gulasch gescholten haben will, denn der
echte Gulasch, halb Rind-, halb Hammelfleisch in Stücken in langer Brühe mit
den erforderlichen Zwiebeln geschmort und durch einige Fingerspitzen Paprika
zu rvtschillerndem Saft verklärt, ist, zumal bei großer Hitze, ein herrliches Gericht,


Germanische Altertümer aus den Banordorfern Nordungarns.

ertragen kann, ohne nach den Handschellen zu fühlen, so ist es ans mit meiner
Laune. Solch unwirtliche Küste zu fliehen ist Pflicht, und so schiffte ich mich
mit dem nächsten Zuge wieder nach Sillein ein.

Am folgenden Morgen in der Frühe führte den antiquarischen Reisenden das
Dampfroß zunächst durch die enge Schlucht der Waag nach Nuttka, dann südlich
ablenkend gemach das breit ausgelegte Thal der Turoz aufwärts nach der
Station Zupo Vu-ralya, wo ich ein kleines, dort harrendes Landwägelchen bestieg,
um die Entfernung nach dem Orte selbst, eine kleine Stunde, abzukürzen.
Meine Wissenschaft von Znhü Vü.ralya, d. h. dem Burgflecken Zupo (vom
ungarischen V-ir Schloß, Burg und dem mit dem Possessivsuffix verbundnen
Worte der Boden, untere Teil) ist nicht erheblich und beschränkt sich auf die
erste, nach gut ungarischer Art mehr als nötig und für staubschenc Menschen mehr
als wünschenswert breite Straße, auf der ich ausstieg. um unter den niedrigen
weißen Häusern einen Gasthof ausfindig zu machen. Mein Wohlthäter in
Neustädtl nämlich, derselbe, der sich als Darleiher des weißen Pilgersteckens um
das Gelingen der Forschungsreise so große Verdienste erworben, hatte mir
geraten, meinen Weg über Zny6 zu nehmen und daselbst bei seinem Bruder
einzukehren, einen Rat, welchen ich, da der Mann mir sehr gefiel, mit Ver¬
gnügen befolgte und in keiner Weise zu bereuen hatte. Nachdem ich über einige
Drcckhaufen gestolpert war, fand ich richtig vor einem Hofe, der sich von den
andern eben in nichts unterschied, einen älteren Herrn auf einer Bank sitzen,
dem sein langer, taftanähnlicher Rock etwa das Aussehen eines Pastors gab, der
aber gleichwohl behauptete, der gesuchte Wirt zu sein. Ich verfügte mich über
den Hof in das mit der Thür nach dem Hofe, mit dem Giebel nach der Straße
gelegne langgestreckte Haus und wurde von dem Sohne, einem flinken, jungen
Manne, in Empfang genommen, der mich in ein sehr behagliches Gastzimmer
führte. Darauf erklärte ich meine Absicht, unter Zurücklassung meines Handgepäcks
ohne Verzug einen Abstecher nach den benachbarten deutschen Ortschaften zu
machen, vorher aber angesichts der in diesen Wildnissen zu gewärtigenden
Strapazen mich durch einen kräftigen Imbiß zu stärken. „Vielleicht ist ein
Gnlasch da?" fragte ich ihn. Allerdings war es erst neun Uhr morgens, meine
Vermutung indes nicht unzeitgemäß, da die Ungarn es lieben, in die Zwischen¬
räume der eigentlichen Mahlzeiten einen „kleinen Gulasch" einzulegen, um einen
„kleinen Appetit" zu befriedigen. Überhaupt ist der „Gulasch" in der Stadt,
das „Paprikafleisch" auf dem Lande in dieser Beziehung das Mädchen für
alles, besonders letzteres ein unbestimmtes, höchst verdächtiges Wort, das sich
überall da einzustellen pflegt, wo die Begriffe eines zivilisirten Gerichtes fehlen,
womit ich indes nicht auf den echten Gulasch gescholten haben will, denn der
echte Gulasch, halb Rind-, halb Hammelfleisch in Stücken in langer Brühe mit
den erforderlichen Zwiebeln geschmort und durch einige Fingerspitzen Paprika
zu rvtschillerndem Saft verklärt, ist, zumal bei großer Hitze, ein herrliches Gericht,


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[0514] Germanische Altertümer aus den Banordorfern Nordungarns. ertragen kann, ohne nach den Handschellen zu fühlen, so ist es ans mit meiner Laune. Solch unwirtliche Küste zu fliehen ist Pflicht, und so schiffte ich mich mit dem nächsten Zuge wieder nach Sillein ein. Am folgenden Morgen in der Frühe führte den antiquarischen Reisenden das Dampfroß zunächst durch die enge Schlucht der Waag nach Nuttka, dann südlich ablenkend gemach das breit ausgelegte Thal der Turoz aufwärts nach der Station Zupo Vu-ralya, wo ich ein kleines, dort harrendes Landwägelchen bestieg, um die Entfernung nach dem Orte selbst, eine kleine Stunde, abzukürzen. Meine Wissenschaft von Znhü Vü.ralya, d. h. dem Burgflecken Zupo (vom ungarischen V-ir Schloß, Burg und dem mit dem Possessivsuffix verbundnen Worte der Boden, untere Teil) ist nicht erheblich und beschränkt sich auf die erste, nach gut ungarischer Art mehr als nötig und für staubschenc Menschen mehr als wünschenswert breite Straße, auf der ich ausstieg. um unter den niedrigen weißen Häusern einen Gasthof ausfindig zu machen. Mein Wohlthäter in Neustädtl nämlich, derselbe, der sich als Darleiher des weißen Pilgersteckens um das Gelingen der Forschungsreise so große Verdienste erworben, hatte mir geraten, meinen Weg über Zny6 zu nehmen und daselbst bei seinem Bruder einzukehren, einen Rat, welchen ich, da der Mann mir sehr gefiel, mit Ver¬ gnügen befolgte und in keiner Weise zu bereuen hatte. Nachdem ich über einige Drcckhaufen gestolpert war, fand ich richtig vor einem Hofe, der sich von den andern eben in nichts unterschied, einen älteren Herrn auf einer Bank sitzen, dem sein langer, taftanähnlicher Rock etwa das Aussehen eines Pastors gab, der aber gleichwohl behauptete, der gesuchte Wirt zu sein. Ich verfügte mich über den Hof in das mit der Thür nach dem Hofe, mit dem Giebel nach der Straße gelegne langgestreckte Haus und wurde von dem Sohne, einem flinken, jungen Manne, in Empfang genommen, der mich in ein sehr behagliches Gastzimmer führte. Darauf erklärte ich meine Absicht, unter Zurücklassung meines Handgepäcks ohne Verzug einen Abstecher nach den benachbarten deutschen Ortschaften zu machen, vorher aber angesichts der in diesen Wildnissen zu gewärtigenden Strapazen mich durch einen kräftigen Imbiß zu stärken. „Vielleicht ist ein Gnlasch da?" fragte ich ihn. Allerdings war es erst neun Uhr morgens, meine Vermutung indes nicht unzeitgemäß, da die Ungarn es lieben, in die Zwischen¬ räume der eigentlichen Mahlzeiten einen „kleinen Gulasch" einzulegen, um einen „kleinen Appetit" zu befriedigen. Überhaupt ist der „Gulasch" in der Stadt, das „Paprikafleisch" auf dem Lande in dieser Beziehung das Mädchen für alles, besonders letzteres ein unbestimmtes, höchst verdächtiges Wort, das sich überall da einzustellen pflegt, wo die Begriffe eines zivilisirten Gerichtes fehlen, womit ich indes nicht auf den echten Gulasch gescholten haben will, denn der echte Gulasch, halb Rind-, halb Hammelfleisch in Stücken in langer Brühe mit den erforderlichen Zwiebeln geschmort und durch einige Fingerspitzen Paprika zu rvtschillerndem Saft verklärt, ist, zumal bei großer Hitze, ein herrliches Gericht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/514>, abgerufen am 24.08.2024.