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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

den Jahren 1879 und 1880 vor der Kommission als Zeuge ausgesagt hat.
Im ersteren Jahre wurden den Pächtern des Herzogs 50 Prozent, im zweiten
25 Prozent der Pacht erlassen. Die hierdurch verringerten Einkünfte waren
im Jahre 1879 77320 Pfd. Sterl. und 1880 102025 Pfd. Sterl. Aber von diesen
Restbeträgen wurden 1879 90,6 Prozent, 1880 67 Prozent für Steuern,
Zehnten und andre ähnliche Lasten, sodann für Verwaltungskosten, Wiederher¬
stellungen und Bauten verwendet, sodaß 1879 nur 9,4 Prozent und 1880 nur
33 Prozent der wirklich eingegangenen Pachteinnahme dein Herzoge zur Ver¬
fügung blieb. Der Zeuge bemerkt dazu, daß die Güter in vortrefflichem Zu¬
stand, und daß keine versäumte" Wiederherstellungen oder Verbesserungen nach¬
zuholen waren.

Nun ist freilich der Herzog von Bedford vielleicht der größte Grundherr
Englands, aber es läßt sich doch von ihm auf die andern schließen, und be¬
greifen, daß sie nicht alle in gleich günstiger Lage waren, eine so unerhörte
Geschäftskrise, wie sie es gleichwohl gethan, zu verwindend) Der englische Gutsherr,
der in der unendlichen Mehrzahl der Fälle nicht Käufer seines Gutes ist, sondern
es im Erbgauge überkommen hat, erblickt darin weniger ein Kapital von be¬
stimmter Höhe, als vielmehr eine Rente, deren Höhe zwar in normalen Zeiten
ziemlich ständig ist, weil die Pachtsummen -- wie glaubwürdig versichert wird --
im allgemeinen sehr mäßig bemessen sind. In Zeiten längeren Mißwachses
aber sieht der Grundherr seine Rente mit verständiger Entsagung sinken, wie
jeder andre Geschäftsmann.

In dieser Richtung möchten mir die Verhältnisse in England gesunder er¬
scheinen als auf dem Kontinent. Dort ist die Bodenrenke nicht unnatürlich
durch künstlich geschraubte Gutspreisc gesteigert; die Grundherren klagen nicht,
wenn ihre Einkünfte sinken, über den Notstand der Landwirtschaft, sie verlangen
weder Schutzzölle noch Bimetallismns, sondern bleiben überzeugte Anhänger
des Freihandels und ihrer vortrefflichen Goldwährung. Sie suchen den Grund
des Übels in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und in der Art und
Weise, wie der Grund und Vodei" verteilt ist. Und wenn der Anschein nicht
trügt, so bereitet sich, wenn auch vielleicht von sehr langer Hand, eine mehr
oder weniger radikale Reform vor, die jedoch in ihrer Großartigkeit die Briten
kaum erschrecken dürste.

Ich muß an dieser Stelle bemerken, daß die Verhältnisse in Schottland
und Irland in vielen Beziehungen verschieden von denen des eigentlichen Eng¬
lands sind. In Schottland und Irland werden Güter zwar ebensowenig von
den Eigentümern selbst bewirtschaftet, sondern wie in England und Wales ver¬
pachtet. Allein die Pächter in Schottland und Irland bilden nicht, wie die



*) Vergleiche hierüber Nasse in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 1884, dem
ich gefolgt bin.
Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

den Jahren 1879 und 1880 vor der Kommission als Zeuge ausgesagt hat.
Im ersteren Jahre wurden den Pächtern des Herzogs 50 Prozent, im zweiten
25 Prozent der Pacht erlassen. Die hierdurch verringerten Einkünfte waren
im Jahre 1879 77320 Pfd. Sterl. und 1880 102025 Pfd. Sterl. Aber von diesen
Restbeträgen wurden 1879 90,6 Prozent, 1880 67 Prozent für Steuern,
Zehnten und andre ähnliche Lasten, sodann für Verwaltungskosten, Wiederher¬
stellungen und Bauten verwendet, sodaß 1879 nur 9,4 Prozent und 1880 nur
33 Prozent der wirklich eingegangenen Pachteinnahme dein Herzoge zur Ver¬
fügung blieb. Der Zeuge bemerkt dazu, daß die Güter in vortrefflichem Zu¬
stand, und daß keine versäumte» Wiederherstellungen oder Verbesserungen nach¬
zuholen waren.

Nun ist freilich der Herzog von Bedford vielleicht der größte Grundherr
Englands, aber es läßt sich doch von ihm auf die andern schließen, und be¬
greifen, daß sie nicht alle in gleich günstiger Lage waren, eine so unerhörte
Geschäftskrise, wie sie es gleichwohl gethan, zu verwindend) Der englische Gutsherr,
der in der unendlichen Mehrzahl der Fälle nicht Käufer seines Gutes ist, sondern
es im Erbgauge überkommen hat, erblickt darin weniger ein Kapital von be¬
stimmter Höhe, als vielmehr eine Rente, deren Höhe zwar in normalen Zeiten
ziemlich ständig ist, weil die Pachtsummen — wie glaubwürdig versichert wird —
im allgemeinen sehr mäßig bemessen sind. In Zeiten längeren Mißwachses
aber sieht der Grundherr seine Rente mit verständiger Entsagung sinken, wie
jeder andre Geschäftsmann.

In dieser Richtung möchten mir die Verhältnisse in England gesunder er¬
scheinen als auf dem Kontinent. Dort ist die Bodenrenke nicht unnatürlich
durch künstlich geschraubte Gutspreisc gesteigert; die Grundherren klagen nicht,
wenn ihre Einkünfte sinken, über den Notstand der Landwirtschaft, sie verlangen
weder Schutzzölle noch Bimetallismns, sondern bleiben überzeugte Anhänger
des Freihandels und ihrer vortrefflichen Goldwährung. Sie suchen den Grund
des Übels in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und in der Art und
Weise, wie der Grund und Vodei» verteilt ist. Und wenn der Anschein nicht
trügt, so bereitet sich, wenn auch vielleicht von sehr langer Hand, eine mehr
oder weniger radikale Reform vor, die jedoch in ihrer Großartigkeit die Briten
kaum erschrecken dürste.

Ich muß an dieser Stelle bemerken, daß die Verhältnisse in Schottland
und Irland in vielen Beziehungen verschieden von denen des eigentlichen Eng¬
lands sind. In Schottland und Irland werden Güter zwar ebensowenig von
den Eigentümern selbst bewirtschaftet, sondern wie in England und Wales ver¬
pachtet. Allein die Pächter in Schottland und Irland bilden nicht, wie die



*) Vergleiche hierüber Nasse in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 1884, dem
ich gefolgt bin.
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[0503] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. den Jahren 1879 und 1880 vor der Kommission als Zeuge ausgesagt hat. Im ersteren Jahre wurden den Pächtern des Herzogs 50 Prozent, im zweiten 25 Prozent der Pacht erlassen. Die hierdurch verringerten Einkünfte waren im Jahre 1879 77320 Pfd. Sterl. und 1880 102025 Pfd. Sterl. Aber von diesen Restbeträgen wurden 1879 90,6 Prozent, 1880 67 Prozent für Steuern, Zehnten und andre ähnliche Lasten, sodann für Verwaltungskosten, Wiederher¬ stellungen und Bauten verwendet, sodaß 1879 nur 9,4 Prozent und 1880 nur 33 Prozent der wirklich eingegangenen Pachteinnahme dein Herzoge zur Ver¬ fügung blieb. Der Zeuge bemerkt dazu, daß die Güter in vortrefflichem Zu¬ stand, und daß keine versäumte» Wiederherstellungen oder Verbesserungen nach¬ zuholen waren. Nun ist freilich der Herzog von Bedford vielleicht der größte Grundherr Englands, aber es läßt sich doch von ihm auf die andern schließen, und be¬ greifen, daß sie nicht alle in gleich günstiger Lage waren, eine so unerhörte Geschäftskrise, wie sie es gleichwohl gethan, zu verwindend) Der englische Gutsherr, der in der unendlichen Mehrzahl der Fälle nicht Käufer seines Gutes ist, sondern es im Erbgauge überkommen hat, erblickt darin weniger ein Kapital von be¬ stimmter Höhe, als vielmehr eine Rente, deren Höhe zwar in normalen Zeiten ziemlich ständig ist, weil die Pachtsummen — wie glaubwürdig versichert wird — im allgemeinen sehr mäßig bemessen sind. In Zeiten längeren Mißwachses aber sieht der Grundherr seine Rente mit verständiger Entsagung sinken, wie jeder andre Geschäftsmann. In dieser Richtung möchten mir die Verhältnisse in England gesunder er¬ scheinen als auf dem Kontinent. Dort ist die Bodenrenke nicht unnatürlich durch künstlich geschraubte Gutspreisc gesteigert; die Grundherren klagen nicht, wenn ihre Einkünfte sinken, über den Notstand der Landwirtschaft, sie verlangen weder Schutzzölle noch Bimetallismns, sondern bleiben überzeugte Anhänger des Freihandels und ihrer vortrefflichen Goldwährung. Sie suchen den Grund des Übels in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und in der Art und Weise, wie der Grund und Vodei» verteilt ist. Und wenn der Anschein nicht trügt, so bereitet sich, wenn auch vielleicht von sehr langer Hand, eine mehr oder weniger radikale Reform vor, die jedoch in ihrer Großartigkeit die Briten kaum erschrecken dürste. Ich muß an dieser Stelle bemerken, daß die Verhältnisse in Schottland und Irland in vielen Beziehungen verschieden von denen des eigentlichen Eng¬ lands sind. In Schottland und Irland werden Güter zwar ebensowenig von den Eigentümern selbst bewirtschaftet, sondern wie in England und Wales ver¬ pachtet. Allein die Pächter in Schottland und Irland bilden nicht, wie die *) Vergleiche hierüber Nasse in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 1884, dem ich gefolgt bin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/503>, abgerufen am 22.07.2024.