Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

Die Güter sind meistens sehr groß, sie werden nur selten von dem Eigen-
müter selbst bewirtschaftet, sondern werden in Pacht gegeben; die Verbesserungen
aber gehen in England (nicht auch in Irland) ans Kosten des Grundherrn;
die Verpachtung und den Verkehr mit den Pächtern besorgen die sogenannten
Landagenten, deren Verwaltung, wohl einschließlich der Verbesserungen, 25 bis
50 Prozent der Pachtzinsen verschlinge!, soll. Wenn die Güter auch nicht
mit Hypotheken belastet sind, so sind die Eigentümer doch nicht selten tief ver¬
schuldet, namentlich durch Verpflichtungen an Familienglieder, durch Gemeinde¬
steuern und manche kostspielige soziale Verpflichtungen, denen sich der Gutsherr
nicht entziehen kann. Trotzdem kommen Zwangsverkäufe nur selten vor, teils
weil die Eigentümer sich mit jeder erdenklichen Anstrengung durchzuwinden
suchen, teils weil bei der Unsicherheit der Besitztitel und der Schwierigkeit, mit
Hilfe fremden Kapitals zu kaufen, was übrigens auch von der Sitte nicht gern
gesehen wird, die Zahl der Kalifliebhaber nur klein sein kann.

Alle diese Umstände machen die Stellung eines englischen Grundherrn sehr
verschieden von der eines deutscheu Guts- oder selbst Latifnudienbesitzers. In
dem Engländer ist das Bewußtsein rege, daß er, daß seine Familie mit dem
Gute verwachsen ist, daß er dasselbe selbst in Besserung zu halten hat, daß der
Pächter im Grnnde seine, des Gutsherrn, Geschäfte besorgt. Es ist daher die
Überzeugung stark in ihm entwickelt, daß er ein Unternehmer sei und daß sein
Geschäft nicht lediglich von hoher Verpachtung, sondern vorwiegend von dem
Gedeihen der Wirtschaft abhängig sei. Dafür liefert die fast siebenjährige Mi߬
wachsperiode von 1875 bis 1881 interessante Beweise. Der bändereiche Bericht
einer königlichen Untcrsuchungskomiuissivn hat für die Eigentümer nur wenig
Worte, obwohl sie alle in die größten Verluste und viele in die ärgste Be¬
drängnis geraten sind. In jedem deutschen oder überhaupt kontinentalen Be¬
richte über ähnliche Zustünde würde die Zahl der Zwaugsveräußeruugen, die
wachsende Verschuldung der Güter mit der größten statistischen Ausführlichkeit
nachgewiesen und für die Beseitigung solch unerhörter Übelstände die schleimige
und energische Hilfe des Staates und der Gesetzgebung gefordert worden sein.
Von dem allen ist in dem englischen Berichte nichts zu finden. Nur die üble
Lage mancher Geistlichen hebt er hervor, die, weil sie keine Pächter für ihr Gut
mehr finden konnten, genötigt waren, die lediglich mit Grund und Boden do-
tirte Pfarrstelle zu verlassen. Im übrigen, wie gesagt, schweigt der Bericht von
den Eigentümern, und man erwartete auch nicht von deren Bedrängnis viel zu
hören, denn nicht um die Not der Bodenrenke, der Eigentümer, sondern um die
Not des landwirtschaftlichen Betriebes der Pächter handelte es sich, das sah
jedermann ein, namentlich die Grundherren selbst. Sie ließen ihre Pächter nicht
im Stiche, sie vermehrten die Verbesserungen, stundeten die Pachtzahlungen, ja
erließen dieselben in vielen Fällen bis zu einem Drittel. Besonders interessant
ist, was ?er Landagent des Herzogs von Be'oford über seine Verwaltung in


Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

Die Güter sind meistens sehr groß, sie werden nur selten von dem Eigen-
müter selbst bewirtschaftet, sondern werden in Pacht gegeben; die Verbesserungen
aber gehen in England (nicht auch in Irland) ans Kosten des Grundherrn;
die Verpachtung und den Verkehr mit den Pächtern besorgen die sogenannten
Landagenten, deren Verwaltung, wohl einschließlich der Verbesserungen, 25 bis
50 Prozent der Pachtzinsen verschlinge!, soll. Wenn die Güter auch nicht
mit Hypotheken belastet sind, so sind die Eigentümer doch nicht selten tief ver¬
schuldet, namentlich durch Verpflichtungen an Familienglieder, durch Gemeinde¬
steuern und manche kostspielige soziale Verpflichtungen, denen sich der Gutsherr
nicht entziehen kann. Trotzdem kommen Zwangsverkäufe nur selten vor, teils
weil die Eigentümer sich mit jeder erdenklichen Anstrengung durchzuwinden
suchen, teils weil bei der Unsicherheit der Besitztitel und der Schwierigkeit, mit
Hilfe fremden Kapitals zu kaufen, was übrigens auch von der Sitte nicht gern
gesehen wird, die Zahl der Kalifliebhaber nur klein sein kann.

Alle diese Umstände machen die Stellung eines englischen Grundherrn sehr
verschieden von der eines deutscheu Guts- oder selbst Latifnudienbesitzers. In
dem Engländer ist das Bewußtsein rege, daß er, daß seine Familie mit dem
Gute verwachsen ist, daß er dasselbe selbst in Besserung zu halten hat, daß der
Pächter im Grnnde seine, des Gutsherrn, Geschäfte besorgt. Es ist daher die
Überzeugung stark in ihm entwickelt, daß er ein Unternehmer sei und daß sein
Geschäft nicht lediglich von hoher Verpachtung, sondern vorwiegend von dem
Gedeihen der Wirtschaft abhängig sei. Dafür liefert die fast siebenjährige Mi߬
wachsperiode von 1875 bis 1881 interessante Beweise. Der bändereiche Bericht
einer königlichen Untcrsuchungskomiuissivn hat für die Eigentümer nur wenig
Worte, obwohl sie alle in die größten Verluste und viele in die ärgste Be¬
drängnis geraten sind. In jedem deutschen oder überhaupt kontinentalen Be¬
richte über ähnliche Zustünde würde die Zahl der Zwaugsveräußeruugen, die
wachsende Verschuldung der Güter mit der größten statistischen Ausführlichkeit
nachgewiesen und für die Beseitigung solch unerhörter Übelstände die schleimige
und energische Hilfe des Staates und der Gesetzgebung gefordert worden sein.
Von dem allen ist in dem englischen Berichte nichts zu finden. Nur die üble
Lage mancher Geistlichen hebt er hervor, die, weil sie keine Pächter für ihr Gut
mehr finden konnten, genötigt waren, die lediglich mit Grund und Boden do-
tirte Pfarrstelle zu verlassen. Im übrigen, wie gesagt, schweigt der Bericht von
den Eigentümern, und man erwartete auch nicht von deren Bedrängnis viel zu
hören, denn nicht um die Not der Bodenrenke, der Eigentümer, sondern um die
Not des landwirtschaftlichen Betriebes der Pächter handelte es sich, das sah
jedermann ein, namentlich die Grundherren selbst. Sie ließen ihre Pächter nicht
im Stiche, sie vermehrten die Verbesserungen, stundeten die Pachtzahlungen, ja
erließen dieselben in vielen Fällen bis zu einem Drittel. Besonders interessant
ist, was ?er Landagent des Herzogs von Be'oford über seine Verwaltung in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199222"/>
            <fw type="header" place="top"> Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1677"> Die Güter sind meistens sehr groß, sie werden nur selten von dem Eigen-<lb/>
müter selbst bewirtschaftet, sondern werden in Pacht gegeben; die Verbesserungen<lb/>
aber gehen in England (nicht auch in Irland) ans Kosten des Grundherrn;<lb/>
die Verpachtung und den Verkehr mit den Pächtern besorgen die sogenannten<lb/>
Landagenten, deren Verwaltung, wohl einschließlich der Verbesserungen, 25 bis<lb/>
50 Prozent der Pachtzinsen verschlinge!, soll. Wenn die Güter auch nicht<lb/>
mit Hypotheken belastet sind, so sind die Eigentümer doch nicht selten tief ver¬<lb/>
schuldet, namentlich durch Verpflichtungen an Familienglieder, durch Gemeinde¬<lb/>
steuern und manche kostspielige soziale Verpflichtungen, denen sich der Gutsherr<lb/>
nicht entziehen kann. Trotzdem kommen Zwangsverkäufe nur selten vor, teils<lb/>
weil die Eigentümer sich mit jeder erdenklichen Anstrengung durchzuwinden<lb/>
suchen, teils weil bei der Unsicherheit der Besitztitel und der Schwierigkeit, mit<lb/>
Hilfe fremden Kapitals zu kaufen, was übrigens auch von der Sitte nicht gern<lb/>
gesehen wird, die Zahl der Kalifliebhaber nur klein sein kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1678" next="#ID_1679"> Alle diese Umstände machen die Stellung eines englischen Grundherrn sehr<lb/>
verschieden von der eines deutscheu Guts- oder selbst Latifnudienbesitzers. In<lb/>
dem Engländer ist das Bewußtsein rege, daß er, daß seine Familie mit dem<lb/>
Gute verwachsen ist, daß er dasselbe selbst in Besserung zu halten hat, daß der<lb/>
Pächter im Grnnde seine, des Gutsherrn, Geschäfte besorgt. Es ist daher die<lb/>
Überzeugung stark in ihm entwickelt, daß er ein Unternehmer sei und daß sein<lb/>
Geschäft nicht lediglich von hoher Verpachtung, sondern vorwiegend von dem<lb/>
Gedeihen der Wirtschaft abhängig sei. Dafür liefert die fast siebenjährige Mi߬<lb/>
wachsperiode von 1875 bis 1881 interessante Beweise. Der bändereiche Bericht<lb/>
einer königlichen Untcrsuchungskomiuissivn hat für die Eigentümer nur wenig<lb/>
Worte, obwohl sie alle in die größten Verluste und viele in die ärgste Be¬<lb/>
drängnis geraten sind. In jedem deutschen oder überhaupt kontinentalen Be¬<lb/>
richte über ähnliche Zustünde würde die Zahl der Zwaugsveräußeruugen, die<lb/>
wachsende Verschuldung der Güter mit der größten statistischen Ausführlichkeit<lb/>
nachgewiesen und für die Beseitigung solch unerhörter Übelstände die schleimige<lb/>
und energische Hilfe des Staates und der Gesetzgebung gefordert worden sein.<lb/>
Von dem allen ist in dem englischen Berichte nichts zu finden. Nur die üble<lb/>
Lage mancher Geistlichen hebt er hervor, die, weil sie keine Pächter für ihr Gut<lb/>
mehr finden konnten, genötigt waren, die lediglich mit Grund und Boden do-<lb/>
tirte Pfarrstelle zu verlassen. Im übrigen, wie gesagt, schweigt der Bericht von<lb/>
den Eigentümern, und man erwartete auch nicht von deren Bedrängnis viel zu<lb/>
hören, denn nicht um die Not der Bodenrenke, der Eigentümer, sondern um die<lb/>
Not des landwirtschaftlichen Betriebes der Pächter handelte es sich, das sah<lb/>
jedermann ein, namentlich die Grundherren selbst. Sie ließen ihre Pächter nicht<lb/>
im Stiche, sie vermehrten die Verbesserungen, stundeten die Pachtzahlungen, ja<lb/>
erließen dieselben in vielen Fällen bis zu einem Drittel. Besonders interessant<lb/>
ist, was ?er Landagent des Herzogs von Be'oford über seine Verwaltung in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. Die Güter sind meistens sehr groß, sie werden nur selten von dem Eigen- müter selbst bewirtschaftet, sondern werden in Pacht gegeben; die Verbesserungen aber gehen in England (nicht auch in Irland) ans Kosten des Grundherrn; die Verpachtung und den Verkehr mit den Pächtern besorgen die sogenannten Landagenten, deren Verwaltung, wohl einschließlich der Verbesserungen, 25 bis 50 Prozent der Pachtzinsen verschlinge!, soll. Wenn die Güter auch nicht mit Hypotheken belastet sind, so sind die Eigentümer doch nicht selten tief ver¬ schuldet, namentlich durch Verpflichtungen an Familienglieder, durch Gemeinde¬ steuern und manche kostspielige soziale Verpflichtungen, denen sich der Gutsherr nicht entziehen kann. Trotzdem kommen Zwangsverkäufe nur selten vor, teils weil die Eigentümer sich mit jeder erdenklichen Anstrengung durchzuwinden suchen, teils weil bei der Unsicherheit der Besitztitel und der Schwierigkeit, mit Hilfe fremden Kapitals zu kaufen, was übrigens auch von der Sitte nicht gern gesehen wird, die Zahl der Kalifliebhaber nur klein sein kann. Alle diese Umstände machen die Stellung eines englischen Grundherrn sehr verschieden von der eines deutscheu Guts- oder selbst Latifnudienbesitzers. In dem Engländer ist das Bewußtsein rege, daß er, daß seine Familie mit dem Gute verwachsen ist, daß er dasselbe selbst in Besserung zu halten hat, daß der Pächter im Grnnde seine, des Gutsherrn, Geschäfte besorgt. Es ist daher die Überzeugung stark in ihm entwickelt, daß er ein Unternehmer sei und daß sein Geschäft nicht lediglich von hoher Verpachtung, sondern vorwiegend von dem Gedeihen der Wirtschaft abhängig sei. Dafür liefert die fast siebenjährige Mi߬ wachsperiode von 1875 bis 1881 interessante Beweise. Der bändereiche Bericht einer königlichen Untcrsuchungskomiuissivn hat für die Eigentümer nur wenig Worte, obwohl sie alle in die größten Verluste und viele in die ärgste Be¬ drängnis geraten sind. In jedem deutschen oder überhaupt kontinentalen Be¬ richte über ähnliche Zustünde würde die Zahl der Zwaugsveräußeruugen, die wachsende Verschuldung der Güter mit der größten statistischen Ausführlichkeit nachgewiesen und für die Beseitigung solch unerhörter Übelstände die schleimige und energische Hilfe des Staates und der Gesetzgebung gefordert worden sein. Von dem allen ist in dem englischen Berichte nichts zu finden. Nur die üble Lage mancher Geistlichen hebt er hervor, die, weil sie keine Pächter für ihr Gut mehr finden konnten, genötigt waren, die lediglich mit Grund und Boden do- tirte Pfarrstelle zu verlassen. Im übrigen, wie gesagt, schweigt der Bericht von den Eigentümern, und man erwartete auch nicht von deren Bedrängnis viel zu hören, denn nicht um die Not der Bodenrenke, der Eigentümer, sondern um die Not des landwirtschaftlichen Betriebes der Pächter handelte es sich, das sah jedermann ein, namentlich die Grundherren selbst. Sie ließen ihre Pächter nicht im Stiche, sie vermehrten die Verbesserungen, stundeten die Pachtzahlungen, ja erließen dieselben in vielen Fällen bis zu einem Drittel. Besonders interessant ist, was ?er Landagent des Herzogs von Be'oford über seine Verwaltung in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/502>, abgerufen am 22.07.2024.