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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Ans der Chrom? derer von Riffclshcmssn,

Er küßte ihre Hände, und sie erlaubte es still. Dann nahm sie ihren Korb
und verließ ihn -- ohne Zwiespalt, ohne Zweifel.

Er aber verbarg das Gesicht in den Händen und glaubte verzagen zu müssen.




Zwölftes Aapitel.

Therese ging in der Nähe des gefrornen Dorfteiches den beschneiten Wieseu-
lveg entlang. Sie wollte eine alte Frau besuchen, die am andern Ende des
Dorfes wohnte. Während sie so still vor sich hinsah, gingen ihr mancherlei
Gedanken durch den Kopf, und alle liefen sie darauf hinaus, daß es doch ganz
vergeblich sei, das Leben der eignen Neigung gemäß einrichten zu wollen. Sie
fühlte sich nicht mehr jung, sie hatte nichts neues mehr von der Zukunft er¬
wartet. Sie gedachte mir ihren Pflichten stets treuer und eifriger nachzukommen.
Und nun war es auf einmal, als habe sie jetzt erst zu leben und zu kämpfen be¬
gonnen. Oder träumte sie nur? Was sie zu thun hatte, das wußte sie wohl,
aber nicht, wie ihr zu Sinne war.

Sie schaute achtlos auf den brauugctretenen Pfad und die kahlen Obst¬
bäume in den Gärten. Dort kamen zwei Bauerfrauen mit mächtigen Kuchen¬
brettern auf den Köpfen; die eine hatte einen angenehm duftenden Zwiebelknchen
bereitet. Therese blieb stehen und bemerkte etwas zum Lobe des Gebäcks.

Die stattliche Trägerin des Zwiebelkuchens lächelte milde. Ach nein,
gnädige Frau, das ist ganz was gemeines. Nun, für uns noch gut genug.
Wo wollen denn aber die Gnädige hinspazieren?

Zur alten Hegel, liebe Frau. Ich will euch auch nicht länger aufhalten.
Ihr, Frau Günther, bringt uns doch die Butter nach dem Herrenhause?

Die Günthern erstaunte und fing an, die Gnädige als gewissermaßen un¬
zurechnungsfähig zu betrachten. Das ist ja die Günthern aus der Wenzcls-
gasse! Wissen denn das die gnädige Frau nicht? Dem Bernhard Günther seine,
da hinten 'naus, nach dem Feldwege zu.

Therese wurde ganz verlegen. Es wollte ihr immer noch nicht gelingen, mit
den Leuten von Siebenhofen den richtigen Ton zu treffen. Grüßend ging sie weiter.
Georg freilich! dachte sie, und war wieder bei dem Ausgangspunkte ihrer Ge¬
danken angelangt.

Zu ihrer Erleichterung erreichte sie jetzt aber auch das rosenrot ange¬
strichene Häuschen des jungen Hegel, welcher Ehrenmann gerade mit einem
herumziehenden Schlächter durch den Stall jagte, um "das Kleine" zu fangen,
ein dickes, graues, schmutziges Nüsseltier, das mit vernehmlichem Grunzen seine
Abneigung gegen den fremden Eindringling kundgab. So ging Therese an dem
Stalle vorbei durch den engen Hof nach dem Hause. (Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Ans der Chrom? derer von Riffclshcmssn,

Er küßte ihre Hände, und sie erlaubte es still. Dann nahm sie ihren Korb
und verließ ihn — ohne Zwiespalt, ohne Zweifel.

Er aber verbarg das Gesicht in den Händen und glaubte verzagen zu müssen.




Zwölftes Aapitel.

Therese ging in der Nähe des gefrornen Dorfteiches den beschneiten Wieseu-
lveg entlang. Sie wollte eine alte Frau besuchen, die am andern Ende des
Dorfes wohnte. Während sie so still vor sich hinsah, gingen ihr mancherlei
Gedanken durch den Kopf, und alle liefen sie darauf hinaus, daß es doch ganz
vergeblich sei, das Leben der eignen Neigung gemäß einrichten zu wollen. Sie
fühlte sich nicht mehr jung, sie hatte nichts neues mehr von der Zukunft er¬
wartet. Sie gedachte mir ihren Pflichten stets treuer und eifriger nachzukommen.
Und nun war es auf einmal, als habe sie jetzt erst zu leben und zu kämpfen be¬
gonnen. Oder träumte sie nur? Was sie zu thun hatte, das wußte sie wohl,
aber nicht, wie ihr zu Sinne war.

Sie schaute achtlos auf den brauugctretenen Pfad und die kahlen Obst¬
bäume in den Gärten. Dort kamen zwei Bauerfrauen mit mächtigen Kuchen¬
brettern auf den Köpfen; die eine hatte einen angenehm duftenden Zwiebelknchen
bereitet. Therese blieb stehen und bemerkte etwas zum Lobe des Gebäcks.

Die stattliche Trägerin des Zwiebelkuchens lächelte milde. Ach nein,
gnädige Frau, das ist ganz was gemeines. Nun, für uns noch gut genug.
Wo wollen denn aber die Gnädige hinspazieren?

Zur alten Hegel, liebe Frau. Ich will euch auch nicht länger aufhalten.
Ihr, Frau Günther, bringt uns doch die Butter nach dem Herrenhause?

Die Günthern erstaunte und fing an, die Gnädige als gewissermaßen un¬
zurechnungsfähig zu betrachten. Das ist ja die Günthern aus der Wenzcls-
gasse! Wissen denn das die gnädige Frau nicht? Dem Bernhard Günther seine,
da hinten 'naus, nach dem Feldwege zu.

Therese wurde ganz verlegen. Es wollte ihr immer noch nicht gelingen, mit
den Leuten von Siebenhofen den richtigen Ton zu treffen. Grüßend ging sie weiter.
Georg freilich! dachte sie, und war wieder bei dem Ausgangspunkte ihrer Ge¬
danken angelangt.

Zu ihrer Erleichterung erreichte sie jetzt aber auch das rosenrot ange¬
strichene Häuschen des jungen Hegel, welcher Ehrenmann gerade mit einem
herumziehenden Schlächter durch den Stall jagte, um „das Kleine" zu fangen,
ein dickes, graues, schmutziges Nüsseltier, das mit vernehmlichem Grunzen seine
Abneigung gegen den fremden Eindringling kundgab. So ging Therese an dem
Stalle vorbei durch den engen Hof nach dem Hause. (Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0488] Ans der Chrom? derer von Riffclshcmssn, Er küßte ihre Hände, und sie erlaubte es still. Dann nahm sie ihren Korb und verließ ihn — ohne Zwiespalt, ohne Zweifel. Er aber verbarg das Gesicht in den Händen und glaubte verzagen zu müssen. Zwölftes Aapitel. Therese ging in der Nähe des gefrornen Dorfteiches den beschneiten Wieseu- lveg entlang. Sie wollte eine alte Frau besuchen, die am andern Ende des Dorfes wohnte. Während sie so still vor sich hinsah, gingen ihr mancherlei Gedanken durch den Kopf, und alle liefen sie darauf hinaus, daß es doch ganz vergeblich sei, das Leben der eignen Neigung gemäß einrichten zu wollen. Sie fühlte sich nicht mehr jung, sie hatte nichts neues mehr von der Zukunft er¬ wartet. Sie gedachte mir ihren Pflichten stets treuer und eifriger nachzukommen. Und nun war es auf einmal, als habe sie jetzt erst zu leben und zu kämpfen be¬ gonnen. Oder träumte sie nur? Was sie zu thun hatte, das wußte sie wohl, aber nicht, wie ihr zu Sinne war. Sie schaute achtlos auf den brauugctretenen Pfad und die kahlen Obst¬ bäume in den Gärten. Dort kamen zwei Bauerfrauen mit mächtigen Kuchen¬ brettern auf den Köpfen; die eine hatte einen angenehm duftenden Zwiebelknchen bereitet. Therese blieb stehen und bemerkte etwas zum Lobe des Gebäcks. Die stattliche Trägerin des Zwiebelkuchens lächelte milde. Ach nein, gnädige Frau, das ist ganz was gemeines. Nun, für uns noch gut genug. Wo wollen denn aber die Gnädige hinspazieren? Zur alten Hegel, liebe Frau. Ich will euch auch nicht länger aufhalten. Ihr, Frau Günther, bringt uns doch die Butter nach dem Herrenhause? Die Günthern erstaunte und fing an, die Gnädige als gewissermaßen un¬ zurechnungsfähig zu betrachten. Das ist ja die Günthern aus der Wenzcls- gasse! Wissen denn das die gnädige Frau nicht? Dem Bernhard Günther seine, da hinten 'naus, nach dem Feldwege zu. Therese wurde ganz verlegen. Es wollte ihr immer noch nicht gelingen, mit den Leuten von Siebenhofen den richtigen Ton zu treffen. Grüßend ging sie weiter. Georg freilich! dachte sie, und war wieder bei dem Ausgangspunkte ihrer Ge¬ danken angelangt. Zu ihrer Erleichterung erreichte sie jetzt aber auch das rosenrot ange¬ strichene Häuschen des jungen Hegel, welcher Ehrenmann gerade mit einem herumziehenden Schlächter durch den Stall jagte, um „das Kleine" zu fangen, ein dickes, graues, schmutziges Nüsseltier, das mit vernehmlichem Grunzen seine Abneigung gegen den fremden Eindringling kundgab. So ging Therese an dem Stalle vorbei durch den engen Hof nach dem Hause. (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/488>, abgerufen am 22.07.2024.