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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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sie sogar besonders lebhaft und heiter. Er empfand wieder das böse, bittere
Gefühl, das er so gern verbannt hätte. Es kam ihm so hart an, sich von
der gewohnten Heimat zu trennen. Sie mußte es wissen, und dennoch
lächelte sie!

Cäcilie hatte für den nächsten Morgen Kümmelhörnchen gebacken und dabei
den Kindern erzählt, es sei vormals Sitte gewesen, Verurteilten vor der Hin¬
richtung noch ein Mahl zu bereiten, das aus ihren Leibgerichten bestand. Das
wurde ein Henkcrsmahl genannt, und so backe ich jetzt dem Onkel diese Hörnchen
zum Heukersmahl.

Sie durften dann essen, so viel sie wollten! meinte Valer; ich hätte mir
Eierkuchen mit Kirschen ausgebeten.

Aber Tante, sagte Mathilde, der Onkel wird ja doch nicht gehenkt!

Valer riß die Augen ans. Wenn du doch nicht alles so wörtlich nehmen
wolltest, du junges Schaf! Er ißt sich ja zum letztenmale satt. Die Sache ist
bildlich, begreifst du das nicht?

Julie schüttelte den Kopf, doch schwiegen die Schwestern vor des Bruders
überlegner Weisheit.

Die drei erwarteten natürlich an dem verhängnisvollen Morgen, den Onkel
wunderbares in Vertilgung der Kümmelhörnchen leisten zu sehen, und waren
enttäuscht, als dies keineswegs der Fall war. Georg war ungewöhnlich zer¬
streut und verließ das Frühstückszimmer bald, um noch die letzte Hand an ein
dem Inspektor zu übergehendes Schriftstück zu legen.

Die Arbeit war beendet. Georg sah vor sich hin und träumte, als es
^ise an die Thür klopfte. Ohne aufzusehen, rief er: Herein! Als er aber die
sich nähernden Schritte vernahm, zuckte er zusammen. Therese war eingetreten.

trug einen Shawl um die Schultern und ein gestricktes Tuch um deu
^vos, das ihr feines Gesicht noch feiner und zarter erscheinen ließ, und hielt
com Korb in der Hand, den sie ans seinen Schreibtisch stellte.

Verzeihe, daß ich dich störe, sagte sie schüchtern, ich bin im Begriff ins
^wrf z,, geh^ und werde dich Wohl nicht mehr finden, wenn ich wiederkomme.
Ach möchte dir Lebewohl sagen. ^

Er ergriff ihre beiden Hände. Es ist vielleicht das letztemal, daß wir uns
leben, Therese, sagte er mit tiefem Ernste. Sie wich seinem Blicke ans.

Warum sollte es das letztemal sein? Du gehst allerdings weit fort und --

Und das ist dir lieb! Therese, Therese! was habe ich dir gethan?

Sie sah zu ihm auf. Du hast recht. Ich bin froh, daß du gehst, weil
ich weiß, daß du mich so ansehen kannst, wie du es jetzt thust, und weil ich
^iß, daß ich nicht die Kraft habe, diesen Blick auszuhalten. Ja, es muß das
letztemal sein, daß wir uns sehen, da wir nicht in Ruhe nebeneinander hergehen
können. Ich danke Gott und dir, Georg, daß wir mit gutem Gewissen aus¬
einander gehen. Ich werde an dich denken! Lebewohl!


sie sogar besonders lebhaft und heiter. Er empfand wieder das böse, bittere
Gefühl, das er so gern verbannt hätte. Es kam ihm so hart an, sich von
der gewohnten Heimat zu trennen. Sie mußte es wissen, und dennoch
lächelte sie!

Cäcilie hatte für den nächsten Morgen Kümmelhörnchen gebacken und dabei
den Kindern erzählt, es sei vormals Sitte gewesen, Verurteilten vor der Hin¬
richtung noch ein Mahl zu bereiten, das aus ihren Leibgerichten bestand. Das
wurde ein Henkcrsmahl genannt, und so backe ich jetzt dem Onkel diese Hörnchen
zum Heukersmahl.

Sie durften dann essen, so viel sie wollten! meinte Valer; ich hätte mir
Eierkuchen mit Kirschen ausgebeten.

Aber Tante, sagte Mathilde, der Onkel wird ja doch nicht gehenkt!

Valer riß die Augen ans. Wenn du doch nicht alles so wörtlich nehmen
wolltest, du junges Schaf! Er ißt sich ja zum letztenmale satt. Die Sache ist
bildlich, begreifst du das nicht?

Julie schüttelte den Kopf, doch schwiegen die Schwestern vor des Bruders
überlegner Weisheit.

Die drei erwarteten natürlich an dem verhängnisvollen Morgen, den Onkel
wunderbares in Vertilgung der Kümmelhörnchen leisten zu sehen, und waren
enttäuscht, als dies keineswegs der Fall war. Georg war ungewöhnlich zer¬
streut und verließ das Frühstückszimmer bald, um noch die letzte Hand an ein
dem Inspektor zu übergehendes Schriftstück zu legen.

Die Arbeit war beendet. Georg sah vor sich hin und träumte, als es
^ise an die Thür klopfte. Ohne aufzusehen, rief er: Herein! Als er aber die
sich nähernden Schritte vernahm, zuckte er zusammen. Therese war eingetreten.

trug einen Shawl um die Schultern und ein gestricktes Tuch um deu
^vos, das ihr feines Gesicht noch feiner und zarter erscheinen ließ, und hielt
com Korb in der Hand, den sie ans seinen Schreibtisch stellte.

Verzeihe, daß ich dich störe, sagte sie schüchtern, ich bin im Begriff ins
^wrf z,, geh^ und werde dich Wohl nicht mehr finden, wenn ich wiederkomme.
Ach möchte dir Lebewohl sagen. ^

Er ergriff ihre beiden Hände. Es ist vielleicht das letztemal, daß wir uns
leben, Therese, sagte er mit tiefem Ernste. Sie wich seinem Blicke ans.

Warum sollte es das letztemal sein? Du gehst allerdings weit fort und —

Und das ist dir lieb! Therese, Therese! was habe ich dir gethan?

Sie sah zu ihm auf. Du hast recht. Ich bin froh, daß du gehst, weil
ich weiß, daß du mich so ansehen kannst, wie du es jetzt thust, und weil ich
^iß, daß ich nicht die Kraft habe, diesen Blick auszuhalten. Ja, es muß das
letztemal sein, daß wir uns sehen, da wir nicht in Ruhe nebeneinander hergehen
können. Ich danke Gott und dir, Georg, daß wir mit gutem Gewissen aus¬
einander gehen. Ich werde an dich denken! Lebewohl!


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[0487] sie sogar besonders lebhaft und heiter. Er empfand wieder das böse, bittere Gefühl, das er so gern verbannt hätte. Es kam ihm so hart an, sich von der gewohnten Heimat zu trennen. Sie mußte es wissen, und dennoch lächelte sie! Cäcilie hatte für den nächsten Morgen Kümmelhörnchen gebacken und dabei den Kindern erzählt, es sei vormals Sitte gewesen, Verurteilten vor der Hin¬ richtung noch ein Mahl zu bereiten, das aus ihren Leibgerichten bestand. Das wurde ein Henkcrsmahl genannt, und so backe ich jetzt dem Onkel diese Hörnchen zum Heukersmahl. Sie durften dann essen, so viel sie wollten! meinte Valer; ich hätte mir Eierkuchen mit Kirschen ausgebeten. Aber Tante, sagte Mathilde, der Onkel wird ja doch nicht gehenkt! Valer riß die Augen ans. Wenn du doch nicht alles so wörtlich nehmen wolltest, du junges Schaf! Er ißt sich ja zum letztenmale satt. Die Sache ist bildlich, begreifst du das nicht? Julie schüttelte den Kopf, doch schwiegen die Schwestern vor des Bruders überlegner Weisheit. Die drei erwarteten natürlich an dem verhängnisvollen Morgen, den Onkel wunderbares in Vertilgung der Kümmelhörnchen leisten zu sehen, und waren enttäuscht, als dies keineswegs der Fall war. Georg war ungewöhnlich zer¬ streut und verließ das Frühstückszimmer bald, um noch die letzte Hand an ein dem Inspektor zu übergehendes Schriftstück zu legen. Die Arbeit war beendet. Georg sah vor sich hin und träumte, als es ^ise an die Thür klopfte. Ohne aufzusehen, rief er: Herein! Als er aber die sich nähernden Schritte vernahm, zuckte er zusammen. Therese war eingetreten. trug einen Shawl um die Schultern und ein gestricktes Tuch um deu ^vos, das ihr feines Gesicht noch feiner und zarter erscheinen ließ, und hielt com Korb in der Hand, den sie ans seinen Schreibtisch stellte. Verzeihe, daß ich dich störe, sagte sie schüchtern, ich bin im Begriff ins ^wrf z,, geh^ und werde dich Wohl nicht mehr finden, wenn ich wiederkomme. Ach möchte dir Lebewohl sagen. ^ Er ergriff ihre beiden Hände. Es ist vielleicht das letztemal, daß wir uns leben, Therese, sagte er mit tiefem Ernste. Sie wich seinem Blicke ans. Warum sollte es das letztemal sein? Du gehst allerdings weit fort und — Und das ist dir lieb! Therese, Therese! was habe ich dir gethan? Sie sah zu ihm auf. Du hast recht. Ich bin froh, daß du gehst, weil ich weiß, daß du mich so ansehen kannst, wie du es jetzt thust, und weil ich ^iß, daß ich nicht die Kraft habe, diesen Blick auszuhalten. Ja, es muß das letztemal sein, daß wir uns sehen, da wir nicht in Ruhe nebeneinander hergehen können. Ich danke Gott und dir, Georg, daß wir mit gutem Gewissen aus¬ einander gehen. Ich werde an dich denken! Lebewohl!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/487>, abgerufen am 03.07.2024.