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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Kaiserwahl vom Jahre ?5I^9 und Karls V. Anfänge.

Wieder; aber der Eindruck ist, als ob man einen zwölf- bis dreizehnjährigen Knaben
vor sich habe.*) Eine Zeit lang war auch sein Benehmen dementsprechend;
er hielt sich sehr zurück, und wenn man eine Entscheidung von ihm suchte, so
mußte man an seinen frühern Gouverneur gehen, den 1468 gebornen Wilhelm
von Croy, Herrn von Chi'evres.**) Dessen Einfluß mißfiel namentlich den Spa¬
niern, als Karl im Herbst 1516 sich nach der pyrenäischen Halbinsel begeben
hatte, um sich dort als König zu zeigen; er bewog den König, an die Stelle
des mit Undank belohnten und im Herzeleid gestorbenen Kardinals Ximenez seinen
erst zwanzig Jahre alten Neffen Wilhelm von Croy zum Erzbischof von Toledo
zu machen; man klagte bitterlich, daß Spanien den Niederländern zur Beute
werde, daß sie voll Ungerechtigkeit, Verwegenheit und Habsucht seien; dies empfand
ein Volk umso schwerer, dessen Adel nach den zeitgenössischen Berichten so stolz
war, daß er garnicht glaubte, anderswo gebe es noch einen Adel; "die Spa¬
nier, berichtet der Venetianer Comer, bilden sich ein, mehr zu wissen und zu
taugen als irgend eine andre Nation." Karl ließ trotzdem seine gewohnte
Umgebung gewähren; er verstand anfänglich gar kein Spanisch, er fühlte sich
in dem Lande fremd und unsicher; aber man geht doch wohl fehl, wenn man
annimmt, er habe in jener Zeit noch gar keinen selbständigen Charakter besessen.***)
Als der Wahlkampf gegen Franz I. begann, da zeigte Karl alsbald die größte
Entschiedenheit des Entschlusses, die größte Zähigkeit in der Verfolgung seines
Planes; wir haben gesehen, wie energisch er alle Versuche abwies, hier seine
Bahnen zu durchkreuzen; als er im Sommer 1520 aus Spanien nach den
Niederlanden zurückkehrte, um sich die Kaiserkrone zu holen, da nahmen alle mit
Staunen wahr, daß der, welcher vor vier Jahren als Jüngling von ihnen ge¬
gangen war, nun als Mann zurückgekommen seis); noch war seine Gesund¬
heit nicht ganz befestigt; aber er überwand doch rasch die Anfälle von Krank¬
heit, die sich zeigten.

So wenig Karl sich bei seiner ersten Anwesenheit in Spanien die Herzen
der Kastilianer gewonnen hatte, so traulich erschien er den Niederländern. Man
nannte ihn den ersten Bürger von Gent; man schmeichelte sich, daß der
Herr über so große Reiche, für den soeben wagehalsige Abenteurer die neu
entdeckte Welt eroberten, doch nur der Graf vou Flandern und der Herzog
von Brabant sei, daß die Hand, welche Europa zittern machte, sich wohl in
die Hand eines armen Flamländers legte; mit Freuden vernahm man manches
freundliche und scherzende Wort aus dem Munde des jungen Herrn. Für andre






^) Baumaarten S. 1VS,
Sepulveda II, 7: tüarotus ouvotÄ lsro oausilin ol, vownt^es (Zuilolllii L!<zvorü a,<1uü-
msti'sdu,t, xroxtor ins^n-un Kommis xrllclvwtism vt UAvltatis oxüüonom, gru kuornä u.
toueris ipsius oünvÄtor atano luoriun mnAistor,
Baumgarten S. 102 ff. vertritt diese Ansicht.
1') Schardius (dessen zweiter Band lauter Berichte aus der Zeit Karls V. enthält) II, S, Is.
Die Kaiserwahl vom Jahre ?5I^9 und Karls V. Anfänge.

Wieder; aber der Eindruck ist, als ob man einen zwölf- bis dreizehnjährigen Knaben
vor sich habe.*) Eine Zeit lang war auch sein Benehmen dementsprechend;
er hielt sich sehr zurück, und wenn man eine Entscheidung von ihm suchte, so
mußte man an seinen frühern Gouverneur gehen, den 1468 gebornen Wilhelm
von Croy, Herrn von Chi'evres.**) Dessen Einfluß mißfiel namentlich den Spa¬
niern, als Karl im Herbst 1516 sich nach der pyrenäischen Halbinsel begeben
hatte, um sich dort als König zu zeigen; er bewog den König, an die Stelle
des mit Undank belohnten und im Herzeleid gestorbenen Kardinals Ximenez seinen
erst zwanzig Jahre alten Neffen Wilhelm von Croy zum Erzbischof von Toledo
zu machen; man klagte bitterlich, daß Spanien den Niederländern zur Beute
werde, daß sie voll Ungerechtigkeit, Verwegenheit und Habsucht seien; dies empfand
ein Volk umso schwerer, dessen Adel nach den zeitgenössischen Berichten so stolz
war, daß er garnicht glaubte, anderswo gebe es noch einen Adel; „die Spa¬
nier, berichtet der Venetianer Comer, bilden sich ein, mehr zu wissen und zu
taugen als irgend eine andre Nation." Karl ließ trotzdem seine gewohnte
Umgebung gewähren; er verstand anfänglich gar kein Spanisch, er fühlte sich
in dem Lande fremd und unsicher; aber man geht doch wohl fehl, wenn man
annimmt, er habe in jener Zeit noch gar keinen selbständigen Charakter besessen.***)
Als der Wahlkampf gegen Franz I. begann, da zeigte Karl alsbald die größte
Entschiedenheit des Entschlusses, die größte Zähigkeit in der Verfolgung seines
Planes; wir haben gesehen, wie energisch er alle Versuche abwies, hier seine
Bahnen zu durchkreuzen; als er im Sommer 1520 aus Spanien nach den
Niederlanden zurückkehrte, um sich die Kaiserkrone zu holen, da nahmen alle mit
Staunen wahr, daß der, welcher vor vier Jahren als Jüngling von ihnen ge¬
gangen war, nun als Mann zurückgekommen seis); noch war seine Gesund¬
heit nicht ganz befestigt; aber er überwand doch rasch die Anfälle von Krank¬
heit, die sich zeigten.

So wenig Karl sich bei seiner ersten Anwesenheit in Spanien die Herzen
der Kastilianer gewonnen hatte, so traulich erschien er den Niederländern. Man
nannte ihn den ersten Bürger von Gent; man schmeichelte sich, daß der
Herr über so große Reiche, für den soeben wagehalsige Abenteurer die neu
entdeckte Welt eroberten, doch nur der Graf vou Flandern und der Herzog
von Brabant sei, daß die Hand, welche Europa zittern machte, sich wohl in
die Hand eines armen Flamländers legte; mit Freuden vernahm man manches
freundliche und scherzende Wort aus dem Munde des jungen Herrn. Für andre






^) Baumaarten S. 1VS,
Sepulveda II, 7: tüarotus ouvotÄ lsro oausilin ol, vownt^es (Zuilolllii L!<zvorü a,<1uü-
msti'sdu,t, xroxtor ins^n-un Kommis xrllclvwtism vt UAvltatis oxüüonom, gru kuornä u.
toueris ipsius oünvÄtor atano luoriun mnAistor,
Baumgarten S. 102 ff. vertritt diese Ansicht.
1') Schardius (dessen zweiter Band lauter Berichte aus der Zeit Karls V. enthält) II, S, Is.
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[0421] Die Kaiserwahl vom Jahre ?5I^9 und Karls V. Anfänge. Wieder; aber der Eindruck ist, als ob man einen zwölf- bis dreizehnjährigen Knaben vor sich habe.*) Eine Zeit lang war auch sein Benehmen dementsprechend; er hielt sich sehr zurück, und wenn man eine Entscheidung von ihm suchte, so mußte man an seinen frühern Gouverneur gehen, den 1468 gebornen Wilhelm von Croy, Herrn von Chi'evres.**) Dessen Einfluß mißfiel namentlich den Spa¬ niern, als Karl im Herbst 1516 sich nach der pyrenäischen Halbinsel begeben hatte, um sich dort als König zu zeigen; er bewog den König, an die Stelle des mit Undank belohnten und im Herzeleid gestorbenen Kardinals Ximenez seinen erst zwanzig Jahre alten Neffen Wilhelm von Croy zum Erzbischof von Toledo zu machen; man klagte bitterlich, daß Spanien den Niederländern zur Beute werde, daß sie voll Ungerechtigkeit, Verwegenheit und Habsucht seien; dies empfand ein Volk umso schwerer, dessen Adel nach den zeitgenössischen Berichten so stolz war, daß er garnicht glaubte, anderswo gebe es noch einen Adel; „die Spa¬ nier, berichtet der Venetianer Comer, bilden sich ein, mehr zu wissen und zu taugen als irgend eine andre Nation." Karl ließ trotzdem seine gewohnte Umgebung gewähren; er verstand anfänglich gar kein Spanisch, er fühlte sich in dem Lande fremd und unsicher; aber man geht doch wohl fehl, wenn man annimmt, er habe in jener Zeit noch gar keinen selbständigen Charakter besessen.***) Als der Wahlkampf gegen Franz I. begann, da zeigte Karl alsbald die größte Entschiedenheit des Entschlusses, die größte Zähigkeit in der Verfolgung seines Planes; wir haben gesehen, wie energisch er alle Versuche abwies, hier seine Bahnen zu durchkreuzen; als er im Sommer 1520 aus Spanien nach den Niederlanden zurückkehrte, um sich die Kaiserkrone zu holen, da nahmen alle mit Staunen wahr, daß der, welcher vor vier Jahren als Jüngling von ihnen ge¬ gangen war, nun als Mann zurückgekommen seis); noch war seine Gesund¬ heit nicht ganz befestigt; aber er überwand doch rasch die Anfälle von Krank¬ heit, die sich zeigten. So wenig Karl sich bei seiner ersten Anwesenheit in Spanien die Herzen der Kastilianer gewonnen hatte, so traulich erschien er den Niederländern. Man nannte ihn den ersten Bürger von Gent; man schmeichelte sich, daß der Herr über so große Reiche, für den soeben wagehalsige Abenteurer die neu entdeckte Welt eroberten, doch nur der Graf vou Flandern und der Herzog von Brabant sei, daß die Hand, welche Europa zittern machte, sich wohl in die Hand eines armen Flamländers legte; mit Freuden vernahm man manches freundliche und scherzende Wort aus dem Munde des jungen Herrn. Für andre ^) Baumaarten S. 1VS, Sepulveda II, 7: tüarotus ouvotÄ lsro oausilin ol, vownt^es (Zuilolllii L!<zvorü a,<1uü- msti'sdu,t, xroxtor ins^n-un Kommis xrllclvwtism vt UAvltatis oxüüonom, gru kuornä u. toueris ipsius oünvÄtor atano luoriun mnAistor, Baumgarten S. 102 ff. vertritt diese Ansicht. 1') Schardius (dessen zweiter Band lauter Berichte aus der Zeit Karls V. enthält) II, S, Is.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/421>, abgerufen am 22.07.2024.