Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Diese letzten Worte wurden von einem strafenden Blicke auf Therese be¬
gleitet, worauf Tante Cäcilie, begleitet von der Jugend, zur Thür hinausrauschte.

Du liebe, gute Tante! sagte Julie schmeichelnd. Die Bande war froh,
durch der Tante Machtspruch der weiteren Unterhaltung über die Unthaten des
Königs Asiyages überhoben zu sein. So befand man sich im besten Einvernehmen,
bis Mathilde auf den unglücklichen Gedanken kam, die Tante durch Anstimmen
des kürzlich vom Schmidt erlernten Liedes: "(^3, e^, geschmauset, laßt uns nicht
rappelköpfisch sein" zu erfreuen. Dies brachte einen Umschwung in die Stimmung
des gnädigen Fräulein, den zu schildern die Feder sich scheut.

Während sich solches abspielte, fand im Schulzimmer Konferenz statt, d. h.
Dr. Petri erzählte in fließender Rede das neueste und allerneueste aus Rummels-
hauseu und in den umliegenden Ortschaften. Der würdige Arzt war ein echter
Thüringer, gebürtig in einer der allerkleinsten Städte dieser Landschaft. Er
sprach ein recht leidliches Deutsch; wenn er aber auch hie und da von dem "Blätze,"
auf dem das Haus "geprcmnt" hatte, erzählte, so konnte das die Ohren seiner
Patienten nur heimatlich berühren. Im Hause Siebenhofen war er während
der zehn Jahre, die er nun schon in Rummelshansen residirte, fleißig ab- und
zugegangen. Man erfreute sich eines gegenseitigen Wohlwollens.

An diesem heitern Novembermvrgen kam aber Dr. Petri nicht der alten
Freundschaft wegen, sondern weil ein Briefchen des Hofmarschalls ihn zitirt
hatte. Die Konsultation, die indessen bei einem Glase guten Notweins und
heiteren Gesprächen höchst angenehm verlief, führte zu dem Ergebnis, daß des
Hofmarschalls Leiden als hartnäckiger Magenkatarrh bezeichnet wurde, gegen
welchen man energisch und ernstlich zu Felde ziehen müsse.

Als der schlanke Hofmarschall dem Arzte bis an das Gartcnpförtchen das
Geleite gab, suchte Georg seine Schwägerin auf, um ihr Bericht zu erstatten.




Sechstes Aapitel.

Die arme Therese! Sie hatte früh geheiratet, weder aus Neigung noch
auch äußerer Rücksichten halber. Ihr Vater, ein launenhafter und extravaganter
Edelmann, kümmerte sich wenig um die Erziehung seines Kindes. Nach dem
frühen Tode ihrer Mutter, der Schauspielerin, übernahm eine ältliche Cousine
ihres Vaters die Erziehung der Kleinen. Obwohl nun dies würdige Fräulein
selbst eine treue Nachfolgerin der heiligen Ursel war, lehrte sie ihrem sanften
Zögling, daß ein wohlgesittetes und braves Mädchen als Lohn ihres muster¬
haften Lebenswandels einen hübschen und braven Mann finden müsse. Therese
aber war in allen Dingen fügsam. Sie studirte Haushalt und Wissenschaften,
wie man es ihr vorschrieb, mit der äußersten Gewissenhaftigkeit, ohne indessen
jemals zu lernen, ihre Person zur Geltung zu bringen. Eine Frau muß vor


Grenzboten III. 1386. 43
Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Diese letzten Worte wurden von einem strafenden Blicke auf Therese be¬
gleitet, worauf Tante Cäcilie, begleitet von der Jugend, zur Thür hinausrauschte.

Du liebe, gute Tante! sagte Julie schmeichelnd. Die Bande war froh,
durch der Tante Machtspruch der weiteren Unterhaltung über die Unthaten des
Königs Asiyages überhoben zu sein. So befand man sich im besten Einvernehmen,
bis Mathilde auf den unglücklichen Gedanken kam, die Tante durch Anstimmen
des kürzlich vom Schmidt erlernten Liedes: „(^3, e^, geschmauset, laßt uns nicht
rappelköpfisch sein" zu erfreuen. Dies brachte einen Umschwung in die Stimmung
des gnädigen Fräulein, den zu schildern die Feder sich scheut.

Während sich solches abspielte, fand im Schulzimmer Konferenz statt, d. h.
Dr. Petri erzählte in fließender Rede das neueste und allerneueste aus Rummels-
hauseu und in den umliegenden Ortschaften. Der würdige Arzt war ein echter
Thüringer, gebürtig in einer der allerkleinsten Städte dieser Landschaft. Er
sprach ein recht leidliches Deutsch; wenn er aber auch hie und da von dem „Blätze,"
auf dem das Haus „geprcmnt" hatte, erzählte, so konnte das die Ohren seiner
Patienten nur heimatlich berühren. Im Hause Siebenhofen war er während
der zehn Jahre, die er nun schon in Rummelshansen residirte, fleißig ab- und
zugegangen. Man erfreute sich eines gegenseitigen Wohlwollens.

An diesem heitern Novembermvrgen kam aber Dr. Petri nicht der alten
Freundschaft wegen, sondern weil ein Briefchen des Hofmarschalls ihn zitirt
hatte. Die Konsultation, die indessen bei einem Glase guten Notweins und
heiteren Gesprächen höchst angenehm verlief, führte zu dem Ergebnis, daß des
Hofmarschalls Leiden als hartnäckiger Magenkatarrh bezeichnet wurde, gegen
welchen man energisch und ernstlich zu Felde ziehen müsse.

Als der schlanke Hofmarschall dem Arzte bis an das Gartcnpförtchen das
Geleite gab, suchte Georg seine Schwägerin auf, um ihr Bericht zu erstatten.




Sechstes Aapitel.

Die arme Therese! Sie hatte früh geheiratet, weder aus Neigung noch
auch äußerer Rücksichten halber. Ihr Vater, ein launenhafter und extravaganter
Edelmann, kümmerte sich wenig um die Erziehung seines Kindes. Nach dem
frühen Tode ihrer Mutter, der Schauspielerin, übernahm eine ältliche Cousine
ihres Vaters die Erziehung der Kleinen. Obwohl nun dies würdige Fräulein
selbst eine treue Nachfolgerin der heiligen Ursel war, lehrte sie ihrem sanften
Zögling, daß ein wohlgesittetes und braves Mädchen als Lohn ihres muster¬
haften Lebenswandels einen hübschen und braven Mann finden müsse. Therese
aber war in allen Dingen fügsam. Sie studirte Haushalt und Wissenschaften,
wie man es ihr vorschrieb, mit der äußersten Gewissenhaftigkeit, ohne indessen
jemals zu lernen, ihre Person zur Geltung zu bringen. Eine Frau muß vor


Grenzboten III. 1386. 43
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199105"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus der Chronik derer von Riffelshausen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1149"> Diese letzten Worte wurden von einem strafenden Blicke auf Therese be¬<lb/>
gleitet, worauf Tante Cäcilie, begleitet von der Jugend, zur Thür hinausrauschte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1150"> Du liebe, gute Tante! sagte Julie schmeichelnd. Die Bande war froh,<lb/>
durch der Tante Machtspruch der weiteren Unterhaltung über die Unthaten des<lb/>
Königs Asiyages überhoben zu sein. So befand man sich im besten Einvernehmen,<lb/>
bis Mathilde auf den unglücklichen Gedanken kam, die Tante durch Anstimmen<lb/>
des kürzlich vom Schmidt erlernten Liedes: &#x201E;(^3, e^, geschmauset, laßt uns nicht<lb/>
rappelköpfisch sein" zu erfreuen. Dies brachte einen Umschwung in die Stimmung<lb/>
des gnädigen Fräulein, den zu schildern die Feder sich scheut.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1151"> Während sich solches abspielte, fand im Schulzimmer Konferenz statt, d. h.<lb/>
Dr. Petri erzählte in fließender Rede das neueste und allerneueste aus Rummels-<lb/>
hauseu und in den umliegenden Ortschaften. Der würdige Arzt war ein echter<lb/>
Thüringer, gebürtig in einer der allerkleinsten Städte dieser Landschaft. Er<lb/>
sprach ein recht leidliches Deutsch; wenn er aber auch hie und da von dem &#x201E;Blätze,"<lb/>
auf dem das Haus &#x201E;geprcmnt" hatte, erzählte, so konnte das die Ohren seiner<lb/>
Patienten nur heimatlich berühren. Im Hause Siebenhofen war er während<lb/>
der zehn Jahre, die er nun schon in Rummelshansen residirte, fleißig ab- und<lb/>
zugegangen.  Man erfreute sich eines gegenseitigen Wohlwollens.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1152"> An diesem heitern Novembermvrgen kam aber Dr. Petri nicht der alten<lb/>
Freundschaft wegen, sondern weil ein Briefchen des Hofmarschalls ihn zitirt<lb/>
hatte. Die Konsultation, die indessen bei einem Glase guten Notweins und<lb/>
heiteren Gesprächen höchst angenehm verlief, führte zu dem Ergebnis, daß des<lb/>
Hofmarschalls Leiden als hartnäckiger Magenkatarrh bezeichnet wurde, gegen<lb/>
welchen man energisch und ernstlich zu Felde ziehen müsse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1153"> Als der schlanke Hofmarschall dem Arzte bis an das Gartcnpförtchen das<lb/>
Geleite gab, suchte Georg seine Schwägerin auf, um ihr Bericht zu erstatten.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Sechstes Aapitel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1154" next="#ID_1155"> Die arme Therese! Sie hatte früh geheiratet, weder aus Neigung noch<lb/>
auch äußerer Rücksichten halber. Ihr Vater, ein launenhafter und extravaganter<lb/>
Edelmann, kümmerte sich wenig um die Erziehung seines Kindes. Nach dem<lb/>
frühen Tode ihrer Mutter, der Schauspielerin, übernahm eine ältliche Cousine<lb/>
ihres Vaters die Erziehung der Kleinen. Obwohl nun dies würdige Fräulein<lb/>
selbst eine treue Nachfolgerin der heiligen Ursel war, lehrte sie ihrem sanften<lb/>
Zögling, daß ein wohlgesittetes und braves Mädchen als Lohn ihres muster¬<lb/>
haften Lebenswandels einen hübschen und braven Mann finden müsse. Therese<lb/>
aber war in allen Dingen fügsam. Sie studirte Haushalt und Wissenschaften,<lb/>
wie man es ihr vorschrieb, mit der äußersten Gewissenhaftigkeit, ohne indessen<lb/>
jemals zu lernen, ihre Person zur Geltung zu bringen. Eine Frau muß vor</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1386. 43</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Diese letzten Worte wurden von einem strafenden Blicke auf Therese be¬ gleitet, worauf Tante Cäcilie, begleitet von der Jugend, zur Thür hinausrauschte. Du liebe, gute Tante! sagte Julie schmeichelnd. Die Bande war froh, durch der Tante Machtspruch der weiteren Unterhaltung über die Unthaten des Königs Asiyages überhoben zu sein. So befand man sich im besten Einvernehmen, bis Mathilde auf den unglücklichen Gedanken kam, die Tante durch Anstimmen des kürzlich vom Schmidt erlernten Liedes: „(^3, e^, geschmauset, laßt uns nicht rappelköpfisch sein" zu erfreuen. Dies brachte einen Umschwung in die Stimmung des gnädigen Fräulein, den zu schildern die Feder sich scheut. Während sich solches abspielte, fand im Schulzimmer Konferenz statt, d. h. Dr. Petri erzählte in fließender Rede das neueste und allerneueste aus Rummels- hauseu und in den umliegenden Ortschaften. Der würdige Arzt war ein echter Thüringer, gebürtig in einer der allerkleinsten Städte dieser Landschaft. Er sprach ein recht leidliches Deutsch; wenn er aber auch hie und da von dem „Blätze," auf dem das Haus „geprcmnt" hatte, erzählte, so konnte das die Ohren seiner Patienten nur heimatlich berühren. Im Hause Siebenhofen war er während der zehn Jahre, die er nun schon in Rummelshansen residirte, fleißig ab- und zugegangen. Man erfreute sich eines gegenseitigen Wohlwollens. An diesem heitern Novembermvrgen kam aber Dr. Petri nicht der alten Freundschaft wegen, sondern weil ein Briefchen des Hofmarschalls ihn zitirt hatte. Die Konsultation, die indessen bei einem Glase guten Notweins und heiteren Gesprächen höchst angenehm verlief, führte zu dem Ergebnis, daß des Hofmarschalls Leiden als hartnäckiger Magenkatarrh bezeichnet wurde, gegen welchen man energisch und ernstlich zu Felde ziehen müsse. Als der schlanke Hofmarschall dem Arzte bis an das Gartcnpförtchen das Geleite gab, suchte Georg seine Schwägerin auf, um ihr Bericht zu erstatten. Sechstes Aapitel. Die arme Therese! Sie hatte früh geheiratet, weder aus Neigung noch auch äußerer Rücksichten halber. Ihr Vater, ein launenhafter und extravaganter Edelmann, kümmerte sich wenig um die Erziehung seines Kindes. Nach dem frühen Tode ihrer Mutter, der Schauspielerin, übernahm eine ältliche Cousine ihres Vaters die Erziehung der Kleinen. Obwohl nun dies würdige Fräulein selbst eine treue Nachfolgerin der heiligen Ursel war, lehrte sie ihrem sanften Zögling, daß ein wohlgesittetes und braves Mädchen als Lohn ihres muster¬ haften Lebenswandels einen hübschen und braven Mann finden müsse. Therese aber war in allen Dingen fügsam. Sie studirte Haushalt und Wissenschaften, wie man es ihr vorschrieb, mit der äußersten Gewissenhaftigkeit, ohne indessen jemals zu lernen, ihre Person zur Geltung zu bringen. Eine Frau muß vor Grenzboten III. 1386. 43

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/385>, abgerufen am 03.07.2024.