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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

allen Dingen gehorchen, pflegte Tante Leontine zu predigen, erst den Eltern,
dann dem Manne.

Sie war achtzehn Jahre alt, als der elegante und allgemein bewunderte
Hofmarschall von Niffelshauscn um sie anhielt. Was den Gefeierten gerade
zu der stillen Tochter des wilden Grafen P. zog, konnten die Wenigsten be¬
greifen. Der Freier hätte aber weit weniger anziehend sein können, dem be¬
scheidnen Mädchen wäre nie im entferntesten der Gedanke gekommen, das An¬
erbieten eines rechtschaffenen Mannes auszuschlagen.

Die Riffelshausen sind eine hochnäsige Gesellschaft von Dickköpfen! hatte
der alte P. beim Verlobungsdiner seiner Tochter geäußert. Er war etwas
angeheitert und hatte nicht bemerkt, daß es der Schwiegersohn selbst war, dem
er diese Mitteilung machte. Der wandte ihm verächtlich den Rücken.

Therese heiratete und machte den Gatten zu ihrem unumschränkten Gebieter,
in welche Stellung sich Bvhemund Niffelshausen mit viel Geschick zu finden
wußte. Sie aber richtete still und rücksichtsvoll ihr ganzes Leben nach seinen
Wünschen ein. Welche Anforderungen immer seine Laune oder Pedanterie um
sie stellen mochte, die Frau kannte kein andres Verlangen, als diesen An¬
forderungen zu genügen. So empfand sie nichts von Unbefriedigung. Sehn¬
sucht nach irgend einem romanhaften Glück hatte sie nie gekannt.

In Siebenhofcn zum erstenmale kam ein Gefühl von Unbehagen über sie,
keinen merklich, wie der Schatten, den die einzelne Wolke wirft. Zum ersten
male, seit sie den Schwager Georg kennen gelernt hatte, empfand sie, wie wohl¬
thuend ein rücksichtsvolles Wesen wirken konnte, oder ein Blick, der ermutigend
dem ihren begegnete, wenn sie gedrückt war. Erst seit sie solche Vorzüge kannte,
fing sie an, gegen den Mangel derselben empfindlich zu werden.

Therese sah ihren Schwager verhältnismäßig wenig, aber wenn die Familie
versammelt war, fühlte sie seinen beobachtenden Blick, sie mochte ihn sehen oder
nicht. Sie wußte mir zu wohl, welche Vorurteile gegen sie bei den Verwandten
herrschten, und bewegte sich darum hier unter einem beständigen Drucke. Dies
beständige stille Um-Vergebung-bitten verlieh ihren schönen Augen einen Aus¬
druck von Ergebung und Demut, der ihr Cäeiliens mitleidige Verachtung ein¬
trug, Georg dagegen sand, als er ihr jetzt gegenüber saß, daß er so schöne
Angen noch nie gesehen hätte.

Therese hätte dem Schwager mit warmen Worten ihren Dank aussprechen
mögen, aber sie war zu befangen. Sie dachte daran, daß die Kinder den Onkel
beständig im Munde führten, und daß sie zu jeder Stunde in sein Zimmer
dringen und seine Arbeit unterbrechen durften. Daun zeigte er ihnen Bilder
oder erzählte Geschichten. Er war auch so besonders freundlich zu dem hä߬
lichen Valer, ihrem Liebling.

Du bist so geduldig mit den Kindern, sagte sie endlich, ihren ganzen Mut
zusammenraffend, weil er gar so lange schwieg.


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

allen Dingen gehorchen, pflegte Tante Leontine zu predigen, erst den Eltern,
dann dem Manne.

Sie war achtzehn Jahre alt, als der elegante und allgemein bewunderte
Hofmarschall von Niffelshauscn um sie anhielt. Was den Gefeierten gerade
zu der stillen Tochter des wilden Grafen P. zog, konnten die Wenigsten be¬
greifen. Der Freier hätte aber weit weniger anziehend sein können, dem be¬
scheidnen Mädchen wäre nie im entferntesten der Gedanke gekommen, das An¬
erbieten eines rechtschaffenen Mannes auszuschlagen.

Die Riffelshausen sind eine hochnäsige Gesellschaft von Dickköpfen! hatte
der alte P. beim Verlobungsdiner seiner Tochter geäußert. Er war etwas
angeheitert und hatte nicht bemerkt, daß es der Schwiegersohn selbst war, dem
er diese Mitteilung machte. Der wandte ihm verächtlich den Rücken.

Therese heiratete und machte den Gatten zu ihrem unumschränkten Gebieter,
in welche Stellung sich Bvhemund Niffelshausen mit viel Geschick zu finden
wußte. Sie aber richtete still und rücksichtsvoll ihr ganzes Leben nach seinen
Wünschen ein. Welche Anforderungen immer seine Laune oder Pedanterie um
sie stellen mochte, die Frau kannte kein andres Verlangen, als diesen An¬
forderungen zu genügen. So empfand sie nichts von Unbefriedigung. Sehn¬
sucht nach irgend einem romanhaften Glück hatte sie nie gekannt.

In Siebenhofcn zum erstenmale kam ein Gefühl von Unbehagen über sie,
keinen merklich, wie der Schatten, den die einzelne Wolke wirft. Zum ersten
male, seit sie den Schwager Georg kennen gelernt hatte, empfand sie, wie wohl¬
thuend ein rücksichtsvolles Wesen wirken konnte, oder ein Blick, der ermutigend
dem ihren begegnete, wenn sie gedrückt war. Erst seit sie solche Vorzüge kannte,
fing sie an, gegen den Mangel derselben empfindlich zu werden.

Therese sah ihren Schwager verhältnismäßig wenig, aber wenn die Familie
versammelt war, fühlte sie seinen beobachtenden Blick, sie mochte ihn sehen oder
nicht. Sie wußte mir zu wohl, welche Vorurteile gegen sie bei den Verwandten
herrschten, und bewegte sich darum hier unter einem beständigen Drucke. Dies
beständige stille Um-Vergebung-bitten verlieh ihren schönen Augen einen Aus¬
druck von Ergebung und Demut, der ihr Cäeiliens mitleidige Verachtung ein¬
trug, Georg dagegen sand, als er ihr jetzt gegenüber saß, daß er so schöne
Angen noch nie gesehen hätte.

Therese hätte dem Schwager mit warmen Worten ihren Dank aussprechen
mögen, aber sie war zu befangen. Sie dachte daran, daß die Kinder den Onkel
beständig im Munde führten, und daß sie zu jeder Stunde in sein Zimmer
dringen und seine Arbeit unterbrechen durften. Daun zeigte er ihnen Bilder
oder erzählte Geschichten. Er war auch so besonders freundlich zu dem hä߬
lichen Valer, ihrem Liebling.

Du bist so geduldig mit den Kindern, sagte sie endlich, ihren ganzen Mut
zusammenraffend, weil er gar so lange schwieg.


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[0386] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. allen Dingen gehorchen, pflegte Tante Leontine zu predigen, erst den Eltern, dann dem Manne. Sie war achtzehn Jahre alt, als der elegante und allgemein bewunderte Hofmarschall von Niffelshauscn um sie anhielt. Was den Gefeierten gerade zu der stillen Tochter des wilden Grafen P. zog, konnten die Wenigsten be¬ greifen. Der Freier hätte aber weit weniger anziehend sein können, dem be¬ scheidnen Mädchen wäre nie im entferntesten der Gedanke gekommen, das An¬ erbieten eines rechtschaffenen Mannes auszuschlagen. Die Riffelshausen sind eine hochnäsige Gesellschaft von Dickköpfen! hatte der alte P. beim Verlobungsdiner seiner Tochter geäußert. Er war etwas angeheitert und hatte nicht bemerkt, daß es der Schwiegersohn selbst war, dem er diese Mitteilung machte. Der wandte ihm verächtlich den Rücken. Therese heiratete und machte den Gatten zu ihrem unumschränkten Gebieter, in welche Stellung sich Bvhemund Niffelshausen mit viel Geschick zu finden wußte. Sie aber richtete still und rücksichtsvoll ihr ganzes Leben nach seinen Wünschen ein. Welche Anforderungen immer seine Laune oder Pedanterie um sie stellen mochte, die Frau kannte kein andres Verlangen, als diesen An¬ forderungen zu genügen. So empfand sie nichts von Unbefriedigung. Sehn¬ sucht nach irgend einem romanhaften Glück hatte sie nie gekannt. In Siebenhofcn zum erstenmale kam ein Gefühl von Unbehagen über sie, keinen merklich, wie der Schatten, den die einzelne Wolke wirft. Zum ersten male, seit sie den Schwager Georg kennen gelernt hatte, empfand sie, wie wohl¬ thuend ein rücksichtsvolles Wesen wirken konnte, oder ein Blick, der ermutigend dem ihren begegnete, wenn sie gedrückt war. Erst seit sie solche Vorzüge kannte, fing sie an, gegen den Mangel derselben empfindlich zu werden. Therese sah ihren Schwager verhältnismäßig wenig, aber wenn die Familie versammelt war, fühlte sie seinen beobachtenden Blick, sie mochte ihn sehen oder nicht. Sie wußte mir zu wohl, welche Vorurteile gegen sie bei den Verwandten herrschten, und bewegte sich darum hier unter einem beständigen Drucke. Dies beständige stille Um-Vergebung-bitten verlieh ihren schönen Augen einen Aus¬ druck von Ergebung und Demut, der ihr Cäeiliens mitleidige Verachtung ein¬ trug, Georg dagegen sand, als er ihr jetzt gegenüber saß, daß er so schöne Angen noch nie gesehen hätte. Therese hätte dem Schwager mit warmen Worten ihren Dank aussprechen mögen, aber sie war zu befangen. Sie dachte daran, daß die Kinder den Onkel beständig im Munde führten, und daß sie zu jeder Stunde in sein Zimmer dringen und seine Arbeit unterbrechen durften. Daun zeigte er ihnen Bilder oder erzählte Geschichten. Er war auch so besonders freundlich zu dem hä߬ lichen Valer, ihrem Liebling. Du bist so geduldig mit den Kindern, sagte sie endlich, ihren ganzen Mut zusammenraffend, weil er gar so lange schwieg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/386>, abgerufen am 22.07.2024.