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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regierung in Rußland.

der Chauvinistenpresse aber mit der Glorie eines nationalen Helden bestrahlt und
so lange gefeiert wurde, bis dieser Lichtschein im Sumpfe eines Bordells erlosch.

Hatte der russische Chauvinismus nach dieser Seite hin schließlich nur
negative Erfolge, so verhielt es sich auf dem Gebiete der innern Politik anders.
Hier gelangten unter dem neuen Zaren die Verbündeten Propheten des "russischen
Staatsgedankens," der "byzantinisch-slawischen Idee" und des Geistes der or¬
thodoxen Kirche mit ihrem Haß gegen jeden wirklichen, jeden lebendigen,
schaffenden Geist zu großem Einflüsse. Es gelang den Herren Katkoff und
Pobedonoszeff, das "Selbstherrlichkeitsmanifest" vom 11. November 1881 zu
erwirken, dessen Geist sich alsbald in dem Bestreben offenbarte, das Reich von
den Einwirkungen der westlichen Kultur möglichst zu säubern und alle selbständigen
Bildungen in demselben zu unterdrücken -- einem Bestreben, das sich namentlich
gegen Finnland und die baltischen Lande richtete und deren Nussifizirnng in
politischer und kirchlicher Beziehung mit einer bisher unerhörten Rücksichts¬
losigkeit in Angriff nahm. Wir meinen die "Revision" des Senators Mauasseiu
von 1882 und was ihr seitdem gefolgt ist. Mit der Kurzsichtigkeit des Doktrinärs
bedachte man nicht, daß dieses Vorgehen nicht bloß unnötig, sondern für das
Reich schädlich sei. Die betreffenden Provinzen waren durchaus nicht mit unsern
polnischen Provinzen in Parallele zu stellen, sie dachten nicht entfernt reichsfeindlich,
sondern waren stets loyal gewesen, sie bildeten in ihrer Eigentümlichkeit Edelsteine
in der Krone, die ihr mehr Glanz verliehen als die übrigen größern, aber halb
oder ganz ungeschliffenen, halb oder ganz unedeln, sie hatten dem Staate seine
besten Staatsmänner, Generale und Diplomaten geliefert, und diese Quelle von
Größe und moralischer Kraft sollte jetzt verschüttet und mit dem öden Saude
der "großrussischen Idee" der übrigen Kultnrsteppe gleich gemacht werden, und
zwar zu keinem andern Zwecke als dem, ihr gleich zu sein. In der That, es
hieß das, sich selbst verstümmeln und schwächen.

Kehren wir auf das Gebiet der auswärtigen Politik zurück, so setzten die
russischen Chauvinisten ihre Wühlereien unter den österreichische"! Slawen und
ihre Hetzereien gegen die Negierung in Wien mit einigen Unterbrechungen un¬
gehindert bis heute fort, und ebenso kvkettirten sie mit den Franzosen bis in
die letzte Zeit weiter, wobei wieder zuweilen aus obern Kreisen und vonseiten
höherer Militärs mitdemonstrirt wurde. Diese Regsamkeit wurde umso intensiver,
je mehr die Aussichten der Partei unter den südlichen Slawen sich trübten,
und je mehr das österreichisch-deutsche Bündnis sich als fest bewährte und durch
Anschluß andrer Staaten die Gestalt und Macht einer europäischen Friedcns-
liga annehmen zu wollen schien. Die russische Agitation in Österreich-Ungarn
erreichte 1882 ihren Höhepunkt und hatte ihr Zentrum im Wiener Botschafts-
hotel, wo ihre Fäden von den Händen des orthodoxen Kaplcms derselben dirigirt
wurden. Als man in Petersburg erkannte, daß es in dieser Weise nicht weiter
gehen konnte, ohne ernste Gefahren hervorzurufen, hörte die Duldung und


Chauvinisten und Regierung in Rußland.

der Chauvinistenpresse aber mit der Glorie eines nationalen Helden bestrahlt und
so lange gefeiert wurde, bis dieser Lichtschein im Sumpfe eines Bordells erlosch.

Hatte der russische Chauvinismus nach dieser Seite hin schließlich nur
negative Erfolge, so verhielt es sich auf dem Gebiete der innern Politik anders.
Hier gelangten unter dem neuen Zaren die Verbündeten Propheten des „russischen
Staatsgedankens," der „byzantinisch-slawischen Idee" und des Geistes der or¬
thodoxen Kirche mit ihrem Haß gegen jeden wirklichen, jeden lebendigen,
schaffenden Geist zu großem Einflüsse. Es gelang den Herren Katkoff und
Pobedonoszeff, das „Selbstherrlichkeitsmanifest" vom 11. November 1881 zu
erwirken, dessen Geist sich alsbald in dem Bestreben offenbarte, das Reich von
den Einwirkungen der westlichen Kultur möglichst zu säubern und alle selbständigen
Bildungen in demselben zu unterdrücken — einem Bestreben, das sich namentlich
gegen Finnland und die baltischen Lande richtete und deren Nussifizirnng in
politischer und kirchlicher Beziehung mit einer bisher unerhörten Rücksichts¬
losigkeit in Angriff nahm. Wir meinen die „Revision" des Senators Mauasseiu
von 1882 und was ihr seitdem gefolgt ist. Mit der Kurzsichtigkeit des Doktrinärs
bedachte man nicht, daß dieses Vorgehen nicht bloß unnötig, sondern für das
Reich schädlich sei. Die betreffenden Provinzen waren durchaus nicht mit unsern
polnischen Provinzen in Parallele zu stellen, sie dachten nicht entfernt reichsfeindlich,
sondern waren stets loyal gewesen, sie bildeten in ihrer Eigentümlichkeit Edelsteine
in der Krone, die ihr mehr Glanz verliehen als die übrigen größern, aber halb
oder ganz ungeschliffenen, halb oder ganz unedeln, sie hatten dem Staate seine
besten Staatsmänner, Generale und Diplomaten geliefert, und diese Quelle von
Größe und moralischer Kraft sollte jetzt verschüttet und mit dem öden Saude
der „großrussischen Idee" der übrigen Kultnrsteppe gleich gemacht werden, und
zwar zu keinem andern Zwecke als dem, ihr gleich zu sein. In der That, es
hieß das, sich selbst verstümmeln und schwächen.

Kehren wir auf das Gebiet der auswärtigen Politik zurück, so setzten die
russischen Chauvinisten ihre Wühlereien unter den österreichische«! Slawen und
ihre Hetzereien gegen die Negierung in Wien mit einigen Unterbrechungen un¬
gehindert bis heute fort, und ebenso kvkettirten sie mit den Franzosen bis in
die letzte Zeit weiter, wobei wieder zuweilen aus obern Kreisen und vonseiten
höherer Militärs mitdemonstrirt wurde. Diese Regsamkeit wurde umso intensiver,
je mehr die Aussichten der Partei unter den südlichen Slawen sich trübten,
und je mehr das österreichisch-deutsche Bündnis sich als fest bewährte und durch
Anschluß andrer Staaten die Gestalt und Macht einer europäischen Friedcns-
liga annehmen zu wollen schien. Die russische Agitation in Österreich-Ungarn
erreichte 1882 ihren Höhepunkt und hatte ihr Zentrum im Wiener Botschafts-
hotel, wo ihre Fäden von den Händen des orthodoxen Kaplcms derselben dirigirt
wurden. Als man in Petersburg erkannte, daß es in dieser Weise nicht weiter
gehen konnte, ohne ernste Gefahren hervorzurufen, hörte die Duldung und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/348>, abgerufen am 03.07.2024.