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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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einzugehen. Das Bündnis kam am 15. Oktober 1879 zustande und entsprach
seinem Zwecke vollkommen bis auf die letzten Tage. Die friedliche Gesinnung
aber, die der Zar durch die Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser in
Alexaudrowo an den Tag gelegt hatte, wurde von den russischen Unzufriedenen
damit praktisch gemißbilligt, daß sie ihm durch zwei Attentate zeigten, wie sehr
er damit ihren Bestrebungen im Wege war. Am 1. Dezember 1879 versuchten
sie ihn auf der Moskaner Eisenbahn, am 17. Februar des nächsten Jahres
im Petersburger Winterpalais in die Luft zu sprengen. Die chauvinistischen
Blätter hetzten dazwischen weiter gegen die westlichen Nachbarstaaten und redeten
weiter einem russisch-französischen Bündnisse gegen dieselben das Wort, und die
Freunde und Gönner, welche die Partei in den Regiernngssphären zählte,
fuhren ebenfalls fort, mit den Franzosen zu liebäugeln. Der Zar hielt an
seinen Absichten, die ihm ebensosehr von Gefühlen als von verständiger Be¬
trachtung der Verhältnisse eingegeben waren, fest, aber am 13. März 1881
erlag er den Dynamitbomben nihilistischer Mörder.

Der Nachfolger Alexanders II. war ein wesentlich andrer Charakter als
er und wesentlich andern Einflüssen offen und zugewandt, die ihn aber in
Betreff der auswärtigen Angelegenheiten bisher nicht in andre Bahnen zu
drängen vermochten als die, welche sein Vater im großen und ganzen verfolgt
hatte. Sein Minister für diese Angelegenheiten gab, verständiger Erwägung
folgend und das wahre Interesse Rußlands in Anbahnung und Erhaltung guter
Beziehungen zu den nächsten westlichen Nachbarstaaten erblickend, weit bessere
Bürgschaften für die Erhaltung des Friedens als Gortschakoff. Aber die Nebcn-
Pvlitik der Chauvinisten und die Unterstützung oder Duldung derselben bonscitcu
hochstehender Beamten nahm gleichermaßen ihren Fortgang, und die Nihilisten
sekundirten gelegentlich weiter mit Attentaten. Im Herbst 1881 war das
Kriegsgeschrei in der russischen Presse, die doch vom Ministerium des Innern
unbedingt abhängig ist, so heftig geworden, auch hatte die Leitung des Heeres
eine so bedenkliche Haltung angenommen, daß Zar Alexander III. es für dringend
geboten hielt, dem in Berlin erweckten Mißtrauen seinerseits mit einer friedlichen
Kundgebung zu begegnen. Es erfolgte die Zusnmmcnlunst der beiden Kaiser in
Danzig, der auch Bismarck beiwohnte und die beide Teile befriedigte, die
Chauvinisten vom rechten und linken Flügel aber selbstverständlich ebenso mit
Mißbehagen erfüllte wie früher die Kaiscrbegegnnng in Alexandrowo. Am
23. November 1881 machten die Nihilisten ihrer Unzufriedenheit durch ein
Attentat auf den General Tscherewin, den Chef der kaiserlichen Sicherheitswache,
Luft. Später gab ein Besuch der Madame Adam, einer Vertrauten Gambettas,
den chauvinistischen Führern Jgnatieff und Aksakoff Gelegenheit, durch Aus¬
zeichnungen, die sie der Dame erwiesen, Sympathien für Frankreich und Anti¬
pathien gegen Deutschland an den Tag zu legen. Endlich ist an die Reden
Slvbcleffs zu erinnern, der darüber vom Kaiser einen strengen Verweis erhielt, von


einzugehen. Das Bündnis kam am 15. Oktober 1879 zustande und entsprach
seinem Zwecke vollkommen bis auf die letzten Tage. Die friedliche Gesinnung
aber, die der Zar durch die Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser in
Alexaudrowo an den Tag gelegt hatte, wurde von den russischen Unzufriedenen
damit praktisch gemißbilligt, daß sie ihm durch zwei Attentate zeigten, wie sehr
er damit ihren Bestrebungen im Wege war. Am 1. Dezember 1879 versuchten
sie ihn auf der Moskaner Eisenbahn, am 17. Februar des nächsten Jahres
im Petersburger Winterpalais in die Luft zu sprengen. Die chauvinistischen
Blätter hetzten dazwischen weiter gegen die westlichen Nachbarstaaten und redeten
weiter einem russisch-französischen Bündnisse gegen dieselben das Wort, und die
Freunde und Gönner, welche die Partei in den Regiernngssphären zählte,
fuhren ebenfalls fort, mit den Franzosen zu liebäugeln. Der Zar hielt an
seinen Absichten, die ihm ebensosehr von Gefühlen als von verständiger Be¬
trachtung der Verhältnisse eingegeben waren, fest, aber am 13. März 1881
erlag er den Dynamitbomben nihilistischer Mörder.

Der Nachfolger Alexanders II. war ein wesentlich andrer Charakter als
er und wesentlich andern Einflüssen offen und zugewandt, die ihn aber in
Betreff der auswärtigen Angelegenheiten bisher nicht in andre Bahnen zu
drängen vermochten als die, welche sein Vater im großen und ganzen verfolgt
hatte. Sein Minister für diese Angelegenheiten gab, verständiger Erwägung
folgend und das wahre Interesse Rußlands in Anbahnung und Erhaltung guter
Beziehungen zu den nächsten westlichen Nachbarstaaten erblickend, weit bessere
Bürgschaften für die Erhaltung des Friedens als Gortschakoff. Aber die Nebcn-
Pvlitik der Chauvinisten und die Unterstützung oder Duldung derselben bonscitcu
hochstehender Beamten nahm gleichermaßen ihren Fortgang, und die Nihilisten
sekundirten gelegentlich weiter mit Attentaten. Im Herbst 1881 war das
Kriegsgeschrei in der russischen Presse, die doch vom Ministerium des Innern
unbedingt abhängig ist, so heftig geworden, auch hatte die Leitung des Heeres
eine so bedenkliche Haltung angenommen, daß Zar Alexander III. es für dringend
geboten hielt, dem in Berlin erweckten Mißtrauen seinerseits mit einer friedlichen
Kundgebung zu begegnen. Es erfolgte die Zusnmmcnlunst der beiden Kaiser in
Danzig, der auch Bismarck beiwohnte und die beide Teile befriedigte, die
Chauvinisten vom rechten und linken Flügel aber selbstverständlich ebenso mit
Mißbehagen erfüllte wie früher die Kaiscrbegegnnng in Alexandrowo. Am
23. November 1881 machten die Nihilisten ihrer Unzufriedenheit durch ein
Attentat auf den General Tscherewin, den Chef der kaiserlichen Sicherheitswache,
Luft. Später gab ein Besuch der Madame Adam, einer Vertrauten Gambettas,
den chauvinistischen Führern Jgnatieff und Aksakoff Gelegenheit, durch Aus¬
zeichnungen, die sie der Dame erwiesen, Sympathien für Frankreich und Anti¬
pathien gegen Deutschland an den Tag zu legen. Endlich ist an die Reden
Slvbcleffs zu erinnern, der darüber vom Kaiser einen strengen Verweis erhielt, von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/347>, abgerufen am 03.07.2024.