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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Björnstjerno Björnsoii,

Sommer in Tirol niedergeschrieben hat, die er uns in seiner trotz des Kampfes
mit der fremden deutschen Sprache hinreißenden Vortragsweise in extenso vor¬
gespielt, er selbst ein ganzes Theater, ebenso wie der Roman "Thomas Nen-
dalen," den er jetzt veröffentlicht hat und der uns schon in deutscher Über¬
setzung vorliegt (Berlin, Stille, 1886), sind die Zeugnisse seiner neuen Geistes-
richtung.

In diesem Romane findet sich (S. 320) eine Stelle, die seine Meinung
klarer ausspricht, als es ein andrer vermochte, und darum sei sie hier zitirt.
"Nervenschwache und namentlich hysterische Naturen könnten durch gewisse
mechanische Einwirkungen in hypnotisch-magnetisch-somnambule Zustände versetzt
werden. Ein solcher Zustand sei bewußte Ohnmacht; in dieser Ohnmacht thäten
wir, was derjenige wünschte, welcher uns in denselben j^so der Übersetzer; soll
heißen: in dieselbe^ versetzt habe. Wir würden sein Opfer, sein Werkzeug. Und
zwar nicht bloß, während wir schliefen, auch später, wenn wir wieder er¬
wacht wären, leisteten wir unbedingt den Befehlen Folge, die wir erhalten,
während wir uns in jenem Zustande Hefanden. ... In diesem Zustande könnten
die Vorstellungen des Einzelnen sich mit den Gedanken eines andern, sowohl
eines Anwesenden wie eines Abwesenden, begegnen. (!) Manche könnten sogar
vorahnen. Diese Thatsache lasse sich nicht mehr leugnen; aber erklärt könne
sie nicht werden. Früher nahm man an, diese Fähigkeit sei vom Glauben ab¬
hängig; jetzt wisse man, daß sie mit dem Glauben nichts zu thun habe. ..."

Dieser letzte Satz enthält das Thema jener merkwürdigen zweiaktigen Tragödie,
die uns der Dichter mitteilte. Es war die Tragödie eines Menschen, der die Fähig¬
keit hat, auf andre nervenschwache Menschen hypnotisch einzuwirken, es aber nicht
weiß. Ein Pastor von großer Frömmigkeit, der fest im Glauben an das Wort
der heiligen Schrift lebt und wirkt, der tief überzeugt ist, daß der Glaube
Wunder thun könne, daß das Gebet den Himmel stürme und bewege, das ist
jener merkwürdige tragische Held. Allem weltlichen Zweifel an die Wahrheit
der Religion hält er die augenscheinliche Thatsache entgegen, daß er selbst ja
durch die Kraft seines Gebetes die Wunder verübe, welche dem rechten Glauben
zugesprochen würden. Sein Weib, das ihn maßlos, anbetend liebt, ist krank,
liegt halb gelähmt tagelang auf dem Bette; aber seltsam! wenn er, der Pastor,
betet und mit den Händen segnend ihren Kopf bestreicht, dann ist sie wieder
heil! dann kann die Halbgelühmte gehen! Freilich mir so lange, als er im
Zimmer ist. Der Ruf dieses Wunderthäters verbreitet sich durchs ganze Land,
schaarenweise strömen die Gläubigen und Kranken herbei, sich von ihm segnen
und heilen zu lassen. Er hält eine neue Epoche des Glaubens für gekommen,
bis er eines schönen Tages merken muß, daß die Kraft, welche ihm innewohnt,
nichts gemein hat mit dem Glauben, und daß die leidenschaftlichste Bestürmnng
des Himmels sein in der hypnotischen Kur nur uoch mehr in den Nerven ge¬
schwächtes Weib uicht retten kann. Gerade als er vor dein ganzen versammelten


Björnstjerno Björnsoii,

Sommer in Tirol niedergeschrieben hat, die er uns in seiner trotz des Kampfes
mit der fremden deutschen Sprache hinreißenden Vortragsweise in extenso vor¬
gespielt, er selbst ein ganzes Theater, ebenso wie der Roman „Thomas Nen-
dalen," den er jetzt veröffentlicht hat und der uns schon in deutscher Über¬
setzung vorliegt (Berlin, Stille, 1886), sind die Zeugnisse seiner neuen Geistes-
richtung.

In diesem Romane findet sich (S. 320) eine Stelle, die seine Meinung
klarer ausspricht, als es ein andrer vermochte, und darum sei sie hier zitirt.
„Nervenschwache und namentlich hysterische Naturen könnten durch gewisse
mechanische Einwirkungen in hypnotisch-magnetisch-somnambule Zustände versetzt
werden. Ein solcher Zustand sei bewußte Ohnmacht; in dieser Ohnmacht thäten
wir, was derjenige wünschte, welcher uns in denselben j^so der Übersetzer; soll
heißen: in dieselbe^ versetzt habe. Wir würden sein Opfer, sein Werkzeug. Und
zwar nicht bloß, während wir schliefen, auch später, wenn wir wieder er¬
wacht wären, leisteten wir unbedingt den Befehlen Folge, die wir erhalten,
während wir uns in jenem Zustande Hefanden. ... In diesem Zustande könnten
die Vorstellungen des Einzelnen sich mit den Gedanken eines andern, sowohl
eines Anwesenden wie eines Abwesenden, begegnen. (!) Manche könnten sogar
vorahnen. Diese Thatsache lasse sich nicht mehr leugnen; aber erklärt könne
sie nicht werden. Früher nahm man an, diese Fähigkeit sei vom Glauben ab¬
hängig; jetzt wisse man, daß sie mit dem Glauben nichts zu thun habe. ..."

Dieser letzte Satz enthält das Thema jener merkwürdigen zweiaktigen Tragödie,
die uns der Dichter mitteilte. Es war die Tragödie eines Menschen, der die Fähig¬
keit hat, auf andre nervenschwache Menschen hypnotisch einzuwirken, es aber nicht
weiß. Ein Pastor von großer Frömmigkeit, der fest im Glauben an das Wort
der heiligen Schrift lebt und wirkt, der tief überzeugt ist, daß der Glaube
Wunder thun könne, daß das Gebet den Himmel stürme und bewege, das ist
jener merkwürdige tragische Held. Allem weltlichen Zweifel an die Wahrheit
der Religion hält er die augenscheinliche Thatsache entgegen, daß er selbst ja
durch die Kraft seines Gebetes die Wunder verübe, welche dem rechten Glauben
zugesprochen würden. Sein Weib, das ihn maßlos, anbetend liebt, ist krank,
liegt halb gelähmt tagelang auf dem Bette; aber seltsam! wenn er, der Pastor,
betet und mit den Händen segnend ihren Kopf bestreicht, dann ist sie wieder
heil! dann kann die Halbgelühmte gehen! Freilich mir so lange, als er im
Zimmer ist. Der Ruf dieses Wunderthäters verbreitet sich durchs ganze Land,
schaarenweise strömen die Gläubigen und Kranken herbei, sich von ihm segnen
und heilen zu lassen. Er hält eine neue Epoche des Glaubens für gekommen,
bis er eines schönen Tages merken muß, daß die Kraft, welche ihm innewohnt,
nichts gemein hat mit dem Glauben, und daß die leidenschaftlichste Bestürmnng
des Himmels sein in der hypnotischen Kur nur uoch mehr in den Nerven ge¬
schwächtes Weib uicht retten kann. Gerade als er vor dein ganzen versammelten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/327>, abgerufen am 03.07.2024.