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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Björnstjerne Björnson.

ausreicht und durch fleißige literarische Thätigkeit (wobei die Tantiemen des
Wiener Hvfburgtheaters keine geringe Rolle spielen) ergänzt werden muß. Nun
wurde vor einiger Zeit im norwegischen Reichsratc der Antrag gestellt, auch
Kielland aus Staatsmitteln zu unterstützen; allein die Summe, welche ihm die
Volksvertreter bewilligen wollten, war weitaus geringer als die, welche Björnson
zugestanden worden war. Da richtete dieser an den Neichsrat ein Schreiben,
worin er erklärte, auf sein Gehalt verzichten zu wollen, falls Kielland nicht
ein gleich großes bekomme, denn dieser sei nicht geringer als er. Und Björnsons
Eintreten für den jüngeren Kollegen hatte in der That den gewünschten Erfolg.

Am denkwürdigsten war der Nachmittag, den wir in Schweiz, in Björnsons
Sommerfrische selbst, verbrachten. Es war ein ziemlich bescheidenes Wirtshaus,
freilich in dem kleinen Neste das beste ("Zum Frundsberg"), wo er sich mit seinem
Weibe, der hübschen, just den Mädchenschuhcn entwachsenen Tochter Bergliud und
seinem jüngern Sohne einquartiert hatte. Das Gespräch geriet alsbald auf das
Thema, das uns am meisten interessirte: auf die neueste Dichtung Björnsons, die
er in den letzten Wochen, wie er uns verriet, in Tirol niedergeschrieben hatte, und
die kennen zu lernen wir vor Neugier brannten. Welcher Dichter läßt sich nicht
gern auf die Schöpfung leiten, die ihn gerade erfüllt? Daß aber Björnson so
rückhaltlos liebenswürdig in seinen Mitteilungen war, war wohl der Anwesenheit
seines alten Freundes zu verdanken, und ich glaube uicht indiskret zu sein, wenn
ich etwas davon ausplaudere. Ist es doch für seine Landsleute gewiß keine
Neuigkeit mehr; in Deutschland ist, soviel ich weiß, nichts davon bekannt ge¬
worden.

Die lebhafte Bewegung, welche in einzelnen wissenschaftlichen Kreisen Eng¬
lands und dann auch Deutschlands durch die Entdeckung der hypnotischen,
somnambul-magnetischen Zustände, durch das "Gedankenlesen" und dergleichen
mehr entstanden war, hatte nämlich auch Björnson in ihre Kreise gezogen.
Nicht daß er etwa Spiritist geworden wäre, wenigstens ließ er davon nichts
verlauten, ein gewisser vorsichtiger Skeptizismus blieb ihm noch immer eigen.
Aber die merkwürdigen Erscheinungen von der Wirkung des einen Willens auf
deu andern in die Ferne nahm er als absolut gesicherte Thatsachen hin, und
erklärte uns mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Naturells all die Wunder, vor
denen wir noch immer ungläubig die Köpfe schüttelten. Indes, wenn irgend
jemand in der Welt vorgestimmt sein kann, jene Erscheinungen einer unbewußten
und doch logischen Geistesthätigkeit als wahrhaft bestehend anzuerkennen, so muß
es der Dichter sein, der in sich selbst so oft die Übermacht einer selbständig
thätigen geistigen Naturgewalt zu beobachten, zu erfahren Gelegenheit hat, und
Björnson ist nicht der einzige Dichter, der einen Hang hat, jenen neuen Nerven¬
pathologen gläubig zu horchen. Allein das Jnteressanteste ist, wie sich Björnson
für seinen Teil jene neuen Entdeckungen dichterisch zurechtgelegt, welche poetische
Anregung sie ihm verschafft haben. Die zweiccktige Tragödie, welche er im vorigen


Björnstjerne Björnson.

ausreicht und durch fleißige literarische Thätigkeit (wobei die Tantiemen des
Wiener Hvfburgtheaters keine geringe Rolle spielen) ergänzt werden muß. Nun
wurde vor einiger Zeit im norwegischen Reichsratc der Antrag gestellt, auch
Kielland aus Staatsmitteln zu unterstützen; allein die Summe, welche ihm die
Volksvertreter bewilligen wollten, war weitaus geringer als die, welche Björnson
zugestanden worden war. Da richtete dieser an den Neichsrat ein Schreiben,
worin er erklärte, auf sein Gehalt verzichten zu wollen, falls Kielland nicht
ein gleich großes bekomme, denn dieser sei nicht geringer als er. Und Björnsons
Eintreten für den jüngeren Kollegen hatte in der That den gewünschten Erfolg.

Am denkwürdigsten war der Nachmittag, den wir in Schweiz, in Björnsons
Sommerfrische selbst, verbrachten. Es war ein ziemlich bescheidenes Wirtshaus,
freilich in dem kleinen Neste das beste („Zum Frundsberg"), wo er sich mit seinem
Weibe, der hübschen, just den Mädchenschuhcn entwachsenen Tochter Bergliud und
seinem jüngern Sohne einquartiert hatte. Das Gespräch geriet alsbald auf das
Thema, das uns am meisten interessirte: auf die neueste Dichtung Björnsons, die
er in den letzten Wochen, wie er uns verriet, in Tirol niedergeschrieben hatte, und
die kennen zu lernen wir vor Neugier brannten. Welcher Dichter läßt sich nicht
gern auf die Schöpfung leiten, die ihn gerade erfüllt? Daß aber Björnson so
rückhaltlos liebenswürdig in seinen Mitteilungen war, war wohl der Anwesenheit
seines alten Freundes zu verdanken, und ich glaube uicht indiskret zu sein, wenn
ich etwas davon ausplaudere. Ist es doch für seine Landsleute gewiß keine
Neuigkeit mehr; in Deutschland ist, soviel ich weiß, nichts davon bekannt ge¬
worden.

Die lebhafte Bewegung, welche in einzelnen wissenschaftlichen Kreisen Eng¬
lands und dann auch Deutschlands durch die Entdeckung der hypnotischen,
somnambul-magnetischen Zustände, durch das „Gedankenlesen" und dergleichen
mehr entstanden war, hatte nämlich auch Björnson in ihre Kreise gezogen.
Nicht daß er etwa Spiritist geworden wäre, wenigstens ließ er davon nichts
verlauten, ein gewisser vorsichtiger Skeptizismus blieb ihm noch immer eigen.
Aber die merkwürdigen Erscheinungen von der Wirkung des einen Willens auf
deu andern in die Ferne nahm er als absolut gesicherte Thatsachen hin, und
erklärte uns mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Naturells all die Wunder, vor
denen wir noch immer ungläubig die Köpfe schüttelten. Indes, wenn irgend
jemand in der Welt vorgestimmt sein kann, jene Erscheinungen einer unbewußten
und doch logischen Geistesthätigkeit als wahrhaft bestehend anzuerkennen, so muß
es der Dichter sein, der in sich selbst so oft die Übermacht einer selbständig
thätigen geistigen Naturgewalt zu beobachten, zu erfahren Gelegenheit hat, und
Björnson ist nicht der einzige Dichter, der einen Hang hat, jenen neuen Nerven¬
pathologen gläubig zu horchen. Allein das Jnteressanteste ist, wie sich Björnson
für seinen Teil jene neuen Entdeckungen dichterisch zurechtgelegt, welche poetische
Anregung sie ihm verschafft haben. Die zweiccktige Tragödie, welche er im vorigen


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[0326] Björnstjerne Björnson. ausreicht und durch fleißige literarische Thätigkeit (wobei die Tantiemen des Wiener Hvfburgtheaters keine geringe Rolle spielen) ergänzt werden muß. Nun wurde vor einiger Zeit im norwegischen Reichsratc der Antrag gestellt, auch Kielland aus Staatsmitteln zu unterstützen; allein die Summe, welche ihm die Volksvertreter bewilligen wollten, war weitaus geringer als die, welche Björnson zugestanden worden war. Da richtete dieser an den Neichsrat ein Schreiben, worin er erklärte, auf sein Gehalt verzichten zu wollen, falls Kielland nicht ein gleich großes bekomme, denn dieser sei nicht geringer als er. Und Björnsons Eintreten für den jüngeren Kollegen hatte in der That den gewünschten Erfolg. Am denkwürdigsten war der Nachmittag, den wir in Schweiz, in Björnsons Sommerfrische selbst, verbrachten. Es war ein ziemlich bescheidenes Wirtshaus, freilich in dem kleinen Neste das beste („Zum Frundsberg"), wo er sich mit seinem Weibe, der hübschen, just den Mädchenschuhcn entwachsenen Tochter Bergliud und seinem jüngern Sohne einquartiert hatte. Das Gespräch geriet alsbald auf das Thema, das uns am meisten interessirte: auf die neueste Dichtung Björnsons, die er in den letzten Wochen, wie er uns verriet, in Tirol niedergeschrieben hatte, und die kennen zu lernen wir vor Neugier brannten. Welcher Dichter läßt sich nicht gern auf die Schöpfung leiten, die ihn gerade erfüllt? Daß aber Björnson so rückhaltlos liebenswürdig in seinen Mitteilungen war, war wohl der Anwesenheit seines alten Freundes zu verdanken, und ich glaube uicht indiskret zu sein, wenn ich etwas davon ausplaudere. Ist es doch für seine Landsleute gewiß keine Neuigkeit mehr; in Deutschland ist, soviel ich weiß, nichts davon bekannt ge¬ worden. Die lebhafte Bewegung, welche in einzelnen wissenschaftlichen Kreisen Eng¬ lands und dann auch Deutschlands durch die Entdeckung der hypnotischen, somnambul-magnetischen Zustände, durch das „Gedankenlesen" und dergleichen mehr entstanden war, hatte nämlich auch Björnson in ihre Kreise gezogen. Nicht daß er etwa Spiritist geworden wäre, wenigstens ließ er davon nichts verlauten, ein gewisser vorsichtiger Skeptizismus blieb ihm noch immer eigen. Aber die merkwürdigen Erscheinungen von der Wirkung des einen Willens auf deu andern in die Ferne nahm er als absolut gesicherte Thatsachen hin, und erklärte uns mit der ganzen Lebhaftigkeit seines Naturells all die Wunder, vor denen wir noch immer ungläubig die Köpfe schüttelten. Indes, wenn irgend jemand in der Welt vorgestimmt sein kann, jene Erscheinungen einer unbewußten und doch logischen Geistesthätigkeit als wahrhaft bestehend anzuerkennen, so muß es der Dichter sein, der in sich selbst so oft die Übermacht einer selbständig thätigen geistigen Naturgewalt zu beobachten, zu erfahren Gelegenheit hat, und Björnson ist nicht der einzige Dichter, der einen Hang hat, jenen neuen Nerven¬ pathologen gläubig zu horchen. Allein das Jnteressanteste ist, wie sich Björnson für seinen Teil jene neuen Entdeckungen dichterisch zurechtgelegt, welche poetische Anregung sie ihm verschafft haben. Die zweiccktige Tragödie, welche er im vorigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/326>, abgerufen am 22.07.2024.