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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Björnstjerno Björnson.

Offenherzigkeit: ohne Berechnung spricht er, wie er denkt; selbst die Schwierig¬
keiten, welche ihm die ungewohnte deutsche Sprache bereitete, hinderten ihn nicht,
lange und ausführliche Gespräche zu führen, die allerdings bei der fast inter¬
viewenden Haltung seiner Gäste zuweilen zu ebenso langen Monologen wurden.
Wenn ihm gerade das gesuchte deutsche Wort nicht auf die Zunge wollte, so
sprang ihm seine liebenswürdige und weltkluge Gattin bei, die unsre Sprache
besser beherrschte, wobei sie daran erinnerte, daß auch in ihren Adern deutsches
Blut rolle, da sie vom Turnvater Jahr -- wir wissen nicht mehr genau wie? --
abstamme; von Geburt ist sie eine Bergnerin. Wir glauben dem Ansehen des
Dichters in Deutschland nicht zu schaden, wenn wir bei dieser Gelegenheit er¬
wähnen, daß er sich nicht als Freund des jetzigen Deutschlands aussprach. Der
demokratische Führer der liberalen Opposition Norwegens äußerte sich nicht als
Parteigänger Bismarcks, und der Realist, welcher jetzt in Paris lebhaften Verkehr
mit den Spitzen der französischen Literatur pflegt, sprach sich ziemlich scharf über
die gegenwärtige deutsche Literatur aus, wobei wir allerdings merken konnten,
daß er ihre wahren Größen kaum dem Namen nach kannte und nichts andres
wußte, als daß der historische Roman blühe, den er -- der ganz in der Gegen¬
wart aufgehende Dichter, welcher nur zu sehr seine Muse in den Dienst seiner auf¬
klärend reformatorischen Tendenzen stellt -- schlechthin ablehnte. Die Gegenwart
zu erfassen, erklärte er für den einzigen Beruf des Schriftstellers. Eine Äußerung
indes versöhnte mich mit dem begeisterten Franzosenkultns Björnsons, weil sie
mir blitzartig scharf den spezifisch germanischen Kern seines Wesens beleuchtete.
Ich dachte ihm ein Kompliment zu machen, als ich ihm sagte, seine Dichtungen
wären bei uns nicht weniger verbreitet, als die eines andern uns gleichfalls
nur dnrch Übersetzungen vermittelten fremden großen Dichters, nämlich Iwan
Turgenjews. Aber diese Bemerkung nahm Björnson ziemlich unwillig auf, und
es war kein freundlicher Blick, mit dem er erwiederte, er habe sich für Turgenjew
nie erwärmen können, denn er habe in allen seinen Novellen keinen einzigen
Mann gefunden. Mir schien die ganze Kluft zwischen dem Germanen und dem
Slawen durch diese Antwort aufgedeckt. Vieles wußte er noch von seiner Heimat,
seinen politischen und Privatverhültnissen in seiner offenherzigen Weise zu er¬
zählen, was sich nicht leicht wiedergeben läßt. Das kleine, wenig ergiebige Gut,
welches er zu Hause besitzt, und wovon auch Brandes berichtet, verpachtete er
endlich nach den vielen Kosten, die es ihm verursacht hatte, gern, um in dem
ihm keineswegs unwillkommenen Pariser Exil in einer anregnngsreichcren Welt
Zu leben; nur in größeren Zwischenräumen kehrt er für einen Sommeraufenthalt
in die Heimat zurück. Ein schönes Licht auf seinen neidlosen Charakter warf
die warme Rede, mit der er von seinen literarischen Landsleuten, zumal von
Kiclland, sprach, dein er auch in einem hochherzigen Akte die Freundschaft be¬
wiesen hätte. Björnson bezieht nämlich ans Staatsmitteln ein Jahresgchalt von
zweitausend Kronen, welches allerdings für die Bedürfnisse seiner Familie nicht


Björnstjerno Björnson.

Offenherzigkeit: ohne Berechnung spricht er, wie er denkt; selbst die Schwierig¬
keiten, welche ihm die ungewohnte deutsche Sprache bereitete, hinderten ihn nicht,
lange und ausführliche Gespräche zu führen, die allerdings bei der fast inter¬
viewenden Haltung seiner Gäste zuweilen zu ebenso langen Monologen wurden.
Wenn ihm gerade das gesuchte deutsche Wort nicht auf die Zunge wollte, so
sprang ihm seine liebenswürdige und weltkluge Gattin bei, die unsre Sprache
besser beherrschte, wobei sie daran erinnerte, daß auch in ihren Adern deutsches
Blut rolle, da sie vom Turnvater Jahr — wir wissen nicht mehr genau wie? —
abstamme; von Geburt ist sie eine Bergnerin. Wir glauben dem Ansehen des
Dichters in Deutschland nicht zu schaden, wenn wir bei dieser Gelegenheit er¬
wähnen, daß er sich nicht als Freund des jetzigen Deutschlands aussprach. Der
demokratische Führer der liberalen Opposition Norwegens äußerte sich nicht als
Parteigänger Bismarcks, und der Realist, welcher jetzt in Paris lebhaften Verkehr
mit den Spitzen der französischen Literatur pflegt, sprach sich ziemlich scharf über
die gegenwärtige deutsche Literatur aus, wobei wir allerdings merken konnten,
daß er ihre wahren Größen kaum dem Namen nach kannte und nichts andres
wußte, als daß der historische Roman blühe, den er — der ganz in der Gegen¬
wart aufgehende Dichter, welcher nur zu sehr seine Muse in den Dienst seiner auf¬
klärend reformatorischen Tendenzen stellt — schlechthin ablehnte. Die Gegenwart
zu erfassen, erklärte er für den einzigen Beruf des Schriftstellers. Eine Äußerung
indes versöhnte mich mit dem begeisterten Franzosenkultns Björnsons, weil sie
mir blitzartig scharf den spezifisch germanischen Kern seines Wesens beleuchtete.
Ich dachte ihm ein Kompliment zu machen, als ich ihm sagte, seine Dichtungen
wären bei uns nicht weniger verbreitet, als die eines andern uns gleichfalls
nur dnrch Übersetzungen vermittelten fremden großen Dichters, nämlich Iwan
Turgenjews. Aber diese Bemerkung nahm Björnson ziemlich unwillig auf, und
es war kein freundlicher Blick, mit dem er erwiederte, er habe sich für Turgenjew
nie erwärmen können, denn er habe in allen seinen Novellen keinen einzigen
Mann gefunden. Mir schien die ganze Kluft zwischen dem Germanen und dem
Slawen durch diese Antwort aufgedeckt. Vieles wußte er noch von seiner Heimat,
seinen politischen und Privatverhültnissen in seiner offenherzigen Weise zu er¬
zählen, was sich nicht leicht wiedergeben läßt. Das kleine, wenig ergiebige Gut,
welches er zu Hause besitzt, und wovon auch Brandes berichtet, verpachtete er
endlich nach den vielen Kosten, die es ihm verursacht hatte, gern, um in dem
ihm keineswegs unwillkommenen Pariser Exil in einer anregnngsreichcren Welt
Zu leben; nur in größeren Zwischenräumen kehrt er für einen Sommeraufenthalt
in die Heimat zurück. Ein schönes Licht auf seinen neidlosen Charakter warf
die warme Rede, mit der er von seinen literarischen Landsleuten, zumal von
Kiclland, sprach, dein er auch in einem hochherzigen Akte die Freundschaft be¬
wiesen hätte. Björnson bezieht nämlich ans Staatsmitteln ein Jahresgchalt von
zweitausend Kronen, welches allerdings für die Bedürfnisse seiner Familie nicht


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[0325] Björnstjerno Björnson. Offenherzigkeit: ohne Berechnung spricht er, wie er denkt; selbst die Schwierig¬ keiten, welche ihm die ungewohnte deutsche Sprache bereitete, hinderten ihn nicht, lange und ausführliche Gespräche zu führen, die allerdings bei der fast inter¬ viewenden Haltung seiner Gäste zuweilen zu ebenso langen Monologen wurden. Wenn ihm gerade das gesuchte deutsche Wort nicht auf die Zunge wollte, so sprang ihm seine liebenswürdige und weltkluge Gattin bei, die unsre Sprache besser beherrschte, wobei sie daran erinnerte, daß auch in ihren Adern deutsches Blut rolle, da sie vom Turnvater Jahr — wir wissen nicht mehr genau wie? — abstamme; von Geburt ist sie eine Bergnerin. Wir glauben dem Ansehen des Dichters in Deutschland nicht zu schaden, wenn wir bei dieser Gelegenheit er¬ wähnen, daß er sich nicht als Freund des jetzigen Deutschlands aussprach. Der demokratische Führer der liberalen Opposition Norwegens äußerte sich nicht als Parteigänger Bismarcks, und der Realist, welcher jetzt in Paris lebhaften Verkehr mit den Spitzen der französischen Literatur pflegt, sprach sich ziemlich scharf über die gegenwärtige deutsche Literatur aus, wobei wir allerdings merken konnten, daß er ihre wahren Größen kaum dem Namen nach kannte und nichts andres wußte, als daß der historische Roman blühe, den er — der ganz in der Gegen¬ wart aufgehende Dichter, welcher nur zu sehr seine Muse in den Dienst seiner auf¬ klärend reformatorischen Tendenzen stellt — schlechthin ablehnte. Die Gegenwart zu erfassen, erklärte er für den einzigen Beruf des Schriftstellers. Eine Äußerung indes versöhnte mich mit dem begeisterten Franzosenkultns Björnsons, weil sie mir blitzartig scharf den spezifisch germanischen Kern seines Wesens beleuchtete. Ich dachte ihm ein Kompliment zu machen, als ich ihm sagte, seine Dichtungen wären bei uns nicht weniger verbreitet, als die eines andern uns gleichfalls nur dnrch Übersetzungen vermittelten fremden großen Dichters, nämlich Iwan Turgenjews. Aber diese Bemerkung nahm Björnson ziemlich unwillig auf, und es war kein freundlicher Blick, mit dem er erwiederte, er habe sich für Turgenjew nie erwärmen können, denn er habe in allen seinen Novellen keinen einzigen Mann gefunden. Mir schien die ganze Kluft zwischen dem Germanen und dem Slawen durch diese Antwort aufgedeckt. Vieles wußte er noch von seiner Heimat, seinen politischen und Privatverhültnissen in seiner offenherzigen Weise zu er¬ zählen, was sich nicht leicht wiedergeben läßt. Das kleine, wenig ergiebige Gut, welches er zu Hause besitzt, und wovon auch Brandes berichtet, verpachtete er endlich nach den vielen Kosten, die es ihm verursacht hatte, gern, um in dem ihm keineswegs unwillkommenen Pariser Exil in einer anregnngsreichcren Welt Zu leben; nur in größeren Zwischenräumen kehrt er für einen Sommeraufenthalt in die Heimat zurück. Ein schönes Licht auf seinen neidlosen Charakter warf die warme Rede, mit der er von seinen literarischen Landsleuten, zumal von Kiclland, sprach, dein er auch in einem hochherzigen Akte die Freundschaft be¬ wiesen hätte. Björnson bezieht nämlich ans Staatsmitteln ein Jahresgchalt von zweitausend Kronen, welches allerdings für die Bedürfnisse seiner Familie nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/325>, abgerufen am 22.07.2024.