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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bjönlstjürne Björnson.

man von den Verteidiger" dieser gefährlichen Liebhaberei stets den Hinweis auf
die ganz einzige Empfindung, das wahrhafte Hochgefühl, welches der Ausblick
von einer richtigen Gebirgshöhe dem Menschen gewährt und ihm hinlänglich
die Mühen und Gefahren des Steigens belohnt, mit denen er sich jenen Genuß
erkaufte. Ich habe manche Höhe erstiegen und im Gefühle der Erhabenheit
Umschau gehalten in meilenweite Runde, Allein im Verkehre mit bedeutenden
Menschen, einem schöpferischen Dichter zumal, haben meine Pulse doch schneller
geschlagen, hat sich mein Herz noch mächtiger gehoben, fühlte ich mein Lebens-
gefühl doch noch mehr gesteigert, und diese Empfindung Pflegen wir ja Glück zu
nennen, wenn wir überhaupt einen Inhalt mit diesem Worte verbinden. Und
ganz besonders angeregt fühlte ich mich in den Stunden meines freilich nur
allzu kurz auf zwei Nachmittage beschräickten Verkehrs mit Vjörnson,

Es geschah dies in Tirol, zuerst in Innsbruck, wohin der Dichter zum
Besuche eines alten Freundes gekommen war, sodann in dem uralten Bergmcmns-
städtchen Schwaz, eine Stunde flußabwärts am In" gelegen, in dessen romantische
Einsamkeit sich Björnson mit Frau und Kindern aus Paris, seinem ständigen
Aufenthalte, für die Sommerszeit zurückgezogen hatte, um ungestört vou deu
Zerstreuungen des gesellschaftlichen Lebens, im Angesichte einer ihn an die
gebirgige nordische Heimat erinnernden anmutigen Alpenlandschaft, einige
dichterische Arbeiten zu vollenden; dort statteten wir ihm unsern Gegen¬
besuch ab.

Man hat in Deutschland, wo seine Novellen in billigen Übersetzungen sehr
verbreitet und seine Schauspiele ("Die Neuvermählten" und "Ein Fallissement")
dem Repertoire jeder bedeutenderen Bühne einverleibt sind, wohl ziemlich allgemein
ein Bild von Björnsons persönlicher und dichterischer Eigenart; am bekanntesten
dürfte er in Wien sein, an das ihn mannichfache persönliche Beziehungen
knüpfen, und wo das Burgtheater selbst mit Meisterschaft seine Stücke dar¬
stellt. Und wer noch keine Anschauung von ihm besitzt, kann sie sich leicht
verschaffen in dem glänzenden Essah von Georg Brandes in dessen Sammlung
"Moderne Geister," wo er mit der sprechendsten Porträttreue gezeichnet ist, wenn
auch einzelne Behauptungen des geistvollen Literarhistorikers nicht mehr als der
Wahrheit gemäß angesehen werden können. Die große, kraftvolle, breitschulterige
Gestalt mit ihren elastischen, aber ruhigen Bewegungen, das bedeutende Gesicht,
der seine Mund und das bis auf die Bnrtstreifen an den Ohren glatt rasirte
Kinn, die edle Nase, die hinter den buschigen Brauen, welche sie überschatten,
und der goldenen Brille, trotz ihrer hellen Farbe hervorblitzenden, scharf¬
blickender Bevbachteraugen, das rötliche, nunmehr ergraute Haupthaar, welches
widerspenstig büschelweis ins Gesicht fällt, das ganze, mit männlichem Selbstbewußt¬
sein getragene Haupt: dies alles bleibt, wenn man es anch nur einmal gesehen
hat, in der Erinnerung immer haften. Im Verkehr ist der große Sanguiniker,
wie ihn Brandes mit Recht bezeichnet, von lebhafter Mitteilsamkeit und naiver


Bjönlstjürne Björnson.

man von den Verteidiger» dieser gefährlichen Liebhaberei stets den Hinweis auf
die ganz einzige Empfindung, das wahrhafte Hochgefühl, welches der Ausblick
von einer richtigen Gebirgshöhe dem Menschen gewährt und ihm hinlänglich
die Mühen und Gefahren des Steigens belohnt, mit denen er sich jenen Genuß
erkaufte. Ich habe manche Höhe erstiegen und im Gefühle der Erhabenheit
Umschau gehalten in meilenweite Runde, Allein im Verkehre mit bedeutenden
Menschen, einem schöpferischen Dichter zumal, haben meine Pulse doch schneller
geschlagen, hat sich mein Herz noch mächtiger gehoben, fühlte ich mein Lebens-
gefühl doch noch mehr gesteigert, und diese Empfindung Pflegen wir ja Glück zu
nennen, wenn wir überhaupt einen Inhalt mit diesem Worte verbinden. Und
ganz besonders angeregt fühlte ich mich in den Stunden meines freilich nur
allzu kurz auf zwei Nachmittage beschräickten Verkehrs mit Vjörnson,

Es geschah dies in Tirol, zuerst in Innsbruck, wohin der Dichter zum
Besuche eines alten Freundes gekommen war, sodann in dem uralten Bergmcmns-
städtchen Schwaz, eine Stunde flußabwärts am In» gelegen, in dessen romantische
Einsamkeit sich Björnson mit Frau und Kindern aus Paris, seinem ständigen
Aufenthalte, für die Sommerszeit zurückgezogen hatte, um ungestört vou deu
Zerstreuungen des gesellschaftlichen Lebens, im Angesichte einer ihn an die
gebirgige nordische Heimat erinnernden anmutigen Alpenlandschaft, einige
dichterische Arbeiten zu vollenden; dort statteten wir ihm unsern Gegen¬
besuch ab.

Man hat in Deutschland, wo seine Novellen in billigen Übersetzungen sehr
verbreitet und seine Schauspiele („Die Neuvermählten" und „Ein Fallissement")
dem Repertoire jeder bedeutenderen Bühne einverleibt sind, wohl ziemlich allgemein
ein Bild von Björnsons persönlicher und dichterischer Eigenart; am bekanntesten
dürfte er in Wien sein, an das ihn mannichfache persönliche Beziehungen
knüpfen, und wo das Burgtheater selbst mit Meisterschaft seine Stücke dar¬
stellt. Und wer noch keine Anschauung von ihm besitzt, kann sie sich leicht
verschaffen in dem glänzenden Essah von Georg Brandes in dessen Sammlung
„Moderne Geister," wo er mit der sprechendsten Porträttreue gezeichnet ist, wenn
auch einzelne Behauptungen des geistvollen Literarhistorikers nicht mehr als der
Wahrheit gemäß angesehen werden können. Die große, kraftvolle, breitschulterige
Gestalt mit ihren elastischen, aber ruhigen Bewegungen, das bedeutende Gesicht,
der seine Mund und das bis auf die Bnrtstreifen an den Ohren glatt rasirte
Kinn, die edle Nase, die hinter den buschigen Brauen, welche sie überschatten,
und der goldenen Brille, trotz ihrer hellen Farbe hervorblitzenden, scharf¬
blickender Bevbachteraugen, das rötliche, nunmehr ergraute Haupthaar, welches
widerspenstig büschelweis ins Gesicht fällt, das ganze, mit männlichem Selbstbewußt¬
sein getragene Haupt: dies alles bleibt, wenn man es anch nur einmal gesehen
hat, in der Erinnerung immer haften. Im Verkehr ist der große Sanguiniker,
wie ihn Brandes mit Recht bezeichnet, von lebhafter Mitteilsamkeit und naiver


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[0324] Bjönlstjürne Björnson. man von den Verteidiger» dieser gefährlichen Liebhaberei stets den Hinweis auf die ganz einzige Empfindung, das wahrhafte Hochgefühl, welches der Ausblick von einer richtigen Gebirgshöhe dem Menschen gewährt und ihm hinlänglich die Mühen und Gefahren des Steigens belohnt, mit denen er sich jenen Genuß erkaufte. Ich habe manche Höhe erstiegen und im Gefühle der Erhabenheit Umschau gehalten in meilenweite Runde, Allein im Verkehre mit bedeutenden Menschen, einem schöpferischen Dichter zumal, haben meine Pulse doch schneller geschlagen, hat sich mein Herz noch mächtiger gehoben, fühlte ich mein Lebens- gefühl doch noch mehr gesteigert, und diese Empfindung Pflegen wir ja Glück zu nennen, wenn wir überhaupt einen Inhalt mit diesem Worte verbinden. Und ganz besonders angeregt fühlte ich mich in den Stunden meines freilich nur allzu kurz auf zwei Nachmittage beschräickten Verkehrs mit Vjörnson, Es geschah dies in Tirol, zuerst in Innsbruck, wohin der Dichter zum Besuche eines alten Freundes gekommen war, sodann in dem uralten Bergmcmns- städtchen Schwaz, eine Stunde flußabwärts am In» gelegen, in dessen romantische Einsamkeit sich Björnson mit Frau und Kindern aus Paris, seinem ständigen Aufenthalte, für die Sommerszeit zurückgezogen hatte, um ungestört vou deu Zerstreuungen des gesellschaftlichen Lebens, im Angesichte einer ihn an die gebirgige nordische Heimat erinnernden anmutigen Alpenlandschaft, einige dichterische Arbeiten zu vollenden; dort statteten wir ihm unsern Gegen¬ besuch ab. Man hat in Deutschland, wo seine Novellen in billigen Übersetzungen sehr verbreitet und seine Schauspiele („Die Neuvermählten" und „Ein Fallissement") dem Repertoire jeder bedeutenderen Bühne einverleibt sind, wohl ziemlich allgemein ein Bild von Björnsons persönlicher und dichterischer Eigenart; am bekanntesten dürfte er in Wien sein, an das ihn mannichfache persönliche Beziehungen knüpfen, und wo das Burgtheater selbst mit Meisterschaft seine Stücke dar¬ stellt. Und wer noch keine Anschauung von ihm besitzt, kann sie sich leicht verschaffen in dem glänzenden Essah von Georg Brandes in dessen Sammlung „Moderne Geister," wo er mit der sprechendsten Porträttreue gezeichnet ist, wenn auch einzelne Behauptungen des geistvollen Literarhistorikers nicht mehr als der Wahrheit gemäß angesehen werden können. Die große, kraftvolle, breitschulterige Gestalt mit ihren elastischen, aber ruhigen Bewegungen, das bedeutende Gesicht, der seine Mund und das bis auf die Bnrtstreifen an den Ohren glatt rasirte Kinn, die edle Nase, die hinter den buschigen Brauen, welche sie überschatten, und der goldenen Brille, trotz ihrer hellen Farbe hervorblitzenden, scharf¬ blickender Bevbachteraugen, das rötliche, nunmehr ergraute Haupthaar, welches widerspenstig büschelweis ins Gesicht fällt, das ganze, mit männlichem Selbstbewußt¬ sein getragene Haupt: dies alles bleibt, wenn man es anch nur einmal gesehen hat, in der Erinnerung immer haften. Im Verkehr ist der große Sanguiniker, wie ihn Brandes mit Recht bezeichnet, von lebhafter Mitteilsamkeit und naiver

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/324>, abgerufen am 03.07.2024.