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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Vesuchung der Waldungen ohne Lebensgefahr versehen können," und daß die
Neutlinger "in seinen Waldungen und Fischwasferu großen Frevel ausgeübt
und andre Ausschweifungen begangen, er aber niemals habe Genugthuung er¬
langen können": nun kam, er hatte eben mit allen Prälaten seines Landes
die Leichenfeier für den Kaiser Maximilian ausgerichtet, die Botschaft, daß sein
Burgvvgt von der Achalm, während er mit seinem Eheweibe in eineni Wirts¬
hause zu Reutliugen speiste, von einigen Bürgern erstochen worden sei, zur
Rache dafür, daß des Herzogs Vogt auf Hvheuurach einige Jahre vorher einen
Neutlinger wegen Witterns erschlagen hatte. Der Herzog saß eben noch an
der Tafel, als ihm der Mord seines ihm besonders werten Dieners gemeldet
wurde, neben ihm die Prälaten: alsbald ließ er in den nächsten Ämtern Lärm
schlagen und die Mannschaft aufbieten; er selbst saß zu Pferde und versuchte
die Stadt durch einen Handstreich zu nehmen. Dies mißlang; aber Ulrich um¬
lagerte die Stadt trotz der großen Kälte, ließ sie beschießen und drohte: lieber
wolle er sein halbes Herzogtum daran setzen, als unverrichteter Sache abziehen.
Die Neutliuger sandten am 23. Januar einen Boten nach Augsburg an Ulrich
Arzt ab, den Hauptmann der Reichsstädte des schwäbischen Bundes; aber der
^öde wurde abgefangen und die Stadt nach achttägiger Umlagerung genötigt,
steh zu ergeben, es war am 28. Januar. Der Herzog hielt einen feierlichen Einzug,
ward von der Stadtgeistlichkeit am Thore empfangen und begab sich zur Kirche,
um Gott zu danken. Dann mußten ihm die Vorgesetzten und die Bürgerschaft
auf dem Markte huldigen und ihm ihre "Gewölbe und Behältnisse" samt allein
Silbergeschirr, Kleinodien und Briefschaften übergeben; zwar stellte er den Leuten
nachher ihr Eigentum wieder zu, aber die Stadt selbst meinte Ulrich, auf König
Franz bauend, festhalten zu können, selbst gegen den schwäbischen Bund, dessen
^und Reutliugen gewesen war. Er ließ das Siegel der Stadt zerschlagen und
gab ihr ein andres Wappen und Siegel; die neue Landstadt sollte auf den
Landtagen des Herzogtums den Sitz gleich nach Urach haben; ein Blockhaus
wurde in der Stadt errichtet, die Bresche in der Mauer geschloffen und ein
Heer von 3000 Mann ucich Reutlingcn gelegt. Es war ein kühnes Unter¬
fangen, und selbst Ulrichs blödsinnigen Vater, dem Grafen Heinrich, dämmerte
die Ahnung der Gefahr; als sein Sohn aufbrach, die Stadt anzugreifen, sagte
er: "O, er wird zum Lande Hinaufziehen." Laut klagte man, daß der Herzog
für den Frevel einiger Wenigen sogleich die ganze Stadt verantwortlich gemacht
und ihr nicht einmal die Möglichkeit gerichtlichen Auftrags eröffnet habe; es
erschien dies umso gewaltsamer, als die Stadt Reutliugen einen Schirmvertrag
Un't dem Hause Würtemberg aufgerichtet und wenige Tage vor Ulrichs Augriff
>hr Schirmgeld bezahlt hatte; viele glaubten, daß er nun an Eßlingen gehen
werde, daß er es überhaupt auf die Reichsstädte abgesehen habe; man traute
ihm zu, daß er am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts das mit französischer
Hilfe durchführen werde, was sein Nachfahre Herzog Friedrich 1803 mit


Grenzboten III. 1L86, 40

Vesuchung der Waldungen ohne Lebensgefahr versehen können," und daß die
Neutlinger „in seinen Waldungen und Fischwasferu großen Frevel ausgeübt
und andre Ausschweifungen begangen, er aber niemals habe Genugthuung er¬
langen können": nun kam, er hatte eben mit allen Prälaten seines Landes
die Leichenfeier für den Kaiser Maximilian ausgerichtet, die Botschaft, daß sein
Burgvvgt von der Achalm, während er mit seinem Eheweibe in eineni Wirts¬
hause zu Reutliugen speiste, von einigen Bürgern erstochen worden sei, zur
Rache dafür, daß des Herzogs Vogt auf Hvheuurach einige Jahre vorher einen
Neutlinger wegen Witterns erschlagen hatte. Der Herzog saß eben noch an
der Tafel, als ihm der Mord seines ihm besonders werten Dieners gemeldet
wurde, neben ihm die Prälaten: alsbald ließ er in den nächsten Ämtern Lärm
schlagen und die Mannschaft aufbieten; er selbst saß zu Pferde und versuchte
die Stadt durch einen Handstreich zu nehmen. Dies mißlang; aber Ulrich um¬
lagerte die Stadt trotz der großen Kälte, ließ sie beschießen und drohte: lieber
wolle er sein halbes Herzogtum daran setzen, als unverrichteter Sache abziehen.
Die Neutliuger sandten am 23. Januar einen Boten nach Augsburg an Ulrich
Arzt ab, den Hauptmann der Reichsstädte des schwäbischen Bundes; aber der
^öde wurde abgefangen und die Stadt nach achttägiger Umlagerung genötigt,
steh zu ergeben, es war am 28. Januar. Der Herzog hielt einen feierlichen Einzug,
ward von der Stadtgeistlichkeit am Thore empfangen und begab sich zur Kirche,
um Gott zu danken. Dann mußten ihm die Vorgesetzten und die Bürgerschaft
auf dem Markte huldigen und ihm ihre „Gewölbe und Behältnisse" samt allein
Silbergeschirr, Kleinodien und Briefschaften übergeben; zwar stellte er den Leuten
nachher ihr Eigentum wieder zu, aber die Stadt selbst meinte Ulrich, auf König
Franz bauend, festhalten zu können, selbst gegen den schwäbischen Bund, dessen
^und Reutliugen gewesen war. Er ließ das Siegel der Stadt zerschlagen und
gab ihr ein andres Wappen und Siegel; die neue Landstadt sollte auf den
Landtagen des Herzogtums den Sitz gleich nach Urach haben; ein Blockhaus
wurde in der Stadt errichtet, die Bresche in der Mauer geschloffen und ein
Heer von 3000 Mann ucich Reutlingcn gelegt. Es war ein kühnes Unter¬
fangen, und selbst Ulrichs blödsinnigen Vater, dem Grafen Heinrich, dämmerte
die Ahnung der Gefahr; als sein Sohn aufbrach, die Stadt anzugreifen, sagte
er: „O, er wird zum Lande Hinaufziehen." Laut klagte man, daß der Herzog
für den Frevel einiger Wenigen sogleich die ganze Stadt verantwortlich gemacht
und ihr nicht einmal die Möglichkeit gerichtlichen Auftrags eröffnet habe; es
erschien dies umso gewaltsamer, als die Stadt Reutliugen einen Schirmvertrag
Un't dem Hause Würtemberg aufgerichtet und wenige Tage vor Ulrichs Augriff
>hr Schirmgeld bezahlt hatte; viele glaubten, daß er nun an Eßlingen gehen
werde, daß er es überhaupt auf die Reichsstädte abgesehen habe; man traute
ihm zu, daß er am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts das mit französischer
Hilfe durchführen werde, was sein Nachfahre Herzog Friedrich 1803 mit


Grenzboten III. 1L86, 40
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[0321] Vesuchung der Waldungen ohne Lebensgefahr versehen können," und daß die Neutlinger „in seinen Waldungen und Fischwasferu großen Frevel ausgeübt und andre Ausschweifungen begangen, er aber niemals habe Genugthuung er¬ langen können": nun kam, er hatte eben mit allen Prälaten seines Landes die Leichenfeier für den Kaiser Maximilian ausgerichtet, die Botschaft, daß sein Burgvvgt von der Achalm, während er mit seinem Eheweibe in eineni Wirts¬ hause zu Reutliugen speiste, von einigen Bürgern erstochen worden sei, zur Rache dafür, daß des Herzogs Vogt auf Hvheuurach einige Jahre vorher einen Neutlinger wegen Witterns erschlagen hatte. Der Herzog saß eben noch an der Tafel, als ihm der Mord seines ihm besonders werten Dieners gemeldet wurde, neben ihm die Prälaten: alsbald ließ er in den nächsten Ämtern Lärm schlagen und die Mannschaft aufbieten; er selbst saß zu Pferde und versuchte die Stadt durch einen Handstreich zu nehmen. Dies mißlang; aber Ulrich um¬ lagerte die Stadt trotz der großen Kälte, ließ sie beschießen und drohte: lieber wolle er sein halbes Herzogtum daran setzen, als unverrichteter Sache abziehen. Die Neutliuger sandten am 23. Januar einen Boten nach Augsburg an Ulrich Arzt ab, den Hauptmann der Reichsstädte des schwäbischen Bundes; aber der ^öde wurde abgefangen und die Stadt nach achttägiger Umlagerung genötigt, steh zu ergeben, es war am 28. Januar. Der Herzog hielt einen feierlichen Einzug, ward von der Stadtgeistlichkeit am Thore empfangen und begab sich zur Kirche, um Gott zu danken. Dann mußten ihm die Vorgesetzten und die Bürgerschaft auf dem Markte huldigen und ihm ihre „Gewölbe und Behältnisse" samt allein Silbergeschirr, Kleinodien und Briefschaften übergeben; zwar stellte er den Leuten nachher ihr Eigentum wieder zu, aber die Stadt selbst meinte Ulrich, auf König Franz bauend, festhalten zu können, selbst gegen den schwäbischen Bund, dessen ^und Reutliugen gewesen war. Er ließ das Siegel der Stadt zerschlagen und gab ihr ein andres Wappen und Siegel; die neue Landstadt sollte auf den Landtagen des Herzogtums den Sitz gleich nach Urach haben; ein Blockhaus wurde in der Stadt errichtet, die Bresche in der Mauer geschloffen und ein Heer von 3000 Mann ucich Reutlingcn gelegt. Es war ein kühnes Unter¬ fangen, und selbst Ulrichs blödsinnigen Vater, dem Grafen Heinrich, dämmerte die Ahnung der Gefahr; als sein Sohn aufbrach, die Stadt anzugreifen, sagte er: „O, er wird zum Lande Hinaufziehen." Laut klagte man, daß der Herzog für den Frevel einiger Wenigen sogleich die ganze Stadt verantwortlich gemacht und ihr nicht einmal die Möglichkeit gerichtlichen Auftrags eröffnet habe; es erschien dies umso gewaltsamer, als die Stadt Reutliugen einen Schirmvertrag Un't dem Hause Würtemberg aufgerichtet und wenige Tage vor Ulrichs Augriff >hr Schirmgeld bezahlt hatte; viele glaubten, daß er nun an Eßlingen gehen werde, daß er es überhaupt auf die Reichsstädte abgesehen habe; man traute ihm zu, daß er am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts das mit französischer Hilfe durchführen werde, was sein Nachfahre Herzog Friedrich 1803 mit Grenzboten III. 1L86, 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/321>, abgerufen am 22.07.2024.