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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Raiscrwahl vom Jahre ^5^9 und Aarls V. Anfänge.

Talleyrands Beistand verwirklicht hat: die Aufsaugung der in Würtemberg ein¬
gesprengten reichsstädtischen Gebiete, Die Aufregung war groß; vier Reichsstädte
beschickten in Ulm einen Stüdtetag zur Ratschlagung über gemeinsame Abwehr;
das hcrauuccheudc französische Königtum schien mit einem Umsturze aller be¬
stehenden Verhältnisse verknüpft zu sein.

Auch in Norddeutschland erhoben sich die Anhänger des Königs Franz zu
offenem Kriege, Bischof Johann von Hildesheim, ein geborner Herzog von
Sachsen-Lauenburg, hatte sich durch weise Sparsamkeit in die Lage versetzt, die
vielen verpfändeten Güter und Ämter seines Stifts wieder einzulösen; darüber
gerieten die Adelsfamilien, welche im Genuß dieser Güter waren, in Auf¬
regung wider den schäbigen "Hans Magerkohl," der freilich nicht überall billig
verfuhr, und neunzehn von der hildcsheimischen Ritterschaft schlossen einen
Bund, wonach sie die Rückforderung der Güter nötigenfalls mit den Waffen
abwehren wollten; an ihrer Spitze stand Ritter Burchard von Salter, dem
selbst die Burg Lauenstein wieder entzogen worden war. Sie riefen den Schutz
der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrichs des Jüngern und Wilhelms,
und des Herzogs Erich von Kalenberg, sowie den des Bischofs Franz von
Minden an, welcher den Rebellen alsbald offen Vorschub leistete. Bischof
Johann seinerseits suchte Hilfe bei Herzog Heinrich dem Mittleren von Lüne-
burg: er verhieß ihm, daß er dessen erst zehn Jahre alten Sohn zu seinen:
Koadjutor und dereinstigen Nachfolger machen wolle, wenn Heinrich ihm bei¬
stehe: so entschloß sich der Herzog zum Kampfe gegen seine Verwandten von
Wolfenbüttel, Kalenberg und Minden, denn anch Bischof Franz war ein Braun¬
schweiger, ein Bruder Heinrichs des Jüngern und Wilhelms: das braun-
schweigische Haus entzweite sich aus Anlaß dieser " Hildesheimer Stiftsfehde"
aufs tiefste vor aller Welt. Was aber die Sache über einen bloß örtlichen
Handel hinaushob, das war der Umstand, daß der Lüneburger sich auch an
König Franz anlehnte; "sein Glück ist mir lieb, sagte er, sein Unglück ist mir
leid; er liege oben oder unten, so bin ich der Seine"; viele waren der Meinung,
daß die Schilderhebung des Lüneburgers im letzten Grunde gegen Karls Wahl
gerichtet sei und dessen Anhänger dadurch eingeschüchtert werden sollten. Ju
der Charwoche machten sich die lüneburgischen und hildesheimischen Scharen auf
den Marsch; die Heiligkeit der Festzeit schuf ihnen kein Bedenken; am Charfreitag
selbst wurde der Petershagen, ein Schloß des Bischofs von Minden, mit Sturm
genommen: man sah Geistliche sich am Kampfe beteiligen, und daß das Schloß
fiel, wurde dem Beistande der Gottesmutter zugeschrieben, welche das Marien-
ftift zu Hildesheim als seine Schntzherrin verehrte; aus Minden selbst vertrieben,
floh Bischof Franz zu seinem Bruder nach Wolfenbüttel. Der weitere Verlauf
der Fehde ist so unerfreulich als möglich; Monate lang kommt es zu keinem
größern Zusammenstoße; auf beiden Seiten hat man es nur auf Sengen und
Brennen, auf Verwüstung der Wohnstätten, Wegführen des Viehstandes, Er-


Die Raiscrwahl vom Jahre ^5^9 und Aarls V. Anfänge.

Talleyrands Beistand verwirklicht hat: die Aufsaugung der in Würtemberg ein¬
gesprengten reichsstädtischen Gebiete, Die Aufregung war groß; vier Reichsstädte
beschickten in Ulm einen Stüdtetag zur Ratschlagung über gemeinsame Abwehr;
das hcrauuccheudc französische Königtum schien mit einem Umsturze aller be¬
stehenden Verhältnisse verknüpft zu sein.

Auch in Norddeutschland erhoben sich die Anhänger des Königs Franz zu
offenem Kriege, Bischof Johann von Hildesheim, ein geborner Herzog von
Sachsen-Lauenburg, hatte sich durch weise Sparsamkeit in die Lage versetzt, die
vielen verpfändeten Güter und Ämter seines Stifts wieder einzulösen; darüber
gerieten die Adelsfamilien, welche im Genuß dieser Güter waren, in Auf¬
regung wider den schäbigen „Hans Magerkohl," der freilich nicht überall billig
verfuhr, und neunzehn von der hildcsheimischen Ritterschaft schlossen einen
Bund, wonach sie die Rückforderung der Güter nötigenfalls mit den Waffen
abwehren wollten; an ihrer Spitze stand Ritter Burchard von Salter, dem
selbst die Burg Lauenstein wieder entzogen worden war. Sie riefen den Schutz
der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrichs des Jüngern und Wilhelms,
und des Herzogs Erich von Kalenberg, sowie den des Bischofs Franz von
Minden an, welcher den Rebellen alsbald offen Vorschub leistete. Bischof
Johann seinerseits suchte Hilfe bei Herzog Heinrich dem Mittleren von Lüne-
burg: er verhieß ihm, daß er dessen erst zehn Jahre alten Sohn zu seinen:
Koadjutor und dereinstigen Nachfolger machen wolle, wenn Heinrich ihm bei¬
stehe: so entschloß sich der Herzog zum Kampfe gegen seine Verwandten von
Wolfenbüttel, Kalenberg und Minden, denn anch Bischof Franz war ein Braun¬
schweiger, ein Bruder Heinrichs des Jüngern und Wilhelms: das braun-
schweigische Haus entzweite sich aus Anlaß dieser „ Hildesheimer Stiftsfehde"
aufs tiefste vor aller Welt. Was aber die Sache über einen bloß örtlichen
Handel hinaushob, das war der Umstand, daß der Lüneburger sich auch an
König Franz anlehnte; „sein Glück ist mir lieb, sagte er, sein Unglück ist mir
leid; er liege oben oder unten, so bin ich der Seine"; viele waren der Meinung,
daß die Schilderhebung des Lüneburgers im letzten Grunde gegen Karls Wahl
gerichtet sei und dessen Anhänger dadurch eingeschüchtert werden sollten. Ju
der Charwoche machten sich die lüneburgischen und hildesheimischen Scharen auf
den Marsch; die Heiligkeit der Festzeit schuf ihnen kein Bedenken; am Charfreitag
selbst wurde der Petershagen, ein Schloß des Bischofs von Minden, mit Sturm
genommen: man sah Geistliche sich am Kampfe beteiligen, und daß das Schloß
fiel, wurde dem Beistande der Gottesmutter zugeschrieben, welche das Marien-
ftift zu Hildesheim als seine Schntzherrin verehrte; aus Minden selbst vertrieben,
floh Bischof Franz zu seinem Bruder nach Wolfenbüttel. Der weitere Verlauf
der Fehde ist so unerfreulich als möglich; Monate lang kommt es zu keinem
größern Zusammenstoße; auf beiden Seiten hat man es nur auf Sengen und
Brennen, auf Verwüstung der Wohnstätten, Wegführen des Viehstandes, Er-


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[0322] Die Raiscrwahl vom Jahre ^5^9 und Aarls V. Anfänge. Talleyrands Beistand verwirklicht hat: die Aufsaugung der in Würtemberg ein¬ gesprengten reichsstädtischen Gebiete, Die Aufregung war groß; vier Reichsstädte beschickten in Ulm einen Stüdtetag zur Ratschlagung über gemeinsame Abwehr; das hcrauuccheudc französische Königtum schien mit einem Umsturze aller be¬ stehenden Verhältnisse verknüpft zu sein. Auch in Norddeutschland erhoben sich die Anhänger des Königs Franz zu offenem Kriege, Bischof Johann von Hildesheim, ein geborner Herzog von Sachsen-Lauenburg, hatte sich durch weise Sparsamkeit in die Lage versetzt, die vielen verpfändeten Güter und Ämter seines Stifts wieder einzulösen; darüber gerieten die Adelsfamilien, welche im Genuß dieser Güter waren, in Auf¬ regung wider den schäbigen „Hans Magerkohl," der freilich nicht überall billig verfuhr, und neunzehn von der hildcsheimischen Ritterschaft schlossen einen Bund, wonach sie die Rückforderung der Güter nötigenfalls mit den Waffen abwehren wollten; an ihrer Spitze stand Ritter Burchard von Salter, dem selbst die Burg Lauenstein wieder entzogen worden war. Sie riefen den Schutz der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrichs des Jüngern und Wilhelms, und des Herzogs Erich von Kalenberg, sowie den des Bischofs Franz von Minden an, welcher den Rebellen alsbald offen Vorschub leistete. Bischof Johann seinerseits suchte Hilfe bei Herzog Heinrich dem Mittleren von Lüne- burg: er verhieß ihm, daß er dessen erst zehn Jahre alten Sohn zu seinen: Koadjutor und dereinstigen Nachfolger machen wolle, wenn Heinrich ihm bei¬ stehe: so entschloß sich der Herzog zum Kampfe gegen seine Verwandten von Wolfenbüttel, Kalenberg und Minden, denn anch Bischof Franz war ein Braun¬ schweiger, ein Bruder Heinrichs des Jüngern und Wilhelms: das braun- schweigische Haus entzweite sich aus Anlaß dieser „ Hildesheimer Stiftsfehde" aufs tiefste vor aller Welt. Was aber die Sache über einen bloß örtlichen Handel hinaushob, das war der Umstand, daß der Lüneburger sich auch an König Franz anlehnte; „sein Glück ist mir lieb, sagte er, sein Unglück ist mir leid; er liege oben oder unten, so bin ich der Seine"; viele waren der Meinung, daß die Schilderhebung des Lüneburgers im letzten Grunde gegen Karls Wahl gerichtet sei und dessen Anhänger dadurch eingeschüchtert werden sollten. Ju der Charwoche machten sich die lüneburgischen und hildesheimischen Scharen auf den Marsch; die Heiligkeit der Festzeit schuf ihnen kein Bedenken; am Charfreitag selbst wurde der Petershagen, ein Schloß des Bischofs von Minden, mit Sturm genommen: man sah Geistliche sich am Kampfe beteiligen, und daß das Schloß fiel, wurde dem Beistande der Gottesmutter zugeschrieben, welche das Marien- ftift zu Hildesheim als seine Schntzherrin verehrte; aus Minden selbst vertrieben, floh Bischof Franz zu seinem Bruder nach Wolfenbüttel. Der weitere Verlauf der Fehde ist so unerfreulich als möglich; Monate lang kommt es zu keinem größern Zusammenstoße; auf beiden Seiten hat man es nur auf Sengen und Brennen, auf Verwüstung der Wohnstätten, Wegführen des Viehstandes, Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/322>, abgerufen am 03.07.2024.