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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Kaiserwahl vom Zähre ^5^9 ""^ Aarls V. Anfänge.

zu thun, hätte er die Dinge ausschließlich als Kirchcuvberhaupt betrachten müssen.
Das hervorstechendste Interesse der Christenheit war die Abwehr der türkischen
Flut, die stets höher stieg, stets drohender hcranschwoll. Ihr zu begegnen hatte
niemand mehr sachlichen Antrieb als der König von Neapel, eine Würde, die
ja ebenfalls Karl von Spanien bekleidete; seine Küsten waren von dem Stoße der
Osmanen am härtesten bedroht, ihn stärken hieß gegen die Türken arbeiten;
der spätere Lauf der Dinge hat dies sattsam erwiesen. Aber eben der Umstand,
daß Karl Herr von Neapel war, entschied beim Papste gegen ihn. Seit der
Staufer Heinrich VI. die Kaiserkrone mit der Krone von Apulien vereinigt
hatte, galt es in Rom als eine Lebensfrage der pontifikaler Selbständigkeit,
diese Vereinigung zu hintertreiben oder sie garnicht zu stände kommen zu lassen.
Zu hart war der Druck, den Karl als Herr von Neapel und, im Falle er
Kaiser wurde, auch noch als OberlchnSherr von Mailand auf den Kirchenstaat
nnsnben konnte; der weltliche Machthaber trug es in Leo X. davon über den
Statthalter Christi. An sich hätte der Papst am liebsten auch Franz I. aus¬
geschlossen, da auch dessen Macht ihm unheimlich war; man hätte bei Se. Peter
gern Friedrich den Weisen als Kandidaten begünstigt. Da aber dieser sich zu
alt für die kaiserlichen Obliegenheiten fühlte und auch zu gut einsah, daß er
zwischen Franz und Karl doch zerrieben worden wäre und im Falle des Sieges
nnr ein Schattenkaiser hätte sein können, so arbeitete Leo X. für Franz I. In
einem Schreiben um die Eidgenossen erklärte er: nicht ans Haß sei er gegen
Karl, sondern weil es die Hirtenpflicht der Kirche ihm gebiete. Denn der Eid,
welchen Karl geschworen, als er durch die Wohlthat des heiligen römischen
Stuhles das Königreich Neapel erhalten habe, verpflichte ihn auch nach altem
Brauch und Gesetz, sich des Kaisertums zu enthalten oder das Königreich fahren
zu lassen. Der Papst aber müsse über die Aufrechterhaltung dieser Vorschrift
wachen, um die Sicheihcit und den friedlichen Bestand des heiligen Stuhles
nnfrecht zu erhalten. Weil er nun für diesen von der Wahl eines andern Königs
keine Gefahr besorge, so unterstütze er dessen Erhebung.

Gegenüber diesen klaren Worten ist doch eigentlich kein Zweifel über Leos
Ansichten möglich. Wohl ließe" es die päpstlichen Agenten an Doppelzüngigkeit
hie und da nicht fehlen, um nicht alle Brücken zum Hanse Habsburg abzubrechen;
aber die Meinung ist doch nicht haltbar, als ob Leo im Grunde doch für Karl
gewesen wäre und sich gegen ihn nnr deshalb ausgesprochen hätte, um ihn recht
mürbe und nachgiebig zu machen.")

Es hätte nun freilich einen Weg gegeben, den Widerstand des Papstes zu
beseitigen und ihn für die habsburgische Sache zu erwärmen. Dieser Weg hätte



So Rösler S, 56. Auch der Berlrag Mischen Leo und Karl vom, 17. Jannnr 1519,
welcher eventuell "gemeinsame Verteidigung bei einem italienischen Kriege" festsetzt, ver¬
mag diese Ansicht nicht zu su'chen: die. Wahl Franzens hätte mich hier die ganze Situation
Länder", sobald sie unter Mitwirkung der Kurie erfolgte.
Die Kaiserwahl vom Zähre ^5^9 ""^ Aarls V. Anfänge.

zu thun, hätte er die Dinge ausschließlich als Kirchcuvberhaupt betrachten müssen.
Das hervorstechendste Interesse der Christenheit war die Abwehr der türkischen
Flut, die stets höher stieg, stets drohender hcranschwoll. Ihr zu begegnen hatte
niemand mehr sachlichen Antrieb als der König von Neapel, eine Würde, die
ja ebenfalls Karl von Spanien bekleidete; seine Küsten waren von dem Stoße der
Osmanen am härtesten bedroht, ihn stärken hieß gegen die Türken arbeiten;
der spätere Lauf der Dinge hat dies sattsam erwiesen. Aber eben der Umstand,
daß Karl Herr von Neapel war, entschied beim Papste gegen ihn. Seit der
Staufer Heinrich VI. die Kaiserkrone mit der Krone von Apulien vereinigt
hatte, galt es in Rom als eine Lebensfrage der pontifikaler Selbständigkeit,
diese Vereinigung zu hintertreiben oder sie garnicht zu stände kommen zu lassen.
Zu hart war der Druck, den Karl als Herr von Neapel und, im Falle er
Kaiser wurde, auch noch als OberlchnSherr von Mailand auf den Kirchenstaat
nnsnben konnte; der weltliche Machthaber trug es in Leo X. davon über den
Statthalter Christi. An sich hätte der Papst am liebsten auch Franz I. aus¬
geschlossen, da auch dessen Macht ihm unheimlich war; man hätte bei Se. Peter
gern Friedrich den Weisen als Kandidaten begünstigt. Da aber dieser sich zu
alt für die kaiserlichen Obliegenheiten fühlte und auch zu gut einsah, daß er
zwischen Franz und Karl doch zerrieben worden wäre und im Falle des Sieges
nnr ein Schattenkaiser hätte sein können, so arbeitete Leo X. für Franz I. In
einem Schreiben um die Eidgenossen erklärte er: nicht ans Haß sei er gegen
Karl, sondern weil es die Hirtenpflicht der Kirche ihm gebiete. Denn der Eid,
welchen Karl geschworen, als er durch die Wohlthat des heiligen römischen
Stuhles das Königreich Neapel erhalten habe, verpflichte ihn auch nach altem
Brauch und Gesetz, sich des Kaisertums zu enthalten oder das Königreich fahren
zu lassen. Der Papst aber müsse über die Aufrechterhaltung dieser Vorschrift
wachen, um die Sicheihcit und den friedlichen Bestand des heiligen Stuhles
nnfrecht zu erhalten. Weil er nun für diesen von der Wahl eines andern Königs
keine Gefahr besorge, so unterstütze er dessen Erhebung.

Gegenüber diesen klaren Worten ist doch eigentlich kein Zweifel über Leos
Ansichten möglich. Wohl ließe» es die päpstlichen Agenten an Doppelzüngigkeit
hie und da nicht fehlen, um nicht alle Brücken zum Hanse Habsburg abzubrechen;
aber die Meinung ist doch nicht haltbar, als ob Leo im Grunde doch für Karl
gewesen wäre und sich gegen ihn nnr deshalb ausgesprochen hätte, um ihn recht
mürbe und nachgiebig zu machen.")

Es hätte nun freilich einen Weg gegeben, den Widerstand des Papstes zu
beseitigen und ihn für die habsburgische Sache zu erwärmen. Dieser Weg hätte



So Rösler S, 56. Auch der Berlrag Mischen Leo und Karl vom, 17. Jannnr 1519,
welcher eventuell „gemeinsame Verteidigung bei einem italienischen Kriege" festsetzt, ver¬
mag diese Ansicht nicht zu su'chen: die. Wahl Franzens hätte mich hier die ganze Situation
Länder«, sobald sie unter Mitwirkung der Kurie erfolgte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/319>, abgerufen am 03.07.2024.